Warum die USA selbst die Ukraine nicht als rote Linie akzeptierten
Seite 3: Warnungen ignoriert
In den Jahren, Monaten und Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 haben die verschiedenen US-Regierungen jedoch den gleichen Kurs verfolgt.
Die Zusammenarbeit der Ukraine mit der Nato hat sich "im Laufe der Zeit vertieft", wie das Bündnis heute selbst sagt. Bis zum Ausbruch des Krieges beherbergte das Land häufig westliche Truppen auf einem Militärstützpunkt. Ukrainische Soldaten haben eine Nato-Ausbildung erhalten. Es wurden zwei neue, mit der Nato verbundene Marinestützpunkte geplant.
Das Land erhielt Rekordsummen an US-Militärhilfe, darunter auch Angriffswaffen – eine Politik, die der frühere Präsident Donald Trump und sein liberaler Vorgänger ausdrücklich ablehnten, aus Sorge davor, damit eine katastrophale Reaktion Moskaus zu provozieren.
Drei Monate vor der russischen Invasion unterzeichneten die Ukraine und die Vereinigten Staaten eine aktualisierte Charta zur strategischen Partnerschaft, die sich an Bushs umstrittener Bukarester Erklärung orientierte und sowohl die Sicherheitszusammenarbeit zwischen den beiden Ländern vertiefte als auch die Beitrittsbestrebungen der Ukraine unterstützte, was in Moskau als Eskalation angesehen wurde.
Mit der Zunahme der militärischen Aktivitäten der USA in der Region seit 2016, die auch die Ukraine und Georgien einbezogen, haben sich die Spannungen zwischen der Nato und Russland verschärft. Während Moskau sich öffentlich gegen US-Missionen in Europa aussprach, die von Experten als zu provokativ angesehen wurden, kam es zu Tausenden von gefährlichen militärischen Zusammenstößen zwischen Nato und russischen Streitkräften in der Region und anderswo.
Im Dezember 2022, als die Angst vor einer Invasion zunahm, erklärte Putin gegenüber Biden persönlich, dass "die Osterweiterung der westlichen Allianz ein wichtiger Faktor für seine Entscheidung war, Truppen an die ukrainische Grenze zu entsenden", wie die Washington Post berichtete.
All das bedeutet nicht, dass andere Faktoren beim Ausbruch des Krieges keine Rolle spielten, angefangen bei dem innenpolitischen Druck in Russland und Putins begrenzter Sichtweise auf die ukrainische Unabhängigkeit bis hin zu den zahlreichen anderen bekannten russischen Klagen gegenüber dem US-Kurs, die immer wieder in den diplomatischen Aufzeichnungen auftauchen.
Es bedeutet auch nicht, wie die Falken argumentieren, dass damit Putins Krieg in irgendeiner Weise "gerechtfertigt" wird. Genauso wenig werden Terrorakte legitimiert, wenn darauf verwiesen wird, wie die US-Außenpolitik den anti-amerikanischen Terrorismus angeheizt hat.
Die Behauptung, die russische Unzufriedenheit über die Nato-Ausdehung sei irrelevant, ein bloßes "Feigenblatt" für reinen Expansionismus oder einfach nur Kreml-Propaganda, wird jedoch durch diese lange historische Aufzeichnung widerlegt.
Vielmehr haben die wechselnden US-Regierungen dieselbe Politik vorangetrieben, obwohl sie jahrelang ausführlich gewarnt wurden – auch von den sie beratenden Analysten, Verbündeten und sogar von ihren eigenen Beamten –, dass dieser Kurs dem russischen Nationalismus Vorschub leisten, ein noch feindseligeres Moskau schaffen, Instabilität und sogar einen Bürgerkrieg in der Ukraine befördern und schließlich zu einer russischen Militärintervention führen könnte, was schließlich auch geschah.
"Ich akzeptiere keine rote Linie", sagte Biden im Vorfeld der Invasion, als seine Regierung Verhandlungen mit Moskau über den Nato-Status der Ukraine ablehnte. Wir können nur mutmaßen, in welch einer Welt er und seine Vorgänger ein derartige Linie akzeptieren würden.
Dieser Artikel wird von Globetrotter in Zusammenarbeit mit dem American Committee for U.S.-Russia Accord veröffentlicht. Den ersten Teil des Artikels finden Sie hier auf Telepolis. Übersetzung: David Goeßmann