Warum der Ukraine-Krieg in absehbarer Zeit nicht enden wird
Seite 2: Niederlage Russlands
Zunächst würde deutlich, Russland wäre nicht einmal eine "Regionalmacht" wäre, wie der ehemalige US-Präsident Barack Obamas einmal sagte. Denn Russland erwiese sich als unfähig, einen Staat an seinen eigenen Grenzen militärisch zu besiegen. Mit diesem Image als nicht einmal vollwertige Regionalmacht würde die russische Einflusssphäre im postsowjetischen Raum dahinschmelzen.
Selbst innerhalb Russlands könnten die latenten Separatismustendenzen wieder an Auftrieb gewinnen – Stichwort: Tschetschenien. Mit einem erneuten Aufbrechen eines Bürgerkrieges in Tschetschenien wäre ein separatistischer Dominoeffekt denkbar.
Und tatsächlich wird im Westen über die Zerschlagung der Russischen Föderation spekuliert. Die Erklärung des US-amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd Austin – "Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu etwas wie diesem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist" –, bietet zumindest Interpretationsspielraum.
Diese Aussage muss nicht als intendierte Zerschlagung Russlands interpretiert werden, man kann einen Willen zu diesem Ziel aber auch nicht ausschließen. Zumindest könnte die staatliche Desintegration der Russischen Föderation eine angenehme Nebenwirkung für westlichen Strategen sein. Hinweise auf solche Debatten gibt es tatsächlich in den USA. Dort ist dann die Rede von der "Dekolonisierung Russlands".
So veröffentlichte das US-amerikanische Magazin The Atlantic am 27. Mai 2022 einen Beitrag mit dem Titel "Decolonize Russia". Darin wird von "kolonialen Besitztümern" des Kremls gesprochen und namentlich Tschetschenien, Tartastan und sogar Sibirien und die Arktis erwähnt.
Der Autor Casey Michel fordert, der Westen müsse das 1991 begonnene Projekt – gemeint ist die Auflösung der Sowjetunion – zu Ende führen. Weiter: Der Kreml müsse sein Imperium verlieren, um das Risiko weiterer Kriege zu vermeiden, womit gedanklich an Austins Forderung der Schwächung Russlands angeknüpft wird.
Dass diese Idee in Washington diskutiert wird, beweist ein Online-Briefing unter dem Titel: "Decolonizing Russia – A Moral and Strategic Imperative", veranstaltet am 23. Juni 2022 von der "Commission on Security and Cooperation in Europe".
Bei diesem Gremium handelt es sich um eine Regierungskommission, deren Mitglieder nahezu vollständig aus den beiden US-Kongresskammern entsandt und von der US-Regierung bestimmt werden.
Die Kommission debattierte ernsthaft die Zerlegung Russlands. Dass diese Diskussion Moskau nicht verborgen bleibt, versteht sich von selbst. So verkündete Russland jüngst eine aktualisierte außenpolitische Strategie, in der der Westen als "existenzielle Bedrohung" für Russland qualifiziert wird.
Ob die Zerschlagung Russlands tatsächlich realistisch wäre, sei dahingestellt. Was aber auf jeden Fall realistisch wäre: Eine Niederlage Russlands würde einen Prozess beschleunigen, der für Russland ein zentrales Motiv für den Waffengang gegen die Ukraine darstellt.
Dieser Prozess wird erstens durch die fortgesetzte Nato-Erweiterung geprägt – auch weiter in den postsowjetischen Raum hinein.
Und zweitens, würde die Ukraine zu einem hochgerüsteten antirussischem Bollwerk ausgebaut, dass von dem Image profitierten würde, Russland besiegt zu haben. Bereits jetzt hat sich die Nato mit der Aufnahme Finnlands um weitere 1.300 Kilometer an die russischen Grenzen erweitert.
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