Warum das Afghanistan-Fiasko wohl niemals aufgeklärt werden wird

Noch nicht befreit: Frauen in Afghanistan. Bild: Usaid, Pixnio

Aussprache im Bundestag von Wahlkampf überschattet. Kanzlerin übt Selbstkritik, ohne Fehler einzugestehen. SPD wünscht sich zahnloses Debattengremium

Viel wird in diesen Tagen über das Scheitern des militärischen Interventionismus der Nato-Staaten in Afghanistan diskutiert. Nach der vermutlich letzten Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am gestrigen Mittwoch und der folgenden Bundestagsdebatte um ein rückwirkendes Mandat für die Evakuierungsmission der Bundeswehr in Kabul aber ist klar: Es wird wohl keine Konsequenzen geben. Weder in der Sache, noch für die unmittelbar Verantwortlichen.

Merkel war sich der Bedeutung ihrer Worte wohl bewusst und ließ sich von den Redenschreibern ein entsprechendes Manuskript vorlegen. Aus dem Mund der Kanzlerin klang der pathetische Unterton seltsam fremd:

Denn auch wenn es in dieser bitteren Stunde nicht danach aussieht, so bin und bleibe ich der festen Überzeugung, dass keine Gewalt und keine Ideologie den Drang der Menschen nach Freiheit, nach Gerechtigkeit und nach Frieden dauerhaft aufhalten können.:Angela Merkel, 25.08.2021

Zuvor hatte sie zwar Fehleinschätzungen eingestanden, ohne aber das Wort "Fehler" zu verwenden. Man habe die Entwicklung "unterschätzt", so Merkel, um zentrale Probleme in Frageform zu kleiden: kulturelle Unterschiede, Korruption, das Fehlen eines inklusiven politischen Prozesses.

All das hat sich zwar seit Jahren abgezeichnet und wurde von Menschenrechtsaktivisten im Land immer wieder betont. Allein, in Berlin stellte man sich diesen Warnungen gegenüber ebenso taub wie noch vor wenigen Wochen, als Grüne und Linke eine umgehende Evakuierung von Zivilisten forderten.

Es werde Zeit brauchen, Antworten zu finden, so Merkel, die damit klarmachte: Zeitnah wird sie eine Aufklärung nicht unterstützen. Das ist nur folgerichtig, denn die unmittelbar Verantwortlichen – Außenminister Heiko Maas (SPD), Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) – nimmt die Kanzlerin weiterhin in Schutz.

Die Regierung Merkel wird nach vielen anderen Fehlleistungen ihrer Kabinettsmitglieder auch durch das Afghanistan-Debakel als Kaderschmiede für politische Versager in die Geschichte eingehen.

Schlechte Chance für Untersuchungsausschuss

Während sich am internationalen Flughafen von Kabul vor den Augen der Weltöffentlichkeit menschliche Tragödien abspielen, ließen die Teflon-Kanzlerin und ihre Minister am Mittwoch in Berlin alle Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss abprallen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stellte indes einen abgefeimten Vorschlag vor: Eine Enquetekommission solle das Scheitern in Afghanistan untersuchen. Eine solche Initiative hatte vor wenigen Wochen erstmals die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), im Verteidigungsausschuss vorgestellt.

Dieses Gremium sollte seine Arbeit aber nicht mit der Prämisse angehen, dass der Einsatz von vornherein falsch war, hatte Högl ihre eigene Anregung vor dem Ausschuss eingeschränkt.

Es war die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die das Problem am gestrigen Mittwoch im Bundestag ansprach:

Nach außen klingt das irgendwie gleich: Untersuchungsausschuss oder Enquete-Kommission. Aber jeder, der in diesem Parlament hier sitzt, weiß ganz genau, was der Unterschied ist:

Bei dem einen kann man Zeugen einladen und die Bereitstellung von Akten beantragen, bei dem anderen werden Schlussfolgerungen für die Zukunft getroffen. Wie sollen wir denn Schlussfolgerungen für die Zukunft treffen, wenn wir nicht bereit sind, über Fehler der Vergangenheit zu reden?

Annalena Baerbock

Tatsächlich geht es den Sozialdemokraten vor allem darum, ihren Genossen im Außenamt, Heiko Maas, zu schützen. Die Chancen dafür stehen gut.

Denn zum Ende der Legislaturperiode wird keine Untersuchung mehr anberaumt. Und wann ein neu konstituierter Bundestag dazu kommt, steht in den Sternen.

Baerbock wies auf eine weitere Gefahr hin: dass belastende Daten nun systematisch vernichtet werden. Deswegen habe man im Auswärtigen Ausschuss ein Löschmoratorium beantragt.

Die Vermutung kommt nicht von ungefähr: Anfang vergangenen Jahres hatte die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen inmitten eines laufenden Untersuchungsausschusses zur Berateraffäre im Verteidigungsministerium ihr Diensthandy löschen lassen.

Viel Wahlkampf und ein Fake-Mandat

Eine Aufklärung des Versagens in Afghanistan wird es – so sieht es derzeit aus – also nicht geben. Was von der Debatte am Mittwoch bleibt, ist etwas Pathos und viel Wahlkampf. Etwa von FDP-Chef Christian Lindner, der SPD und Grüne angesichts der Enthaltung der Mehrheit der Linken-Fraktion aufforderte, von einem möglichen gemeinsamen Regierungsprojekt Abstand zu nehmen.

Oder vom AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der sein Klientel adressierte: "Um Geschlechtergerechtigkeit in die muslimische Welt zu tragen, mussten deutsche Männer dort ihr Leben lassen. Wie viele afghanische Frauen in höchsten Ämtern oder Mädchen in Schulen wiegen eigentlich einen deutschen toten Soldaten auf?"

Was fast völlig unterging, war der Umstand, dass die 709 Abgeordneten über ein sinnfreies Fake-Mandat entschieden. Denn tatsächlich könnten die Evakuierungen schon Ende dieser Woche beendet werden. Schlichtweg aus dem Grund heraus, dass das robuste Mandat ohne die 6.000 US-Soldatinnen und Soldaten vor Ort militärisch gar nicht mehr durchsetzbar ist.

Beachtlich schließlich war die Performance der Linken. Sie hatten sich im Vorfeld wieder einmal in die Haare bekommen, weil der Grundsatz der Ablehnung militärischer Auslandseinsätze von der eigenen Parteiführung aufgeweicht worden war: Sie hatte eine Enthaltung empfohlen.

Am Ende stimmten sieben der 69 Linken gegen den Einsatz und vier dafür. Geschlossenheit einen Monat vor der Bundestagswahl sieht anders aus.

Ein kleines Highlight lieferte der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul. Er richtete sich an den linken Verteidigungspolitiker Matthias Höhn, der dem Mandat zustimmte: "Ich muss dem Kollegen Höhn an der Stelle sagen: Ich weiß, wie schwierig so was in einer Fraktion ist", so der Christdemokrat Wadephul: "Meine volle Anerkennung! Es gibt also auch in der Linksfraktion noch Menschen, die Handeln und Denken übereinbringen können."

Das war freilich ein vergiftetes Lob, das ohne Zweifel auch mehr dem Wahlkampf geschuldet war – und doch den Wandel der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag erkennen ließ.

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