War die "Neue Welt" gar nicht so neu?

Seite 2: Reaktionen der Fachwelt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Trotz monatelanger Wartezeit reagierte auch auf eine erneute Telepolis-Anfrage keiner der beiden vom Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) vorgeschlagenen Experten. So bleiben öffentliche Auseinandersetzung von deutschen Altamerikanisten, Geschichtswissenschaftlern und Archäologen mit Hans Giffhorns Argumenten rar.6 Ausnahme bleibt der Bielefelder Althistoriker Raimund Schulz.

Warum seine Kollegen eine Antwort scheuen, könne auch er nur vermuten. Die Frage nach vorkolumbischen Atlantiküberquerungen sei eben ein "heißes Eisen", an dem sich so mancher Forscher schon die Finger verbrannt habe, so Schulz. Zudem sei das Thema leicht zu instrumentalisieren, was etwa eine Bemerkung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zeige, der vor zwei Jahren erklärte, muslimische Seeleute hätten Amerika bereits im 12. Jahrhundert erreicht.

"Dass man sich von solchen Spekulationen distanziert, mag auch ein gewisser Selbstschutz sein", erklärt Schulz gegenüber Telepolis.

Hinzu kommt ein strukturelles Problem, das mit der Situation großer und traditionsreicher Fächer wie die Altertumswissenschaft zusammenhängt. Diese kann auf eine jahrhundertealte, glanzvolle Tradition von Forschung und Erkenntnisgewinnen zurückblicken, und wenn da jemand mit einer neuen, unkonventionellen These kommt, dann entstehen in der Regel erst einmal reflexartige Abwehrmechanismen, die sich häufig in Nichtbeachtung äußern, zumal wenn es sich um einen fachfremden, d.h. nicht zünftigen Althistoriker handelt. Man fragt sich dann sofort, warum dessen Überlegungen nicht schon längst von anderen des Faches angestellt wurden, und da das nicht der Fall ist, ist die Skepsis groß.

Raimund Schulz

Schulz selbst findet es jedoch wichtig, sich mit neuen Thesen auseinanderzusetzen, sofern sie methodisch und sachlich gut begründet sind. Dies treffe auf Giffhorns Werk zu. Und selbst wenn sich Thesen nicht durchsetzen können, so zwingen sie die Wissenschaft doch, alte Konzepte noch einmal kritisch zu durchdenken.

Deshalb habe er sich auch für sein Buch zu antiken Entdeckungsfahrten mit Giffhorns Theorie beschäftigt. Letztlich gehe es auch gar nicht so sehr um "eindeutig wahr oder falsch" - dies sei oft gar nicht sicher feststellbar - sondern viel mehr um die sorgfältige Abwägung von Plausibilitäten und Argumenten, sagt Schulz. Nur so funktioniere sinnvolle Geschichtswissenschaft.

Er scheint damit jedoch eine Ausnahme unter seinen Kollegen zu sein. Sonstige Äußerungen sind nämlich selten. Der Focus befragte zum Erscheinen von Giffhorns Buch 2013 den deutschen Archäologen Klaus Koschmieder, der Giffhorns Hypothesen ablehnt, das Buch aber gar nicht gelesen hatte. Dafür kenne er einen Film Giffhorns aus dem Jahre 2000, ist beim Focus zu erfahren. Eine ernstgemeinte Auseinandersetzung sieht tatsächlich anders aus.

Im letzten Jahr verfasste zudem der Historiker Alexander Bräuer von der Universität Rostock eine kritische Rezension zu Giffhorns Buch - erste Auflage - obwohl die aktualisierte zweite Auflage zu diesem Zeitpunkt schon seit eineinhalb Jahren veröffentlicht war. Doch auch dieser Autor geht auf die von Giffhorn veröffentlichten Indizien nicht ein, stattdessen wirft er ihm Postkolonialismus vor.

Giffhorn habe seine eigene Position im Forschungsprozess nicht kritisch reflektiert, so Bräuer. Dann bezeichnet er Giffhorn als "männlichen weißen Helden, der den südamerikanischen Staaten Peru und Brasilien (…) die Geschichte erklären will". Giffhorn betont jedoch sowohl in Buch als auch Dokumentarfilm immer wieder seine Achtung vor der Kompetenz der südamerikanischen Forscher, seine Wertschätzung ihrer Expertise und seine Ablehnung jeglicher Idee von nationaler Überlegenheit. Bräuers Schlussfolgerungen wirken deshalb doch arg konstruiert.

"Pseudowissenschaftler" und Hintertüren

Auch die Reaktionen der internationalen Fachwelt auf Giffhorns Theorie sind übersichtlich und teils ähnlich polemisch. Zwar erhalte er in persönlichen Gesprächen mit Chachapoya-Forschern anderer Länder durchaus Anerkennung und Ermutigung, berichtet Giffhorn gegenüber Telepolis. Doch diese Experten vermeiden es fast durchgehend, sich öffentlich mit ihm auseinanderzusetzen. Und auch die wenigen Stellungnahmen, die es gibt, befassen sich nur mit der veralteten ersten Auflage seines Buches.

Die Schweizer Historikerin Geneviève Lüscher hatte es in einer Rezension für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) unter dem Titel "Wenn die Fantasie durchbrennt" verrissen. Giffhorn bezeichne sich als "Kulturwissenschaftler"7, heißt es darin, dessen wissenschaftliches Renommee sich "auf ein paar Dokumentarfilme über Flora und Fauna des Urwalds" beschränke.8 In ihrem kurzen Text stellt sie Giffhorn de facto als "geschickten" Betrüger und "Pseudowissenschaftler" dar, der "Kartenhäuser" aufbaue und sich "Hintertüren" offenhalte. Der zuständige NZZ-Redakteur entschuldigte sich später persönlich bei Giffhorn für den Text.

Der österreichische Anthropologe Horst Seidler immerhin, blieb genauso sachlich wie urteilsfrei. Von der Zeitung Kurier gefragt, sagte er: "Die Herkunft der Chachapoya ist in der Tat unklar." Und zu Giffhorns Theorie: "Ich habe mir abgewöhnt zu sagen, 'So etwas gibt es nicht'. Der Wert seiner Hypothese, steht und fällt aber mit den wissenschaftlichen Studien, die er zitiert."

Warren B. Church, Chachapoya-Experte aus den USA, unterstützte Giffhorn durch wichtige Sachinformationen bei der Entwicklung und Überprüfung der Hypothese. Als der US-Sender PBS einen Dokumentarfilm über Giffhorns Arbeit gezeigt hatte, verteidigte Church den deutschen Forscher sogar in einem Blog, dessen Autor Giffhorn angegriffen hatte.

Offiziell könne aber auch Church nicht Giffhorns Argumente vertreten, erklärt der Kulturwissenschaftler. Church sei ja noch im Universitätsbetrieb aktiv und damit vom Wohlwollen bestimmter Fachautoritäten abhängig.

Aus diesen Gründen habe Church vermutlich auch darauf verzichtet, seine Magisterarbeit zu veröffentlichen, so Giffhorn, in der Church archäologische Beweise für das deutlich höhere Alter der Chachapoya-Kultur präsentiert, die die herrschende Theorie widerlegen.9

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.