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Seite 3: Kein Interesse an europäischer Herkunft

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Die peruanische Fachwelt ist ein Fall für sich, denn hier spielen noch politische Faktoren mit hinein. Grundsätzlich ist das Interesse in Peru eher gering, dass einer wichtigen einheimischen Kultur eine zumindest teil-europäische Herkunft nachgewiesen wird. Schließlich könnte man ja unterstellen, dass Indios unfähig seien, von sich aus zivilisatorische Leistungen zu bringen, sondern dazu immer auf "Weiße" angewiesen seien. Giffhorn hält solche Ideen übrigens für "Blödsinn" und hat sich in seinen Veröffentlichungen schon mehrfach klar davon distanziert.

In Peru wird das Themenfeld zudem vor allem von einer einzigen Person - Federico Kauffmann Doig - beherrscht, einem 88-jährigen Historiker und Archäologen. "Er verteilt Forschungsgelder, Aufträge und Posten an nachfolgende Wissenschaftler", erklärt Giffhorn. Federico Kauffmann Doig kontrolliert als Doyen der peruanischen Archäologie wichtige Ressourcen zur Chachapoya-Forschung vor Ort. Und er hat auch die Theorie aufgestellt, dass die Chachapoya ein rein indigenes Volk waren, das um 900 n. Chr. aus der Wanderung peruanischer Hochandenbewohner in die bis dato unbewohnten Bergnebelwälder hervorging.10

Damit habe sich Kauffmann Doig viele Freunde in der peruanischen Politik gemacht. Einheimische Forscher, die diese Theorie widerlegen würden, hätten unter ihm keine nennenswerten Karriereaussichten mehr, sagt Giffhorn.

Wissenschaftler intern unter Druck gesetzt

Die Angst vieler Wissenschaftler um ihre akademische Karriere sei aber auch außerhalb Perus Hauptgrund für das Schweigen zu Giffhorns Theorie, vermutet dieser. "Es gibt auch in Deutschland wichtige 'Fachpäpste', deren Zorn abhängige Forscher nicht auf sich lenken sollten." Archäologen, die mit Giffhorn zusammengearbeitet haben, wurden nach der Buchveröffentlichung intern unter Druck gesetzt, hat er erfahren. Im Gespräch mit Telepolis nennt er auch Namen, zum Schutz der betroffenen Kollegen sollten diese jedoch nicht öffentlich werden.

Auch ein international führender Molekulargenetiker, der viele Jahre mit Giffhorn zusammengearbeitet hat, wurde deshalb daran gehindert, seine Forschungen zu den Chachapoya abzuschließen. Der Fall wird in Giffhorns Dokumentarfilm näher beleuchtet.

An fehlender Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit kann die Verweigerung einer sachlichen Auseinandersetzung nicht liegen, ist er sich sicher. Zum einen sind zahlreiche Wissenschaftler und ihre Forschungsergebnisse Teil seiner Theorie. Zum anderen wäre er schon lange von Experten widerlegt worden, wenn seine Arbeit wissenschaftlichen Maßstäben nicht gerecht würde. Doch dies ist nicht geschehen.

Giffhorn freut sich auf Widerlegungsversuche durch kompetente Fachleute und auf sachliche Diskussionen seiner Forschungsergebnisse, betont er gegenüber Telepolis. Aber solche Debatten fanden in der Öffentlichkeit noch nicht statt.

Ich habe den Eindruck, dass führende Fachvertreter eine Diskussion verhindern wollen, weil sie davon ausgehen, dass sie die schlechteren Argumente haben, und dass es ihre Machtposition gefährden würde, wenn das allgemein bekannt wäre.

Hans Giffhorn

Die institutionalisierte Wissenschaft ist wie jedes andere gesellschaftliche Feld nicht frei von Machtstrukturen, weiß Giffhorn.

Historische Präzedenzfälle

Ein Blick in die Fachgeschichte zeigt, dass dies aber gar nichts Neues ist. Auch in früheren Jahrzehnten lehnte die Mehrheit der Fachhistoriker unkonventionelle Thesen zur Amerika-Entdeckung schon zu Unrecht ab.

So mussten etwa Helge Ingstad, ein norwegische Jurist, und seine Frau Anne-Stine Ingstad, eine Archäologin, Anfang der 1960er Jahre auf eigene Faust die nordostamerikanische Küstenregion auf alte Wikingersiedlungen hin absuchen, die in den altnordischen Sagas erwähnt wurden. Die Sagas galten der etablierten Wissenschaft bis dato mehrheitlich nicht als glaubhafte historische Quellen und Kolumbus als der erste Europäer in Amerika.

An der Nordspitze der kanadischen Insel Neufundland entdeckten die Ingstads jedoch mit Hilfe der Sagas Reste einer alten Nordmänner-Siedlung ("L’Anse aux Meadows").11 Die Entdeckung Amerikas - von Europa aus - musste gut 500 Jahre vordatiert werden.

Die norwegische Archäologin Anne Stine Ingstad entdeckte gemeinsam mit ihrem Mann Anfang der 1960er Jahre Überreste der rund tausend Jahre alten Wikingersiedlung "L'Anse aux Meadows" in Amerika und widerlegte damit die damals herrschende Lehre. Bild rechts: Eine Rekonstruktion der Siedlung. Bilder: Smithsonian Institution, Carlb / Public Domain.

Ein anderes Beispiel ist Monte Verde, eine prähistorische Siedlung in Chile, die in den 1970er Jahren von einer Archäologengruppe um den US-amerikanischen Anthropologen Tom Dillehay erforscht wurde. Radiokarbondatierungen bestätigten, dass dieser Ort bereits Tausende Jahre vor der ursprünglich angenommenen Besiedelung Amerikas über die rund 8000 Kilometer weiter nördlich gelegene Beringstraße bewohnt war. Auch hier musste die Ursprungstheorie von der Erstbesiedelung korrigiert werden, die Debatten halten bis heute an.

Nazis und Sektengründer instrumentalisierten die Chachapoya für sich

Mehr Offenheit für unkonventionelle Ansätze würde der Fachwelt also gut anstehen. Doch gab es eben auch die anderen Beispiele, wie die des französischen Nazis Jaques de Mahieu oder des US-amerikanischen Sektengründers Gene Savoy, die die historischen Forschungen zu den Chachapoya aus politisch-ideologischen bzw. religiösen Gründen instrumentalisiert haben.

Ersterer zitierte die Konquistadorenberichte von hellhaarigen Chachapoya und leitete daraus ab, dass dies Nachfahren einer Wikingerexpedition gewesen seien, aus denen der Inka-Adel hervorgegangen sei. Da sich diese Herrenrasse jedoch mit den einheimischen Indianern vermischt habe, sei sie schließlich untergegangen, so de Mahieu. Die Vermischung nordischer Herrenmenschen mit minderwertigen Völkern führe eben zum Untergang, so lautete die eigentliche, rassistische Botschaft des früheren Mitglieds der Waffen-SS.

Der Abenteurer Gene Savoy hingegen entdeckte zwar zahlreiche Ruinen in Peru, predigte aber auch, dass Handelsmissionen König Salomons und sogar Jesus höchstpersönlich die Chachapoya besuchten. Mit dieser Lehre versammelte er einen Kreis von gut zahlenden Gläubigen um sich. In einem anderen Fall erkannten Mormonen in den Berichten von hellhäutigen, blonden Chachapoya einen der verlorenen zwölf Stämme Israels wieder.

Ein weiterer Name der in Zusammenhang mit Giffhorns Theorie gern zur Diskreditierung benutzt wird, ist der Erich von Dänikens. Der Schweizer Autor vertritt seit Jahrzehnten die These, dass Außerirdische in früheren Jahrtausenden die Erde besucht und intensiven Kontakt zu Menschen hatten. Für viele Menschen wirkt dies dermaßen unvorstellbar, dass von Dänikens Name mittlerweile zum Inbegriff für Unseriosität geworden ist.12 Offenbar wirkt für viele auch die Vorstellung altertümlicher Schiffsreisen über den Atlantik ähnlich unvorstellbar wie der Besuch Außerirdischer.

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