Warum der Ukraine-Krieg in Russland immer weniger Leute interessiert

Seite 2: Desinteresse ist keine Kriegsgegnerschaft

Desinteresse kann man dabei nicht mit einer offenen Gegnerschaft zum Krieg gleichsetzen. Fast drei Viertel der befragten Russen erklären in der gleichen Befragung ihre Unterstützung für das Vorgehen der eigenen Armee. Mit den zuvor erläuterten Unsicherheiten, ob diese Frage ehrlich beantwortet wird, wenn die "Diskreditierung" der Armee unter Strafe steht.

Man darf auch nicht vergessen, dass im Land seit Ausschaltung der liberalen Medien keine kriegskritische Berichterstattung mehr stattfindet. Das weitgehende Scheitern der groß angekündigten ukrainischen Gegenoffensive liefert den Kremlmedien auch Material, Zuversicht zum Kriegsverlauf zu verbreiten. Wer im Land gegen den Krieg ist, war das meist schon zu Beginn des Feldzugs im Nachbarland und behält das mehrheitlich für sich aus Gründen der eigenen Sicherheit.

Der Trend zum Desinteresse kommt auch der Distanz vieler Russen zur Politik an sich entgegen. "Russland ist ein extrem entpolitisiertes Land. Die Leute versuchen, nichts mit der Politik zu tun zu haben" weiß auch Grigori Judin.

"Militärischer Burnout" führt zum Friedenswunsch

Aber die Ergebnisse sind ein Zeichen für einen größeren Friedenswunsch – 51 Prozent der von Lewada befragten Russen befürworten Friedensgespräche zumindest in baldiger Zukunft. Diese Stimmung äußert sich angesichts der Lage im Land und einer allgemein niedrigen Protestbereitschaft nur nicht in offenem Widerspruch, sondern eher in einer Hoffnung, dass die eigene Führung die Wege Russlands wieder in eine friedlichere Richtung lenkt.

Grigori Judin beschreibt diese häufige Einstellung seiner Landsleute mit dem Versuch, die Entscheidung zu verlagern auf Leute, die es "besser wissen". Der Kreml weiß das und schiebt die Verantwortung für die Dauer des Krieges alleine auf den Westen, obwohl natürlich beide kämpfende Seiten Verantwortung für das Anhalten von Kämpfen tragen.

Die Russlandanalysten des Zentrums Re:Russia sprechen im Zusammenhang mit der Stimmung im Land von einem "militärischen Burnout". Nicht nur das Interesse am Krieg sinke, auch die Emotionen kochten in Bezug darauf nicht mehr so hoch.

"Eine gewisse emotionale Beteiligung bleibt dank der älteren Generation und männlicher Stereotypen erhalten", stellen die Wissenschaftler angesichts der Tatsache, dass die aktiven Kriegsbefürworter unter den russischen Männern und den Alten im Land am stärksten vertreten sind, nüchtern fest. Bei den 18- bis 24-Jährigen ist dagegen auch laut Lewada der Friedenswunsch am größten und liegt bei zwei Dritteln.