War die "Neue Welt" gar nicht so neu?

Traditionelles Kuelap-Wohnhaus. Bild: Tanakochan / CC-BY-SA-4.0

Ein Überblick über Gegenargumente und Reaktion zu Hans Giffhorns Chachapoya-Hypothese. Teil 3

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Der Kulturwissenschaftler Hans Giffhorn hat in jahrelanger Forschung ein Szenario und eine Indizienkette geliefert, um Licht in die bislang unbekannte Herkunft der Chachapoya-Kultur Perus zu bringen. (Teil 1 und Teil 2) Anhand von Gegenargumenten überprüfte er dabei seine Hypothesen selbst und widerlegte eigene Annahmen - bis plausible Szenarien entstanden.

Viele der Gegenargumente begegnen Giffhorn bis heute in Diskussionen. Diese sollen hier im Folgenden dargestellt werden genauso wie die Reaktionen auf Giffhorns Theorie. Diese waren jedoch nur selten vom argumentativen Austausch und häufig von Polemik und Aggressivität geprägt. Einzelne Wissenschaftler zeigen aber, dass es auch anders geht.

Hans Giffhorn geht es nicht darum, mit seiner Hypothese Recht zu haben, erläuterte im Gespräch mit Telepolis. Er wollte wissen, woher die Chachapoya kamen. Die Altamerikanistik kann diese Frage bislang nicht befriedigend beantworten, sagt er. "Ich wollte helfen." Um einer wissenschaftlichen Vorgehensweise gerecht zu werden, suchte er selbst nach Argumenten, die seine Hypothesen widerlegen könnten.

Einige dieser Gegenargumente, die teilweise auch im Telepolis-Forum schon genannt wurden, konnte er widerlegen, andere Widerlegungsversuche führten zu Korrekturen und Präzisierungen der Hypothesen oder sogar zu überraschenden neuartigen Antworten.1

Seine Nachforschungen führten letztlich zur bereits vorgestellten Hypothese. Diese liefere für die Vielzahl ungeklärter Phänomene plausible Erklärungen im Gegensatz zu den bislang veröffentlichten Erklärungsversuchen der archäologischen Fachwelt, betont Giffhorn. Im Buch und insbesondere auf der DVD belegt er seine Argumentation mit einem umfangreichen Register an Fachliteratur, Foto- und Filmaufnahmen sowie mit Experteninterviews.

Trotzdem hat die archäologische Fachwelt Giffhorns Forschungsergebnisse in großen Teilen bislang noch nicht öffentlich zur Kenntnis genommen. Damit befasst sich der dritte und letzte Teil dieser Artikelserie. Doch zuerst zu den Gegenargumenten:

Macht der extrem weite Reiseweg die Theorie unrealistisch?

In Teil 1 und 2 wurde dargestellt, dass in der Antike schon durchaus die Möglichkeit bestand, vom damaligen Spanien aus per Schiff den südamerikanischen Kontinent zu erreichen und im Anschluss den Amazonas hinauf bis in sein Quellgebiet zu befahren. Das klingt aus heutiger Sicht zwar abenteuerlich, doch gelang dies Eroberern, Forschern und Abenteurern früherer Zeiten wie Cabral, de Orellana oder Teixeira nachgewiesenermaßen tatsächlich.

Dass solche Leistungen auch keine "Eintagsfliegen" waren, belegte der US-amerikanische Journalist Tony Horwitz in einem Buch2, in dem er mehrere mindestens ebenso abenteuerliche Erkundungsreisen spanischer Eroberer im 16. Jahrhundert in der Neuen Welt beschrieb. Heute fast vergessene Entdecker wie Álvar Núñez Cabeza de Vaca, Hernan de Soto oder Francisco Vásquez de Coronado hatten in fanatischer Goldgier, in Missionierungseifer oder Überlebenskampf tausende Kilometer auf amerikanischem Boden in großen Teilen sogar zu Fuß zurückgelegt. Antiken Einwanderern können deshalb Bereitschaft und Fähigkeit zu ebensolchen Leistungen nicht pauschal abgesprochen werden.

Warum konnten Chachapoya nicht schreiben?

Doch es gibt weitere Argumente gegen Hans Giffhorns Theorie. "Schon als Schüler habe ich von meinem Geschichtslehrer gelernt, dass solche Einwanderungen nie stattgefunden haben können, weil sonst die Archäologen in Südamerika Räder, Eisenwerkzeuge und eine Buchstabenschrift entdeckt hätten: Diese Errungenschaften der Alten Welt hätten die Einheimischen doch sicher nicht ignoriert", schreibt Giffhorn. Und tatsächlich sind im Chachapoya-Gebiet bislang keine solchen Artefakte aus präkolumbischer Zeit gefunden worden.

Was könnten plausible Gründe für eine fehlende Chachapoya-Schriftkultur in Giffhorns Theorie sein? In der Antike konnten nur wenige Menschen schreiben, erläutert er. Einwanderer aus der Alten Welt wären vor allem Krieger, Bauern und Seeleute gewesen, die nie schreiben gelernt hatten und höchstens ein paar Buchstaben oder Symbole vom Sehen kannten. Selbst die allermeisten der spanischen Konquistadoren gut 1.600 Jahre später waren Analphabeten. Vor Ort in Amerika sind sie ohne Schrift trotzdem gut ausgekommen, sagt Giffhorn.

Die Kelten besaßen in der vorrömischen Zeit zudem praktisch keine Schriftkultur, erläutert der Wissenschaftler weiter. Selbst wenn jemand der Expeditionsteilnehmer schreiben konnte und die Reise bis zum Ende überlebt hätte, wäre diese Fähigkeit im Verlauf der Generationen verloren gegangen, vermutet Giffhorn.

Warum nutzten die Chachapoya das Rad nicht?

Auch das Rad hätte in der steilen Andenregion keine Verwendung gefunden. "Noch heute benutzen die Bauern im zerklüfteten Chachapoya-Gebiet Lasttiere", erklärt der Forscher. "Niemand besitzt dort Schubkarren oder Wagen." Die Kelten haben das Rad in Europa vor allem für Lastenfahrzeuge genutzt, so Giffhorn. Doch in der Chachapoya-Region fehlte es damals sowohl an Fahrwegen als auch an Zugtieren. Geeignete Schmierstoffe wie Rindertalg existierten dort ebenfalls nicht. Räder einzusetzen, hätte keine Vorteile gebracht.

Östliche Festungsmauer von Kuelap. Bild: Martin St-Amant / CC-BY-SA-3.0

Das Rad war für südamerikanische Ureinwohner auch gar nichts Neues. Die Inka kannten es und verwendeten es für Spielzeuge, die Maya benutzten sogar Zahnräder in mechanischen Kalendern. Im Arbeitsleben habe es jedoch keine Einsatzmöglichkeiten gegeben - auch im Amazonasgebiet nicht, dort werden Waren vor allem auf dem Wasserweg transportiert. Spinnräder oder Töpferscheiben wiederum gehörten nicht zum Alltag antiker Kelten. Das Fehlen von Rad und Schrift im Chachapoya-Gebiet beweise und widerlege nichts, betont Giffhorn.

Kein Erz, keine Eisengeräte

Geräte und Waffen aus Eisen hingegen wären durchaus beachtliche Vorteile für die Chachapoya gewesen. Wahrscheinlich hatten die Einwanderer solche, etwa Eisenschwerter3, dabei. Doch neues Gerät herstellen konnten sie dort nicht. Ihnen waren vor Ort keine geeigneten Erzvorkommen bekannt.

"So wäre die Fähigkeit zur Erzgewinnung und -verarbeitung bald in Vergessenheit geraten", schlussfolgert Giffhorn. Auch ihre mitgebrachten Eisengegenstände wären im feuchtwarmen Klima Amazoniens und der Anden-Nebelwälder schnell verrostet und unbrauchbar geworden. Heute nach 2000 Jahren wären sie komplett zerfallen.

Als Grabbeigabe in gut verborgenen Anlagen könnten aber Eisenobjekte die Zeiten (und die Plünderungen durch Inka und Konquistadoren) bis heute überstanden haben. Nicht auszuschließen, dass es solche Funde demnächst gibt? "Die Chance wäre äußerst gering", erklärt Giffhorn. Die peruanischen Behörden seien äußerst zurückhaltend mit Grabungslizenzen, an vielen Chachapoya-Stätten wurde noch nie wissenschaftlich gegraben. Andere waren dort jedoch bereits: Grabräuber.

"Wenn wir eine scheinbar intakte Grabstätte entdecken, ja, dann wartet auf uns meistens eine Überraschung. Wir finden vor Ort zerfledderte Mumienbündel und Scherben und sonst nichts mehr", sagte etwa der deutsch-peruanische Ethnologe Peter Lerche, der in der Chachapoya-Region schon seit Jahrzehnten forscht.

Die Gräber enthalten oft Goldschmuck, erfuhr Giffhorn von einem Grabräuber, der ihm anonym ein Interview gab - zu sehen in Giffhorns Dokumentarfilm. Einheimische Bauern und organisierte Banden stöbern Grabstätten auf und plündern diese, erzählte der Befragte. Sei ein Mumienbündel überdurchschnittlich schwer, werde es ausgepackt. Armknochen mit Goldschmuck daran reißen die Räuber vom Rest des Skeletts einfach ab.

Über die westlich gelegene Provinzhauptstadt Cajamarca gelangen die Grabbeigaben schließlich in die USA und nach Europa, die Polizei deckt Ausfuhr und Schwarzhandel, weil sie am Gewinn beteiligt wird, berichtet der Grabräuber. Besonders ernüchternd: Sämtliche Chachapoya-Grabstätten, die Archäologen bislang untersucht haben, wurden zuerst von Bauern oder professionellen Grabräubern entdeckt und geplündert.

Y-DNA könnte Aufschluss geben

Genetische Analysen übrigens, wie sie in Teil 2 vorgestellt wurden, sind für Giffhorns Theorie im engeren Sinne nicht entscheidend - egal ob ihr Ergebnis vorteilhaft oder nachteilig ausfallen würde. Zum einen ist unklar, ob das Gringuito-Phänomen tatsächlich etwas mit den Ursprüngen der Chachapoya-Kultur zu tun hat, obwohl das sehr nahe liegt. Zum anderen aber wurden bislang keine präkolumbischen Mumien dieser Kultur auf die Y-Haplogruppen, also die väterliche Herkunft, untersucht.

Das Publikum sei heute aber zu sehr auf DNA-Befunde fixiert, sagt Giffhorn.

Wenn sie fehlen, glauben Laien auch den Rest nicht. So wird manchmal behauptet, dass die Arbeitshypothese nur dann verlässlich sei, wenn in der DNA von Chachapoya-Mumien Nachweise für eine antike Einwanderung aus Europa entdeckt würden.

Hans Giffhorn

Aber fehlende DNA-Beweise lassen die zahlreichen anderen von Giffhorn vorgelegten Indizien, die weitaus zwingender seine Hypothese bestätigen, nicht verschwinden.

Giffhorn hätte ja selbst DNA-Proben aus Chachapoya-Mumien vor Ort entnehmen und analysieren lassen können, werfen ihm Kritiker vor. Doch hierfür wäre eine Genehmigung der peruanischen Behörden nötig. Solch eine zu bekommen, zumal als Nicht-Genetiker, sei utopisch, betont Giffhorn.

Zudem gebe es bei den entsprechenden Autoritäten in Peru nicht das geringste Interesse daran, Zweifel an der einheimischen Herkunft der Chachapoya entstehen zu lassen. In seinem Buch und im Dokumentarfilm4, hat Giffhorn an Beispielen belegt, dass die Personen, die in Peru die genetischen Forschungen kontrollieren, das Bekanntwerden solcher Belege für Kontakte zwischen präkolumbischen Chachapoya und Europäern mit allen Mitteln verhindern.

Was spricht gegen Einwanderung aus anderen Teilen Südamerikas?

Klar ist trotzdem, es gab durchaus Einwanderungen ins Chachapoya-Gebiet aus anderen Teilen Südamerikas. Das betont auch Giffhorn. Die Entwicklung der Chachapoya-Keramiktradition lässt beispielsweise darauf schließen. Aber wesentliche Teile der Chachapoya-Kultur wie etwa die spezielle Kombination von Festungsmauern und Rundbauten, lassen sich mit einer Wanderung innerhalb Südamerikas genauso wenig erklären wie die anderen in Teil 2 vorgestellten Kulturmerkmale.

Seit mehr als 60 Jahren suchen Forscher überall in Amerika nach Wurzeln der Chachapoya-Kultur. So entstand eine Reihe von Theorien über deren Herkunft. Der US-amerikanische Archäologe Warren Church, einer der renommiertesten Chachapoya-Experten, analysierte mit großem Aufwand alle diese Theorien, und konnte sie widerlegen: Nirgendwo in Amerika fanden sich überzeugende Entsprechungen zur Chachapoya-Kultur.5

Auch die verschiedenen Einwanderungstheorien der anderen zu den Chachapoya forschenden Archäologen bestätigen das. In ihren Veröffentlichungen widerlegten die Wissenschaftler nämlich selbst sämtliche Positionen der konkurrierenden archäologischen Theorien und bewiesen damit, dass keiner der Ansätze stimmt. Die Forschungen der Fachwissenschaftler zur Ursprungsfrage steckten schon 1998, bei Giffhorns erster Begegnung mit der Chachapoya-Kultur, in einer Sackgasse. "Bis heute hat sich daran nichts geändert", betont er.

"Wenn irgendjemand eine auch nur ansatzweise plausible Erklärung angeboten hätte, wäre das Thema für mich damit erledigt gewesen und es hätte weder das Buch noch die DVD gegeben", sagt Giffhorn. Doch plausible Erklärungen dafür, dass alle Chachapoya aus Amerika stammen und auch ihre kulturellen Merkmale dort entstanden, fand er nicht.

Deshalb sei es logisch, dass auch außerhalb dieses Kontinents nach Ursprüngen etwa der Bautradition gesucht werde. Wissenschaftliche archäologische Arbeiten zogen diese Möglichkeit bis dato jedoch nicht mal in Betracht.

Reaktionen der Fachwelt

Trotz monatelanger Wartezeit reagierte auch auf eine erneute Telepolis-Anfrage keiner der beiden vom Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) vorgeschlagenen Experten. So bleiben öffentliche Auseinandersetzung von deutschen Altamerikanisten, Geschichtswissenschaftlern und Archäologen mit Hans Giffhorns Argumenten rar.6 Ausnahme bleibt der Bielefelder Althistoriker Raimund Schulz.

Warum seine Kollegen eine Antwort scheuen, könne auch er nur vermuten. Die Frage nach vorkolumbischen Atlantiküberquerungen sei eben ein "heißes Eisen", an dem sich so mancher Forscher schon die Finger verbrannt habe, so Schulz. Zudem sei das Thema leicht zu instrumentalisieren, was etwa eine Bemerkung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zeige, der vor zwei Jahren erklärte, muslimische Seeleute hätten Amerika bereits im 12. Jahrhundert erreicht.

"Dass man sich von solchen Spekulationen distanziert, mag auch ein gewisser Selbstschutz sein", erklärt Schulz gegenüber Telepolis.

Hinzu kommt ein strukturelles Problem, das mit der Situation großer und traditionsreicher Fächer wie die Altertumswissenschaft zusammenhängt. Diese kann auf eine jahrhundertealte, glanzvolle Tradition von Forschung und Erkenntnisgewinnen zurückblicken, und wenn da jemand mit einer neuen, unkonventionellen These kommt, dann entstehen in der Regel erst einmal reflexartige Abwehrmechanismen, die sich häufig in Nichtbeachtung äußern, zumal wenn es sich um einen fachfremden, d.h. nicht zünftigen Althistoriker handelt. Man fragt sich dann sofort, warum dessen Überlegungen nicht schon längst von anderen des Faches angestellt wurden, und da das nicht der Fall ist, ist die Skepsis groß.

Raimund Schulz

Schulz selbst findet es jedoch wichtig, sich mit neuen Thesen auseinanderzusetzen, sofern sie methodisch und sachlich gut begründet sind. Dies treffe auf Giffhorns Werk zu. Und selbst wenn sich Thesen nicht durchsetzen können, so zwingen sie die Wissenschaft doch, alte Konzepte noch einmal kritisch zu durchdenken.

Deshalb habe er sich auch für sein Buch zu antiken Entdeckungsfahrten mit Giffhorns Theorie beschäftigt. Letztlich gehe es auch gar nicht so sehr um "eindeutig wahr oder falsch" - dies sei oft gar nicht sicher feststellbar - sondern viel mehr um die sorgfältige Abwägung von Plausibilitäten und Argumenten, sagt Schulz. Nur so funktioniere sinnvolle Geschichtswissenschaft.

Er scheint damit jedoch eine Ausnahme unter seinen Kollegen zu sein. Sonstige Äußerungen sind nämlich selten. Der Focus befragte zum Erscheinen von Giffhorns Buch 2013 den deutschen Archäologen Klaus Koschmieder, der Giffhorns Hypothesen ablehnt, das Buch aber gar nicht gelesen hatte. Dafür kenne er einen Film Giffhorns aus dem Jahre 2000, ist beim Focus zu erfahren. Eine ernstgemeinte Auseinandersetzung sieht tatsächlich anders aus.

Im letzten Jahr verfasste zudem der Historiker Alexander Bräuer von der Universität Rostock eine kritische Rezension zu Giffhorns Buch - erste Auflage - obwohl die aktualisierte zweite Auflage zu diesem Zeitpunkt schon seit eineinhalb Jahren veröffentlicht war. Doch auch dieser Autor geht auf die von Giffhorn veröffentlichten Indizien nicht ein, stattdessen wirft er ihm Postkolonialismus vor.

Giffhorn habe seine eigene Position im Forschungsprozess nicht kritisch reflektiert, so Bräuer. Dann bezeichnet er Giffhorn als "männlichen weißen Helden, der den südamerikanischen Staaten Peru und Brasilien (…) die Geschichte erklären will". Giffhorn betont jedoch sowohl in Buch als auch Dokumentarfilm immer wieder seine Achtung vor der Kompetenz der südamerikanischen Forscher, seine Wertschätzung ihrer Expertise und seine Ablehnung jeglicher Idee von nationaler Überlegenheit. Bräuers Schlussfolgerungen wirken deshalb doch arg konstruiert.

"Pseudowissenschaftler" und Hintertüren

Auch die Reaktionen der internationalen Fachwelt auf Giffhorns Theorie sind übersichtlich und teils ähnlich polemisch. Zwar erhalte er in persönlichen Gesprächen mit Chachapoya-Forschern anderer Länder durchaus Anerkennung und Ermutigung, berichtet Giffhorn gegenüber Telepolis. Doch diese Experten vermeiden es fast durchgehend, sich öffentlich mit ihm auseinanderzusetzen. Und auch die wenigen Stellungnahmen, die es gibt, befassen sich nur mit der veralteten ersten Auflage seines Buches.

Die Schweizer Historikerin Geneviève Lüscher hatte es in einer Rezension für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) unter dem Titel "Wenn die Fantasie durchbrennt" verrissen. Giffhorn bezeichne sich als "Kulturwissenschaftler"7, heißt es darin, dessen wissenschaftliches Renommee sich "auf ein paar Dokumentarfilme über Flora und Fauna des Urwalds" beschränke.8 In ihrem kurzen Text stellt sie Giffhorn de facto als "geschickten" Betrüger und "Pseudowissenschaftler" dar, der "Kartenhäuser" aufbaue und sich "Hintertüren" offenhalte. Der zuständige NZZ-Redakteur entschuldigte sich später persönlich bei Giffhorn für den Text.

Der österreichische Anthropologe Horst Seidler immerhin, blieb genauso sachlich wie urteilsfrei. Von der Zeitung Kurier gefragt, sagte er: "Die Herkunft der Chachapoya ist in der Tat unklar." Und zu Giffhorns Theorie: "Ich habe mir abgewöhnt zu sagen, 'So etwas gibt es nicht'. Der Wert seiner Hypothese, steht und fällt aber mit den wissenschaftlichen Studien, die er zitiert."

Warren B. Church, Chachapoya-Experte aus den USA, unterstützte Giffhorn durch wichtige Sachinformationen bei der Entwicklung und Überprüfung der Hypothese. Als der US-Sender PBS einen Dokumentarfilm über Giffhorns Arbeit gezeigt hatte, verteidigte Church den deutschen Forscher sogar in einem Blog, dessen Autor Giffhorn angegriffen hatte.

Offiziell könne aber auch Church nicht Giffhorns Argumente vertreten, erklärt der Kulturwissenschaftler. Church sei ja noch im Universitätsbetrieb aktiv und damit vom Wohlwollen bestimmter Fachautoritäten abhängig.

Aus diesen Gründen habe Church vermutlich auch darauf verzichtet, seine Magisterarbeit zu veröffentlichen, so Giffhorn, in der Church archäologische Beweise für das deutlich höhere Alter der Chachapoya-Kultur präsentiert, die die herrschende Theorie widerlegen.9

Kein Interesse an europäischer Herkunft

Die peruanische Fachwelt ist ein Fall für sich, denn hier spielen noch politische Faktoren mit hinein. Grundsätzlich ist das Interesse in Peru eher gering, dass einer wichtigen einheimischen Kultur eine zumindest teil-europäische Herkunft nachgewiesen wird. Schließlich könnte man ja unterstellen, dass Indios unfähig seien, von sich aus zivilisatorische Leistungen zu bringen, sondern dazu immer auf "Weiße" angewiesen seien. Giffhorn hält solche Ideen übrigens für "Blödsinn" und hat sich in seinen Veröffentlichungen schon mehrfach klar davon distanziert.

In Peru wird das Themenfeld zudem vor allem von einer einzigen Person - Federico Kauffmann Doig - beherrscht, einem 88-jährigen Historiker und Archäologen. "Er verteilt Forschungsgelder, Aufträge und Posten an nachfolgende Wissenschaftler", erklärt Giffhorn. Federico Kauffmann Doig kontrolliert als Doyen der peruanischen Archäologie wichtige Ressourcen zur Chachapoya-Forschung vor Ort. Und er hat auch die Theorie aufgestellt, dass die Chachapoya ein rein indigenes Volk waren, das um 900 n. Chr. aus der Wanderung peruanischer Hochandenbewohner in die bis dato unbewohnten Bergnebelwälder hervorging.10

Damit habe sich Kauffmann Doig viele Freunde in der peruanischen Politik gemacht. Einheimische Forscher, die diese Theorie widerlegen würden, hätten unter ihm keine nennenswerten Karriereaussichten mehr, sagt Giffhorn.

Wissenschaftler intern unter Druck gesetzt

Die Angst vieler Wissenschaftler um ihre akademische Karriere sei aber auch außerhalb Perus Hauptgrund für das Schweigen zu Giffhorns Theorie, vermutet dieser. "Es gibt auch in Deutschland wichtige 'Fachpäpste', deren Zorn abhängige Forscher nicht auf sich lenken sollten." Archäologen, die mit Giffhorn zusammengearbeitet haben, wurden nach der Buchveröffentlichung intern unter Druck gesetzt, hat er erfahren. Im Gespräch mit Telepolis nennt er auch Namen, zum Schutz der betroffenen Kollegen sollten diese jedoch nicht öffentlich werden.

Auch ein international führender Molekulargenetiker, der viele Jahre mit Giffhorn zusammengearbeitet hat, wurde deshalb daran gehindert, seine Forschungen zu den Chachapoya abzuschließen. Der Fall wird in Giffhorns Dokumentarfilm näher beleuchtet.

An fehlender Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit kann die Verweigerung einer sachlichen Auseinandersetzung nicht liegen, ist er sich sicher. Zum einen sind zahlreiche Wissenschaftler und ihre Forschungsergebnisse Teil seiner Theorie. Zum anderen wäre er schon lange von Experten widerlegt worden, wenn seine Arbeit wissenschaftlichen Maßstäben nicht gerecht würde. Doch dies ist nicht geschehen.

Giffhorn freut sich auf Widerlegungsversuche durch kompetente Fachleute und auf sachliche Diskussionen seiner Forschungsergebnisse, betont er gegenüber Telepolis. Aber solche Debatten fanden in der Öffentlichkeit noch nicht statt.

Ich habe den Eindruck, dass führende Fachvertreter eine Diskussion verhindern wollen, weil sie davon ausgehen, dass sie die schlechteren Argumente haben, und dass es ihre Machtposition gefährden würde, wenn das allgemein bekannt wäre.

Hans Giffhorn

Die institutionalisierte Wissenschaft ist wie jedes andere gesellschaftliche Feld nicht frei von Machtstrukturen, weiß Giffhorn.

Historische Präzedenzfälle

Ein Blick in die Fachgeschichte zeigt, dass dies aber gar nichts Neues ist. Auch in früheren Jahrzehnten lehnte die Mehrheit der Fachhistoriker unkonventionelle Thesen zur Amerika-Entdeckung schon zu Unrecht ab.

So mussten etwa Helge Ingstad, ein norwegische Jurist, und seine Frau Anne-Stine Ingstad, eine Archäologin, Anfang der 1960er Jahre auf eigene Faust die nordostamerikanische Küstenregion auf alte Wikingersiedlungen hin absuchen, die in den altnordischen Sagas erwähnt wurden. Die Sagas galten der etablierten Wissenschaft bis dato mehrheitlich nicht als glaubhafte historische Quellen und Kolumbus als der erste Europäer in Amerika.

An der Nordspitze der kanadischen Insel Neufundland entdeckten die Ingstads jedoch mit Hilfe der Sagas Reste einer alten Nordmänner-Siedlung ("L’Anse aux Meadows").11 Die Entdeckung Amerikas - von Europa aus - musste gut 500 Jahre vordatiert werden.

Die norwegische Archäologin Anne Stine Ingstad entdeckte gemeinsam mit ihrem Mann Anfang der 1960er Jahre Überreste der rund tausend Jahre alten Wikingersiedlung "L'Anse aux Meadows" in Amerika und widerlegte damit die damals herrschende Lehre. Bild rechts: Eine Rekonstruktion der Siedlung. Bilder: Smithsonian Institution, Carlb / Public Domain.

Ein anderes Beispiel ist Monte Verde, eine prähistorische Siedlung in Chile, die in den 1970er Jahren von einer Archäologengruppe um den US-amerikanischen Anthropologen Tom Dillehay erforscht wurde. Radiokarbondatierungen bestätigten, dass dieser Ort bereits Tausende Jahre vor der ursprünglich angenommenen Besiedelung Amerikas über die rund 8000 Kilometer weiter nördlich gelegene Beringstraße bewohnt war. Auch hier musste die Ursprungstheorie von der Erstbesiedelung korrigiert werden, die Debatten halten bis heute an.

Nazis und Sektengründer instrumentalisierten die Chachapoya für sich

Mehr Offenheit für unkonventionelle Ansätze würde der Fachwelt also gut anstehen. Doch gab es eben auch die anderen Beispiele, wie die des französischen Nazis Jaques de Mahieu oder des US-amerikanischen Sektengründers Gene Savoy, die die historischen Forschungen zu den Chachapoya aus politisch-ideologischen bzw. religiösen Gründen instrumentalisiert haben.

Ersterer zitierte die Konquistadorenberichte von hellhaarigen Chachapoya und leitete daraus ab, dass dies Nachfahren einer Wikingerexpedition gewesen seien, aus denen der Inka-Adel hervorgegangen sei. Da sich diese Herrenrasse jedoch mit den einheimischen Indianern vermischt habe, sei sie schließlich untergegangen, so de Mahieu. Die Vermischung nordischer Herrenmenschen mit minderwertigen Völkern führe eben zum Untergang, so lautete die eigentliche, rassistische Botschaft des früheren Mitglieds der Waffen-SS.

Der Abenteurer Gene Savoy hingegen entdeckte zwar zahlreiche Ruinen in Peru, predigte aber auch, dass Handelsmissionen König Salomons und sogar Jesus höchstpersönlich die Chachapoya besuchten. Mit dieser Lehre versammelte er einen Kreis von gut zahlenden Gläubigen um sich. In einem anderen Fall erkannten Mormonen in den Berichten von hellhäutigen, blonden Chachapoya einen der verlorenen zwölf Stämme Israels wieder.

Ein weiterer Name der in Zusammenhang mit Giffhorns Theorie gern zur Diskreditierung benutzt wird, ist der Erich von Dänikens. Der Schweizer Autor vertritt seit Jahrzehnten die These, dass Außerirdische in früheren Jahrtausenden die Erde besucht und intensiven Kontakt zu Menschen hatten. Für viele Menschen wirkt dies dermaßen unvorstellbar, dass von Dänikens Name mittlerweile zum Inbegriff für Unseriosität geworden ist.12 Offenbar wirkt für viele auch die Vorstellung altertümlicher Schiffsreisen über den Atlantik ähnlich unvorstellbar wie der Besuch Außerirdischer.

Diskurswaffen und Totschlagargumente

Dass Forscher sich nicht mit unseriösen Theorien befassen wollen, ist einerseits nachvollziehbar. Doch wird es andererseits dadurch auch leicht, jegliche weitere unorthodoxe Theorie mit in diesen Topf der Esoteriker und Rassisten zu werfen. Diese ist dadurch von vornherein diskreditiert, über Argumente und Beweisführung muss dann nicht mehr geredet werden. Genau diese Diskurswaffen wurden auch gegen Giffhorn eingesetzt, bevor sein Buch der Fachwelt bekannt war.

Ähnlich aggressiv geht es hinter den Kulissen der Wikipedia zu. Diese Hintergrundkämpfe sind in den archivierten Diskussionsseiten und Versionsgeschichten der Online-Enzyklopädie im Gegensatz zu Machtkämpfen im sonstigen Leben aber vollständig einsehbar. Der Wikipedia-Artikel zu den Chachapoya fällt zum einen dadurch auf, dass Hans Giffhorns Forschungen darin mit Ausnahme zweier Fußnoten komplett ignoriert, genauer gesagt gezielt aussortiert werden (siehe die Versionsgeschichte des Artikels). Zum anderen ist beachtlich, dass die Diskussionsseite um ein Vielfaches länger ist als der Artikel selbst.

Offen einsehbare Machtkämpfe in der Wikipedia

An den Einträgen wird deutlich, wie stark die Enzyklopädie bei brisanten, strittigen oder politischen Themen an diesen Machtkämpfen krankt. Individuelle Wertungen und persönliche Abneigungen Einzelner höchst aktiver Wikipedianer strukturieren solche Artikel offensichtlich viel mehr als ein sachliches Streben nach Vollständigkeit.

In der Wikipedia-Diskussion benutzen die Giffhorn-Kritiker genau die zuvor benannten Diskurswaffen. Sie werfen ihm Rassismus und Fantasterei vor, allein der Name Däniken taucht auf der Diskussionsseite 15-mal auf. Und das obwohl Giffhorn in seinen Veröffentlichungen immer wieder deutlich gegen rassistische Theorien oder Dänikens Methoden Stellung bezieht.

Zudem sprechen die Gegner Giffhorn mehrfach die wissenschaftliche Arbeitsweise oder gleich die gesamte Qualifikation ab. Als promovierter Wissenschaftler mit jahrzehntelanger Universitätserfahrung in Lehre und Forschung habe er trotz 18 Jahren Auseinandersetzung mit den Chachapoya keine Kompetenz, sich zum Thema zu äußern, so der Tenor der Giffhorn-Kritiker.

Grenzenlose Forschung nötig

Hans Giffhorn betont gegenüber Telepolis jedoch: "Bei einem so komplexen Thema sind hochspezialisierte Fachwissenschaftler überfordert. Nur ein konsequent interdisziplinärer Forschungsansatz kann hier zum Erfolg führen." Die Grenzen zwischen Fachdisziplinen hätten ihn nie wirklich interessiert, ergänzt er.

Seine Forschungsprojekte seien immer durch konkrete Missstände ausgelöst worden, und die Suche nach Lösungsstrategien habe fast immer ein interdisziplinäres Herangehen erfordert. Aus wissenschaftspraktischer Sicht hat Hans Giffhorn in seiner Arbeit zu den Chachapoya die Rolle des Vernetzers von Forschungsinhalten über Fach- und Sprachgrenzen hinweg eingenommen.

Er hat bereits bestehendes Wissen von Forschern weit voneinander entfernter Disziplinen für seine Hypothesen miteinander verbunden bzw. die Experten proaktiv in seinen Forschungsprozess eingebunden. Damit hat er eine institutionell nicht vorgesehene Rolle in der Wissenschaftswelt ausgefüllt, die die meisten im Wissenschaftsbetrieb arbeitenden Forscher so nicht ausfüllen können.

In ihrem Buch "Connectedness", in dem sie für mehr Zusammenarbeit und interdisziplinäre Forschung werben, schreiben die Autoren Gerald Hüther und Christa Spannbauer:

Es waren und sind ganz oft einzelne Grenzüberschreiter und Musterbrecher in der Wissenschaft, die die interessantesten und kreativsten Erkenntnisse liefern. Sie zeigen uns, dass die Welt nicht als eine Ansammlung voneinander isolierter Teile zu sehen ist.

Gerald Hüther und Christa Spannbauer

Schon seit vielen Jahrzehnten herrsche in der Fachwelt das Paradigma, dass Forschungen zu vorkolumbischen Kulturkontakten zwischen Alter und Neuer Welt sinnlos seien, so Giffhorn. Seine Forschungen legen jedoch das Gegenteil nah. Würde dies allgemein bekannt, hätte das Folgen, die weit hinausgingen über die Frage nach der Herkunft der Chachapoya.

Anmerkung: Aus gesundheitlichen Gründen konnte der Autor diesen dritten Artikel-Teil erst deutlich später als geplant fertigstellen.

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