Warum gibt es keinen Staat für die Palästinenser?
- Warum gibt es keinen Staat für die Palästinenser?
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Das liegt nicht allein an Israel. Über Verwechslungen, Fehlannahmen und fixe Ideen. Eine realpolitisch-pragmatische Analyse.
Nach der nationalsozialistischen Vernichtung von sechs Millionen jüdischen Menschen kann es keinen Zweifel an der Legitimität des Vorhabens geben, in einer Welt voller Staaten eine staatliche Macht mit der Verteidigung von denjenigen jüdischen Menschen zu beauftragen, die in einem solchen Staat ihre Heimat und ihren Schutz finden wollen (und dann auch können).
Auch wer kein Anhänger von Nationalstaaten ist, dürfte hier sozusagen realpolitisch-pragmatisch zustimmen.
Aus dem trivialen Umstand, dass die Welt zum Zeitpunkt 1945 in ihren besiedelbaren Gegenden fast nirgendwo unbevölkert war, resultiert ein Konflikt. Beide Seiten bringen jeweils berechtigte Ansprüche vor. Sie stehen aber im Gegensatz zueinander: Die einen wollen an einer Stelle der Welt einen Staat gründen, die anderen wohnen dort bereits und wollen ihre Heimat und ihr Land nicht verlieren.
Beliebte Verwechslungen
Das Existenzrecht Israels zu verteidigen heißt keineswegs, sich zur vorbehaltlosen oder bedingungslosen Unterstützung für Israel zu verpflichten. Kritik an der israelischen Regierung unterscheidet sich von Antisemitismus. Bekanntlich üben auch viele jüdische Israeli sowie jüdische Menschen in anderen Ländern massive Kritik an der in Israel herrschenden Politik.
Diese Kritik bezog sich z. B. bereits auf die Massaker in den Beiruter Flüchtlingslagern im Libanonkrieg 1982. (Selbst in der FAZ wird schon die israelische Regierung unter Menachem Begin von 1982 als "ultrarechts" bezeichnet – siehe Würdemann 2023; genaue Angaben am Ende des Artikels unter "Literatur".)
Massiven Widerstand gab es vor dem 7. Oktober 2023 innerhalb von Israel auch gegen die gegenwärtige Regierung.
Egal, was "der Jude" tut oder unterlässt, ein waschechter Antisemit wird es ihm immer negativ auslegen. Davon zu unterscheiden sind manche Auffassungen unter in Deutschland lebenden Migranten aus dem Nahen Osten bzw. unter ihren Nachkommen.
Viele von ihnen lehnen die Politik Israels gegenüber den Palästinensern ab, machen in einem zweiten Schritt "die Juden" für diese Politik verantwortlich und sind infolgedessen ihnen gegenüber feindselig. Sie identifizieren "die Juden" ganz genauso mit Israel, wie dies viele Anhänger einer bedingungslosen Freundschaft zu Israel tun.
Viele verwenden den Begriff des Antisemitismus, indem sie Verschiedenes vermischen. Die von den Nationalsozialisten bedienten und durch ihre systematische Hetze angestachelten Affekte gegen "die Juden" unterscheiden sich von Affekten, die vor dem Hintergrund der Geschichte des Nahost-Konflikts entstanden.
Diese Affekte richten sich gegen die herrschende Politik des Staats Israel und werden auf "die" jüdischen Israeli und schließlich auch auf jüdische Menschen in anderen Ländern übertragen.
Wenn migrantische Jugendliche antisemitische Stereotype äußern, fragt sich zudem, ob bei der betreffenden Person eine geschlossene antisemitische Gesinnung vorliegt. (Zu solchen notwendigen Unterscheidungen vgl. eine Studie aus dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin: Kohlstruck, Ullrich 2015.)
Kollektivsingular, Kollektivschuld, Kollektivstrafe
Viele übertragen die vermeintliche Souveränität des Konsumenten ("ich bekomme, was ich bestelle") auf die Politik. Der Gedanke ist weitverbreitet, "die" Einwohner eines Landes hätten die Politik, die in diesem Staat herrscht, – wie bei einem imperativen Mandat – in Auftrag gegeben.
Mit der irrigen Vorstellung, Regierung und Bevölkerung seien identisch, wird gern die kollektive Beschuldigung der Gesamtheit der Bevölkerung eines Landes verbunden. Sie habe die desaströse Politik seiner Regierung nicht verhindert.
Wer es auf diese Anklage absieht, sieht beflissen vom Streit verschiedener politischer Kräften in einem Land ab. Wenn eine Partei sich in der politischen Konkurrenz durchsetzen konnte und sie anschließend Widerstand mit totalitären Mitteln bricht, sind die Möglichkeiten für Opposition sehr gering.
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Die auf den Kollektivsingular ("der" Deutsche, "der" Jude) fixierte Interpretation zieht daraus ihre Schlussfolgerung. Der Parole "mitgefangen, mitgehangen" entspricht ein Statement zu "dem Palästinenser" im Gazastreifen. Er bekomme nun wohl oder übel die Strafe dafür, dass er gegen Hamas keinen erfolgreichen Aufstand zustande brachte. Entsprechend äußerte sich der israelische Minister Elijahu:
"Wir würden den Nazis auch keine humanitäre Hilfe geben", sagte er. Es gebe keine unbeteiligten Zivilisten in dem Küstenstreifen, die Bevölkerung unterstütze die Hamas.
Frankfurter Rundschau, 7.11.2023
Das Flüchtlingselend der Palästinenser ist nicht allein Israel zuzuschreiben
Kriegsflüchtlinge konnten auch in anderen Weltgegenden häufig nicht in ihre Wohnungen zurückkehren. Sie mussten sich außerhalb ihrer ursprünglichen Region niederlassen.
Die arabischen Nachbarländer von Israel haben die palästinensischen Flüchtlinge in Lager eingepfercht und sie von der einheimischen Bevölkerung sozial sowie geografisch getrennt. Zu einer Eingliederung der Flüchtlinge in die Bevölkerung vergleichbar mit der Bundesrepublik nach 1945 kam es meist nicht.
Im Libanon wird den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen "die Staatsbürgerschaft verwehrt, weshalb viele Palästinenser mit Beschränkungen in der Bewegungsfreiheit, dem Erwerb von Eigentum, dem Zugang zum libanesischen Bildungssystem, medizinischer Versorgung und anderen staatlichen Leistungen konfrontiert sind". Zudem ist diese Personengruppe auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt.
Waren Palästinenser 2007 noch von 73 Berufen ausgeschlossen, sind es heute noch 39 Berufe. Insbesondere in gut qualifizierten Bereichen wie Medizin, Jura und Ingenieurwesen.
Wikipedia
Die These "Lage der Palästinenser = Ergebnis israelischer Politik" lässt die Interessen der Herrschenden in den Nachbarländern Israels außer acht.
Sie wollen, dass Palästina ein Problem bleibt. Unter dieser Voraussetzung können sie mit propalästinensischen Fensterreden von ihren eigenen Schwierigkeiten ablenken.