Warum die Wahl grüner Parteien das Klimaproblem nicht lösen kann

LNG-Tanker

Auch grüne Politik: LNG-Tanker vor Rügen. Bild: Stefan Dinse, Shutterstock.com

Grüne wollen dem Wähler sagen, was er zu tun hat. Auch damit untergraben sie effektive Klimapolitik. Was sich grundlegend ändern muss.

Grün-liberale Autoren werfen den Wählern vor, nicht "das Richtige" zu tun, ignorieren aber und weigern sich, auf das wachsende Misstrauen in politische Institutionen und den allgemeinen Verdacht einzugehen, dass eine solche Politik nur zu einer weiteren Konzentration von Reichtum und Macht führen wird, was letztlich die Klimaziele selbst untergräbt

In einem Artikel zu den kürzlichen EU-Parlamentswahlen bringt der britische Guardian seine Befürchtung zum Ausdruck, dass das schlechte Abschneiden der Grünen die europäischen Klima-Ambitionen entscheidend schwächen könnte. In der deutschen Medienlandschaft finden sich dazu fast identische Beiträge.

Der Anlass für die Befürchtungen ist die schwindende Unterstützung für den europäischen "Green Deal", ein ambitioniertes Programm zum grünen Umbau der EU. Dieser soll, laut Carbon Brief, die EU von einem bisherigen Klimakurs von katastrophalen vier Grad Celsius Erwärmung auf einen viel besseren, wenn auch bisher nicht ausreichenden Kurs Richtung Zwei-Grad-Plus bringen, der aber jetzt durch rechtspopulistische Tendenzen unter den Wählern gefährdet sein soll.

Green Deal soll die Welt retten

Mit anderen Worten: wenn wir uns alle noch ein wenig mehr anstrengen, dann wird die EU mithilfe des "Green Deal" die Welt retten.

Wenn ich auch gut verstehe, was die Autoren dieser Artikel meinen: nach mehr als 30 Jahren Klimaforschung, begleitet von den Höhen und Tiefen der Klimapolitik, macht sich bei mir ein ungutes Gefühl breit, wenn ich diese Ausführungen lese.

Könnte es nicht sein, frage ich mich schon seit Langem, dass gerade diese Art der Herangehensweise der Grund dafür ist, dass das Klimaproblem unaufhaltsam immer nur schlimmer und nie besser wird?

Nicht das richtige Ziel

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu erklären, was ich damit meine, aber am einfachsten geht es vielleicht mit folgender simpler Aussage: nach Jahrzehnten der Diskussionen, Verhandlungen und Anstrengungen medialer, aktivistischer wie politische Art sollten wir bis heute verstanden haben, dass unser bisheriger Ansatz gescheitert ist, die Klimakatastrophe durch Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen aufzuhalten.

Zukunftsprojektionen wie die von Carbon Brief sind nichts weiter als das: Projektionen. Die Wirklichkeit spricht eine ganz andere Sprache. Während zu Zeiten der Pandemie die globale Wirtschaft in nie dagewesener Weise zum Halten kam, gingen die Emissionen des entscheidenden Klimagases CO2 nur leicht zurück, während die CO2-Konzentrationen – und damit der Treibhauseffekt selbst – weiter anstiegen.

Pandemie und Emissionen

Damals wurde auch viel davon geredet, nach der Pandemie alles besser zu machen, oder darüber, wie der damalige Rückgang der Emissionen als Startschuss dienen könnte, endlich zu einer echten, wirksamen Klimapolitik zu finden. Das hieß dann auf Englisch "build back better". Solche Diskussionen sind heute gänzlich vergessen, während die Emissionen wieder von einem Rekord zum anderen eilen.

Zukunftsprojektionen von Experten über den Nutzen bestimmter Klimamaßnahmen existieren vor allem in der Welt dieser Experten. Als eine absolute Minimalanforderung sollte eine Klimapolitik, die ihren Namen verdient, bis heute den weiteren Anstieg der Emissionen gestoppt haben.

Wie wir alle wissen, ist das nicht passiert, trotz der Netto-Null-Verpflichtungen, die inzwischen 88 Prozent der weltweiten Emissionen abdecken, der Pandemie als einzigartiger Change, dem historischen Pariser Abkommen, oder dem unaufhaltsamen Siegeszug der erneuerbaren Energien.

Selbst wenn aufgrund all dieser Faktoren in den nächsten zehn Jahren der Höhepunkt der Emissionskurve erreicht wird, dann wird dieser entscheidende Moment zu spät kommen.

Um das Klima zu stabilisieren, müssen wir zuerst den Anstieg der Emissionen stoppen, was nicht passiert ist. Dann müssen wir den weiteren Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre selbst stoppen. Dazu müssten wir die CO2-Emissionen um ungefähr 50 Prozent global reduzieren und diese dann langsam auf null bringen.

Zum Vergleich, der globale Lockdown hat im Jahr 2020 gerade einmal 5,4 Prozent geschafft.

Wenn wir uns ansehen, wie die Weltwirtschaft heute funktioniert, sind solche Szenarien völlig utopisch. Aber nehmen wir an, das Unmögliche wird möglich und wir schaffen es, den CO2-Gehalt der Luft zu stabilisieren. In diesem Fall wird sich unser Planet, aufgrund der Trägheit des Klimasystems, über lange Zeiten weiter erwärmen, möglicherweise um noch einmal doppelt so viel wie die bisherigen 1,2 Grad Celsius.

Die Moralfalle

Ferner gibt es aber noch etwas anderes, etwas weit Grundlegenderes, was für mich nicht stimmig ist an der bisher vorherrschenden Klimadebatte.

Ein Problem steht niemals allein da, und es gibt fast immer eine mehr oder weniger lange Kette von Faktoren, die in mehr oder weniger komplexen Zusammenhängen dazu beitragen.

Während es richtig ist, dass Treibhausgasemissionen unseren Planeten erhitzen, so kommen vor den Emissionen noch eine ganze Reihe andere, weniger ‘physikalische’, menschliche Faktoren hinzu: Gier und Bequemlichkeit, Ungerechtigkeit, ein Geldsystem, das zwingend immer mehr Reichtum in den Händen weniger konzentriert, Anpassungsdruck an ein Ideal des allgegenwärtigen Konsums, Eliten, deren Existenz von der Verteidigung des Status quo abhängt, Korruption in Form der verdeckten Einflussnahme von Konzernen auf die Gesetzgebung … die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Die deutschen Grünen – unbestreitbar die mächtigste grüne Partei in der EU und weltweit – haben unbezweifelbar, und aus einer unbestreitbaren moralischen Überzeugung heraus, das klimapolitische Ziel verfolgt, die Emissionen zurückzuführen.

Indes zeigten ihre Vertreter beim Verfolgen ihrer Ziele klar erkennbare autokratische Tendenzen: LNG-Terminals nahe an sensiblen Küstenzonen werden durchgedrückt, die am Ende eigentlich nicht gebraucht werden, eine Wahlrechtsreform, die regionale Parteien benachteiligt, oder, auf der Ebene der Länder, inzwischen aufgegebene Pläne Bürgerentscheide einzuschränken, und natürlich der brutale Polizeieinsatz in Lützerath gegen Klimademonstranten.

Die Grünen sind überzeugt, dass Politik zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen der richtige Weg sind – zeigen aber einen beunruhigenden Mangel an Selbstkritik und einen Politikstil, der auf moralischen Überzeugungen beruht, und nicht auf demokratischen Prinzipien und Meinungsfreiheit. Dafür wurden sie jetzt bei den Europawahlen abgestraft.

Wenn moralische Überzeugung nur auf das eine, offizielle Klimaziel angewandt werden, aber nicht auf die dahinter liegenden, fundamentalen Probleme, wie Ungerechtigkeit, steigende Ungleichheit oder der Niedergang der demokratischen Kultur, entsteht ein Gefühl der Arroganz und Selbstgerechtigkeit, die bei den Wählern schlecht ankommt.

Wenn jetzt verschiedene Kommentatoren um den "Green Deal" der EU bangen, dann zeigen diese den gleichen Mangel an Selbstkritik: es werden die Wähler verantwortlich gemacht, weil sie angeblich nicht richtig gewählt haben, aber das steigende Misstrauen gegenüber der herrschenden Politik wird ignoriert. Ebenso wie der verbreitete Verdacht, Klimapolitik wie der "Green Deal" würde am Ende nur zu noch mehr Konzentration von Reichtum und Macht führen und damit die Klimaziele selbst unterminieren.

Eine kulturelle Normalisierung der Gier

Um das Problem besser und unabhängig vom Thema Klimapolitik zu demonstrieren, stellen wir uns folgendes Szenario vor: Eine Kindergartengruppe mit 20 Kindern verfügt über genau 20 Spielzeuge.

Einer der Knirpse nimmt sich genau 19 Spielzeuge und lässt die anderen sich das übrige Spielzeug teilen. Seine Kameraden würden sofort die Ungerechtigkeit erkennen und sich beschweren.

Nehmen wir jetzt an, die Betreuer reagieren mit Umverteilung, woraufhin die Eltern des gierigen Kleinkindes die Polizei rufen und darauf bestehen, dass die Spielzeuge allein ihrem Nachwuchs gehören.

Die Betreuer wären jetzt gezwungen, die Ungerechtigkeit den Kindern als normal zu verkaufen und sie zu ermutigen, auch so viele Spielzeuge zu haben wie Super-Knirps. Klingt absurd, entspricht aber ungefähr der Situation, mit der wir es auf globaler Ebene zu tun haben.

Anders als die Kleinkinder in unserem Beispiel empfinden aber nur wenige dies als eine schreiende Ungerechtigkeit. Überkonsum an der Spitze der Reichtumspyramide führt zu Überkonsum weiter unten, solange es überhaupt möglich ist. In einer solchen Welt kann auch eine Explosion in der Nutzung der erneuerbaren Energien nicht zu einem nachhaltigen Rückgang der fossilen Energien führen. Das weiß man auch in den Führungsetagen der Öl- oder Autofirmen.

Andererseits kann sich jeder in kürzester Zeit politische Programme ausdenken, die eine derartig pervertierte Logik vermeiden. Wie wäre es z.B. mit strikten pro-Kopf-Quoten für CO2-Emissionen, die weder gekauft noch verkauft werden können?

Diese würden zwingend notwendige, existenzsichernde Emissionen erlauben, aber nichts darüber hinaus. Sicherlich wäre das kein Problem für Milliardäre, nach deren Meinung das Klimaproblem vor allem neue Technologien erfordert.

Sie könnten ja, aufgrund ihrer Geldreserven, mit Solarenergie betriebene elektrische Flugzeuge entwickeln lassen und weiter um den Globus fliegen. Das würde dann ein ganz anderes Signal aussenden – nicht gerade eins der Bescheidenheit, aber immerhin eines, das zeigt, dass man für sein Handeln Verantwortung übernimmt.

Mehr Demokratie – die angsteinflößende, "radikale" Lösung

Wähler haben oft ein klares Gespür für die Anmaßung, die sich äußert, wenn grüne oder nicht-grüne Politiker ihre Ziele von einem Standpunkt der Selbstgerechtigkeit aus verfolgen. Es ist daher bemerkenswert, dass ein Vorschlag in unserem politischen Klima als radikal empfunden wird, der sich aus Sicht des überzeugten Klimastreiters doch eher als sehr großzügig darstellt: Ich meine die Forderung von Klimagruppen wir Extinction Rebellion oder Letzte Generation nach Bürgerversammlungen, die Klimagesetze vorschlagen, die daraufhin den Wählern zur Legitimierung vorgelegt werden.

Ein solcher Vorschlag bezieht schließlich auch den Fall ein, dass die Mehrheit der Wähler gegen einschneidende Maßnahmen sind. Ganz anders als unsere Politik und Medien diese Gruppen darstellen, ist zumindest diese eine ihrer zentralen Forderungen doch ganz frei von moralischer Überheblichkeit und Arroganz – im Gegensatz zum Agieren vieler grüner Politiker, deren Verhalten dem gesunden Menschenverstand doch viel eher radikal vorkommen muss.

Aber wenn diese Wähler dann Grüne Politik ablehnen, weil sie ihren Vorstellungen von Bescheidenheit und Transparenz widerspricht, wird von weiten Teilen der Medien den Wählern die Schuld gegeben.

Gerade weil die "normalen", keiner Elite angehörige Bürger eher noch den nötigen inneren Abstand haben vom politischen Alltag, sind sie tendenziell unter weniger Druck, den Status quo zu verteidigen, und besser in der Lage, unbefangen die moralischen Dimensionen eines Problems zu erkennen, schwierige gesellschaftliche Themen anzugehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Genau dies hat sich z.B. beim irischen Referendum über das Abtreibungsrecht gezeigt, dem eine im Losverfahren ausgewählte Bürgerversammlung entscheidend vorausging.

Aber aufgrund der zunehmenden Machtkonzentration in den Händen der Reichen und der politischen und akademischen Eliten sind diese "normalen" Bürger bereits effektiv an den Rand gedrängt worden. Das Endergebnis ist, dass Klimastabilität und Demokratie wohl zusammen sterben werden.

Wenn man das Argument umkehrt, so ergibt sich, dass die beste Klimapolitik darin besteht, die Wähler als den eigentlichen Souverän wieder einzuführen.

Bürgerräte und die Möglichkeit der direkten Teilhabe am politischen Prozess, nicht nur in der Klimapolitik, sondern in allen gesetzgeberischen Fragen. Denn Maßnahmen zum Klimaschutz betreffen fast alle Bereiche der Gesellschaft, und eine Kursänderung, die den Namen verdient, braucht auch die Legitimierung in fast allen gesellschaftlichen Bereichen.

Dies wäre kein utopisches Modell, sondern hätte viele Elemente, wie sie etwa in der Schweiz bereits lange Realität sind, erweitert um Instrumente der "deliberativen Demokratie", wie das genannte Beispiel aus Irland.

Eine solche Entwicklung wäre endlich in der Lage, ein Gegengewicht zu bilden gegen die immer weiter sich ausbreitende Plünderung der Ressourcen der Armen, und gegen den Überkonsum der Reichen. Kein Klimazusammenbruch kann aufgehalten werden, ohne den moralischen Verfall und den Tod der Demokratie zu stoppen.

Wolfgang Knorr ist Klimawissenschaftler, Berater der Europäischen Weltraumorganisation und Gastwissenschaftler am Institut für Geographie und Ökosystemwissenschaften der Universität Lund