Warum Sicherheit für Israelis und Palästinenser nur zugleich möglich ist

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Frieden in Nahost lässt sich nicht militärisch herstellen. Eine zivile Lösung liegt auf dem Tisch, der Westen muss sie nur einfordern. Was das konkret bedeutet.

Bei aller berechtigten Kritik an dem blindwütigen Vorgehen von Hamas-Kämpfern am 7. Oktober insbesondere gegenüber Frauen, Kindern, Älteren und jungen unbeteiligten Menschen in israelischen Ortschaften in Grenznähe zum Gaza-Streifen sowie bei allem Verständnis für Israel, die Verantwortlichen dafür zur Verantwortung ziehen zu wollen, sollten dennoch Ursachen und Hintergründe, quasi die Vorgeschichte, wie anderswo auch hier, niemals aus dem Blick geraten.

Nicht nur, weil es sich hiermit bereits um den fünften Waffengang zwischen Hamas und Israel handelt. Sondern, weil sich darin als eine der wichtigsten Lehren bekräftigt: Ohne eine tragfähige Lösung der Palästinafrage ist auch die Sicherheit Israels nicht dauerhaft zu garantieren.

Weder jahrelange Blockaden und noch so teure Trennzäune bieten offensichtlich – ungeachtet aller eigenen militärischen Überlegenheit – letztlich keine untrügliche Gewissheit dafür, vor solcher Art barbarischen Überraschungsangriffen, zudem noch ausgeübt von milizähnlichen militärischen Formationen, gefeit zu sein.

Westliche Politiker, die bei der Bekundung ihrer uneingeschränkten Solidarität mit Israel bei dessen Recht auf Selbstverteidigung nicht gleichzeitig auch die Lösung der Palästinafrage anmahnen – wobei es nicht nur wie bislang um formale Lippenbekenntnisse gehen kann –, machen sich nolens volens der fortbestehenden Virulenz von Gewalt und Gegengewalt mitschuldig.

Allein immer wieder nur auf militärische Stärke setzen zu wollen, birgt lediglich die Gefahr eines Flächenbrandes in der Nah- und Mittelostregion in sich, obwohl dieser erklärtermaßen von niemandem gewollt zu sein scheint.

Wie Betreffende ebenso nicht mehr davon ausgehen können, wonach ihre bislang praktizierten Doppelstandards als selbstverständlich hingenommen werden. Wie sich insbesondere auf dem von Ägypten am 21. Oktober in Kairo initiierten "Gipfel für Frieden" gezeigt hat, werden gerade diese von maßgeblichen arabischen Herrschern nun besonders aufs Korn genommen.

Nicht umsonst rügen sowohl der ägyptische Präsident als auch der jordanische König den Westen wegen seiner Einseitigkeit beim Herangehen an diesen Waffengang. Damit vermittle sich die eindeutige Botschaft an die arabische Welt, wonach im westlichen Verständnis das Leben von Palästinensern weniger zähle als das der Israelis und folglich Menschenrechte nicht für alle in gleicher Weise zu gelten hätten.

Obwohl es doch eigentlich, wie zugleich noch von ihnen unterstrichen, für alle darum gehen sollte, eine Zukunft des Friedens und der Sicherheit sowohl für Israelis als auch für Palästinenser zu ermöglichen.

Die Palästinafrage gehört wieder auf die Agenda

Was eben bedeutet, nicht nur die Unantastbarkeit des Existenzrechts von Israel zu bekräftigen, sondern gleichermaßen das Existenzrecht Palästinas anzuerkennen und durchzusetzen. Wozu es der Lösung der Palästinafrage auf der Grundlage der einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, nämlich in den Grenzen von 1967, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt des Palästina-Staates, bedarf.

Und wie dies analog auch in der 2002 von der Arabischen Liga verabschiedeten und auf dem Gipfeltreffen 2023 erneuerten "Arabischen Initiative" zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel festgeschrieben ist. Jedoch ist Israel auch in die Pflicht zu nehmen, seine Politik der Unterminierung der Zwei-Staaten-Lösung zu beenden.

Weder ist das beständig forcierte Siedlungswesen hinzunehmen, welches eine flagrante Verletzung des Völkerrechts, darunter auch des Kriegsvölkerrechts darstellt, da es einer Besatzungsmacht verboten ist, permanente Veränderungen in den von ihr kontrollierten Gebieten vorzunehmen. Noch darf unwidersprochen bleiben, wenn der Koalitionsvertrag der jetzigen israelischen Regierung das exklusive und unveräußerliche Recht auf alle Gebiete des Landes Israel bekräftigt und sich der Ministerpräsident dazu verpflichtet, eine solche Politik zu verfolgen, die die Herstellung der israelischen Souveränität über Judäa und Samaria, also des palästinensischen Westjordanland, ermöglicht.

Umso dringlicher deshalb ist, die Palästinafrage mit Nachdruck auf die internationale politische Agenda zu setzen; mit dem Ziel, Gerechtigkeit auch für das palästinensische Volk zu schaffen und den für alle beteiligten Seiten fatalen Zyklus von Gewalt und Gegengewalt endlich zu beenden.

Wie anderswo, so gilt auch in der Nah- und Mittelostregion: Dauerhafte Sicherheit und stabiler Frieden sind nicht gegeneinander zu erreichen. Dementsprechend bedarf es des fairen Interessenausgleichs zwischen Israelis und Palästinensern auf der Basis der friedlichen Koexistenz zwischen allen hier beheimateten Staaten.

In diesem Sinne sucht nicht zufällig insbesondere China – nach der erfolgreich vermittelten Aussöhnung zwischen Iran und Saudi-Arabien im März dieses Jahres – alles daranzusetzen, eine internationale Nahost-Friedenskonferenz – nach dem Muster der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zu initiieren.

Gemeinsam mit anderen geht es jedoch auf dem Weg dahin erst einmal darum, einen sofortigen Waffenstillstand durchsetzen zu helfen, um das furchtbare Töten zu beenden und den gegenseitigen Hass nicht noch weiter zu schüren.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Welttrends. Er erscheint in der kommenden Magazinausgabe.

Prof. Dr. Karin Kulow ist Arabistin und Islamwissenschaftlerin. Sie hat über viele Jahre zur Entwicklung politischer Systeme in arabischen Nahostländern und zum israelisch-palästinensischen Konflikt geforscht und gelehrt.