Warten auf die Agrarwende

Welche Versprechen wurden in diesem Jahr nicht eingehalten? Wo hapert es bei der Umsetzung? Um manch eine Ankündigung ist es seltsam still geworden.

Wortreich hatte Cem Özdemir der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Mit der Kriminalisierung von Essensrettern sollte bald Schluss sein, hieß es. Er wolle das Spenden nicht verkaufter Lebensmittel in Supermärkten und im Lebensmitteleinzelhandel erleichtern.

Die komplizierten rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen sollten dafür gelockert werden, kündigte der Grünenpolitiker zu Beginn des Jahres an. Gerade im Handel müssten Lebensmittelspenden erleichtert werden. Wenn etwa die Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden auch bei falsch etikettierter Ware wegfiele, sei es für den Handel attraktiver, diese zu spenden, anstatt sie wegzuwerfen.

Obwohl unter armen bzw. auch umweltbewussten Menschen verbreitet, ist das Containern – das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarktabfallcontainern – in Deutschland nach wie vor verboten. Supermärkte versuchen aus rechtlichen Gründen oft, das Retten von noch genießbaren Lebensmitteln aus dem Müll zu verhindern. Viele Bundesländer drücken jedoch ein Auge zu, wenn sie Menschen dabei erwischen. 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde von Studentinnen zurückgewiesen, die in Bayern beim Containern erwischt und verurteilt worden waren.

Die Menge der weggeworfenen Lebensmittel soll bis zum Jahr 2030 halbiert werden, versprach schon die ehemalige Bundesregierung. Dies sei ein gutes Vorgehen, befand Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, im noch im Februar. Doch dürfe dies nicht in "Reden oder in Appellen steckenbleiben". Genau dies ist wohl eingetreten, denn viel passiert ist seither nicht.

Warum können im Supermarkt aussortierte Waren nicht einfach an die Kunden verschenkt werden? Viele Händler scheuen sich davor auf Grund des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD). Bis dieses erreicht werde, haftet der Hersteller für die Ware, danach der der Händler – und zwar auch dann, wenn er die Lebensmittel verschenkt. Dieses Haftungsrisiko will kaum ein Supermarkt übernehmen. Steigende Lebensmittelpreise haben dazu geführt, dass weniger Essen im Müll landet , könnte man meinen. Nicht unbedingt. Viele Lebensmittel wandern dennoch in den Müll, stellte das Handelsblatt kürzlich fest.

Werden Nahrungsmittel immer teurer, erfahren Lebensmittel mehr Wertschätzung. Denn indem man diese wegwirft, wandert auch bares Geld in die Tonne, glaubt Wolfgang Hennen, Geschäftsführer von Too good to go in Deutschland. Sein Start up will überschüssiges Essen retten: Über eine App können Restaurants, Bäckereien, Cafés, Hotels und Supermärkte Lebensmittel zu einem vergünstigten Preis an Selbstabholer vermitteln und somit vor der Tonne bewahren. Seit Jahresbeginn erhält es immer stärkeren Zulauf. So war die Zahl der vermittelten Essensportionen im ersten Halbjahr von etwa 20.000 auf rund 30.000 am Tag gestiegen.