Warum gibt es keinen Staat für die Palästinenser?

Seite 3: Zwei-Staaten-Lösung und Staat mit mehreren Volksgruppen

Bereits die räumliche Trennung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland, endgültig aber der in den letzten zwei Jahrzehnten betriebene massiv vorangetriebene Bau von jüdischen Siedlungen im Westjordanland entzogen einem eigenständigen palästinensischen Staat die Grundlage. Insofern entfallen auch die Voraussetzungen für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Nur die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann meint ernsthaft, Hamas hätte aus dem Gaza-Streifen ein zweites Singapur machen können. Dieser Selfmademan-Ideologie zufolge ist jede Person ihres eigenen Glückes Schmied und kann sich münchhausiadisch am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Wenn schon der Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann, warum dann nicht auch der Gaza-Streifen zur ökonomischen Stärke Singapurs?

Der westliche Blick auf Israel

Schon Theodor Herzl (1896, 29) machte folgendes Angebot an die Westmächte:

Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden; wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.

Tatsächlich ist für die USA und die EU Israel der einzige zuverlässige Verbündete in der Region.

Weit verbreitet ist in Westeuropa das Bild von der "politisch und kulturell rückständigen, im finsteren Mittelalter verharrenden arabischen Welt.

Israel erscheint in diesem Bild als Insel der Zivilisation und Demokratie inmitten eines Meeres von Barbaren und Despoten, der – im Sinne der Rettung der Aufklärung und der zivilisierten Welt – mit allen erdenklichen Mitteln beizustehen ist. Denn fällt Israel, dann wird schon bald auch Europa fallen. Demnach geht es gar nicht um Israel, "sondern um uns" (Schulze-Marmeling 1991, 15).

In Deutschland liegen die Motive, für das Existenzrecht Israels einzutreten, angesichts der Verantwortung der Nazis für den Holocaust nahe. Israel steht im besonderen Fokus der deutschen Öffentlichkeit.

Das erklärt paradoxerweise zum Teil auch die Aufmerksamkeit für das Leid der Palästinenser. Gegen die Bekriegung, Vertreibung bzw. Diskriminierung großer Volksgruppen in anderen Ländern (Tamilen in Sri Lanka, Rohingya in Myanmar) regt sich in Deutschland kein vergleichbarer Protest.

Jordanien als neue Heimat für die Palästinenser?

Da es die politisch handlungsfähige Weltgemeinschaft nicht real, sondern nur als moralische Anrufungsinstanz gibt, hat sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs niemand zuständig gezeigt für die Verlaufsform des Konflikts zwischen den israelischen und palästinensischen Interessen.

Es wäre möglich gewesen, ein anderes Territorium im Nahen Osten zum Palästinenserstaat zu machen und die Heimatvertriebenen durch finanzielle Kompensationen mit dem Schmerz und Schicksal der Vertreibung zu versöhnen, sofern dies überhaupt möglich ist.

Den historischen Präzedenzfall für ein solches Vorgehen bildet die Umsiedlung (bzw. der Bevölkerungsaustausch) von auf dem Gebiet der Türkei wohnenden Griechen (1,35 Millionen) und auf dem Gebiet Griechenlands wohnender Türken (430.000) zu Beginn der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts.

Diese Maßnahme war für die Beteiligten überaus schmerzlich, förderte aber halbwegs friedliche Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei.

Die Schaffung einer Ersatzheimat für die Palästinenser ist keine überdrehte Fantasie. Die seinerzeit führende Palästinensische Befreiungsorganisation PLO hat 1970 Jordanien zum Staat für die Palästinenser machen wollen (vgl. Althaus 2020, Kaminski 2018, NN 1976).

Das Resultat – Vertreibung der für den jordanischen Staat bei einer damals palästinensischen Bevölkerungsmehrheit gefährlich werdenden PLO – zeigt, wie wenig die israelische Politik gegenüber den Palästinensern als alleinige Ursache für deren traurige Lage gelten kann.

Andere arabische Nationen haben den jordanischen Staat keineswegs davon abgehalten, im Schwarzen September 1970 mehrere tausend Palästinenser zu töten.

Jordanien

Jared Kushner, Trumps Sonderbeauftragter für den Nahen Osten, sowie Jason Greenblatt, Trumps Leiter für Internationale Verhandlungen, haben 2018 eine Konföderation zwischen Jordanien und dem Westjordanland vorgeschlagen (Knipp 2018).

Im selben Jahr heißt es über Jordanien: "Rund die Hälfte der jordanischen Bevölkerung dürfte palästinensische Wurzeln haben" (Kaminski 2018). Selbst Rania, deren offizielle Bezeichnung seit 1999 lautet: "Ihre Majestät die Königin von Jordanien", hat eine palästinensische Mutter.

Die Situation 1970 in Jordanien, zu dem von 1948 bis 1967 das Westjordanland gehörte, lässt sich unter einer Voraussetzung als vertane Chance bezeichnen. Die Bevölkerung Jordaniens belief sich 1970 auf 1,56 Millionen. Ein Bündnis von maßgeblichen Nationen hätte damals politisch dafür sorgen können, dass in Jordanien ein palästinensisch-jordanischer Staat entsteht und die Palästinenser in ihn übersiedeln.

Finanziell wäre ein solches neues Gemeinwesen auf eine starke Anschubfinanzierung und Aufbauhilfe von außen angewiesen gewesen.

Beides hätte dazu beitragen können, dass die verschiedenen Ethnien den neuen palästinensisch-jordanischen Staat als materiell vorzugswürdige Perspektive annehmen können. (Man muss ja nicht gleich wie Helmut Kohl von "blühenden Landschaften" sprechen.)

Die reichlichen Finanzmittel, die für eine solche gelingende Entwicklung erforderlich sind, wären zwar nicht im kapitalistischen Sinne gut investiert, wohl aber angesichts des immensen Leids infolge des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern sinnvoll verwendet gewesen.