Wann ist Kritik "verschwörungstheoretisch", wann ist Protest "rechts"?
Seite 4: AfD und Verschwörungspresse in Deutschland
- Wann ist Kritik "verschwörungstheoretisch", wann ist Protest "rechts"?
- Die Thüringen-Connection
- Zum konkreten Verhalten der rechtsextremen Kräfte in der Corona-Krise
- AfD und Verschwörungspresse in Deutschland
- Die Lega in Italien
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Einen ähnlichen Schwenk vollzog die deutsche AfD. Anfänglich stimmte sie den Beschlüssen der Bundesregierung vom 16. und 23. März 2020 für den Lockdown, welcher erheblich schwächer ausfiel als in Frankreich, Italien oder Spanien, noch zu.
Zu den Hauptinitiatoren von Versuchen, rechten, an Wirtschaftsinteressen orientierten und/oder verschwörungstheoretisch aufgeladenen Protest dagegen zu bündeln, zählt unterdessen Jürgen Elsässer, seines Zeichens Chefredakteur des Compact Magazin. Ein früherer Linker, der sich vor gut dreißig Jahren gerne selbst für eine Mischung aus Götz George/Kommissar Schimanski (der damalige Elsässer und der Schauspieler hatten denselben Look) und zeitgenössischem Lenin hielt - der Autor dieser Zeilen begegnete Elsässer erstmals 1987 - und heute auf einer anderen Welle zu reiten versucht.
Elsässer gibt in der aktuellen Corona-Krise nun schon seit Monaten den Seuchenrisiken-Leugner - Covid-19 sei auch nicht gefährlicher als eine Grippe, behauptet er insistierend, die Bevölkerung werde durch die Regierenden mit Lüge und Manipulation überflutet, um eine skrupellose "Corona-Diktatur" zu errichten.
Alles in Allem übernimmt er dabei jedoch auch nur eine Rolle, die bis in den Wortlaut hinein seine Selbstdarstellung in vergangenen ökologischen Krisen ohne Abwandlung kopiert; von Tschernobyl 1986 über den Rinderwahnsinn 1996 bis zu seinem aktuellen Klimawandel-Leugnertum verspottete er stets die "Befürchtungsträger", auch schon in Zeiten, in denen er noch als Linker durchging. Dies sollte und soll (ob nun in linker Verkleidung oder heute als Rechtsautoritärer) irgendwie als rebellische Haltung erscheinen. Inhaltlich ist es das selbstverständlich keineswegs.
Denn jüngst lobte Jürgen Elässer nun ausgerechnet den sozusagen bösen alten Mann der deutschen Politik und obersten Verfechter der kalten Staatsräson und zwar just für seine Positionen zum Tod in der Corona-Krise: Wolfgang Schäuble. (Zu Schäuble wurde an anderer Stelle bereits das Erforderliche ausgeführt.)
Bei einer gut einstündigen Debattensendung auf Compact TV mit Elsässer vom 1. April 2020 (es handelte sich allerdings nicht um einen Aprilscherz) unter dem Titel "Todesvirus für den Euro?" drehte der AfD-Bundestagsabgeordnete Peter Böhringer in einem Moment sichtlich genervt und demonstrativ die Augen zur Decke: Nein, gar so dreist könne eine Bundestagspartei einfach nicht am Gefährdungsgefühl der Bevölkerung vorbei argumentieren.
Böhringer könnte mn zwar selbst unter Verschwörungstheoretiker einreihen. So publizierte er etwa Texte über den Einfluss der Freimaurerei auf die UN. Er hob sich jedoch als scheinbar staatsmännisch gegenüber dem geifernden und eifernden Chefredakteur von Compact Magazin ab. Boehringer hält ihm entgegen, Schäuble habe einmal aus Sicht der Eliten geäußert: "Man lässt keine gute Krise ungenutzt verstreichen!"; diese nutzten die Gunst der Stunde, die sanitäre Problematik existiere jedoch objektiv. Eine sicherlich objektiv zutreffende Feststellung.
Der Chefredakteur versuchte seinerseits der AfD eine Art faschistisch gewendeten Leninismus nahezulegen: In Stunden der Krise komme es nicht darauf an, was die versumpfte Mehrheit sage, sondern dass die Avantgarde das Richtige erkenne. Ähnlich wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im August 1914, die bei der damaligen Pro-Kriegs-Stimmung nicht mitgemacht hätten; diese seien nun "leider Kommunisten" gewesen, doch ihr Ansatz sei dennoch der richtige gewesen.
Auf diese Weise versucht der "Bewegungsunternehmer" Jürgen Elsässer frühere linke Inhalte, die er damals für seine persönlichen Zwecke einsetzte, nunmehr in das rechte bis faschistische Spektrum zu überführen: Die Methode zählt für ihn dabei, nicht etwa die früher vorgegebene emanzipatorische und menschheitsuniverselle Zielsetzung.
Einige Tage später hatte sich jedoch nunmehr auch die Position der AfD weitgehend in diesem Sinne gedreht, ohne freilich so weit im Sinne eines rechten und autoritären Avantgardismus zu gehen wie Elsässer. Am 12. März 2020 noch hatte ihre Co-Bundesvorsitzende Alice Weidel die Bundesregierung dafür kritisiert, dass diese nicht ausreichend Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS Cov-2 und zum Schutz der Bevölkerung ergreife. Einige Wochen später hörten sich die Töne der Partei dann jedoch völlig anders an.
Sie versuchte sich nunmehr gewissermaßen an die Spitze jener Stimmen zu setzen, die von den Mobilitäts- und vor allem den wirtschaftlichen Tätigkeitsbeschränkungen die Nase voll hatten und sich bevormundet wähnten, und die auch durch Teile der FDP angesprochen wurden.
So forderte die rechte Partei bereits kurz vor dem Osterwochenende (vom 11. bis 13. April dieses Jahres) eine "Öffnung der Kirchen für die Christen". Bei der Aussprache im Bundestag vom 23. April dieses Jahres preschte die AfD vor und forderte eine sofortige Öffnung etwa von Restaurants, Hotels, Sportstätten wie auch Gotteshäusern, was jedoch auf Ablehnung bei den übrigen Parteien traf.
Eine der Behauptungen der Partei, wie auch vieler sonstiger Gegner des Corona-Maßnahmenpakets, lautet dabei, dieses sei für die (mutmaßlich) heraufziehende Wirtschaftskrise verantwortlich. Was aber einen wichtigen Punkt ausspart und an Unfug grenzt: Hätte das Wirtschaftssystem nicht zuvor bereits eine erhebliche Krisenanfälligkeit aufgewiesen, könnte es nach dem Lockdown wieder anfahren.
In den Jahren 2018 und 2019 pfiffen es die Spatzen auch in bürgerlichen Wirtschaftszeitungen bereits von den Dächern, dass die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise nach jener der Jahre 2007 bis 2009 sich längst zusammenbraue. Diese nun ursächlich allein oder hauptsächlich auf die Corona-bedingten Einschnitte im öffentlichen Leben zurückführen zu wollen, grenzt an magisches Denken.
Ab nach Kassel
Im nordhessischen Kassel beteiligte sich u.a. der hessische AfD-Politiker Manfred Mattis am 25. April als Ordner an einer Demonstration gegen die Pandemiemaßnahmen. Er war zur Bundestagswahl 2017 als Direktkandidat der AfD im Wahlkreis der Stadt Kassel angetreten.
Zu einer der mittlerweile eingespielten // "Hygienedemonstrationen" am selben Wochenende in Berlin waren neben NPD-Politikern, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern, Esoterikern und Hooligans ebenfalls Mitglieder der AfD-Landtagsfraktionen aus Berlin und Brandenburg anwesend.
Aber auch verwirrte oder frühere Linke waren anzutreffen, ähnlich wie offenkundig in Kassel. Allerdings hat es - nicht nur dort - auch antifaschistisch motivierten Protest dagegen gegeben.