Warum sind die Corona-Demonstranten in China eigentlich keine "Querdenker" und "Schwurbler"?

Seite 2: Corona-Proteste in China: Pandemie und Politik

Natürlich sind die Proteste gegen die repressive Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung ein gutes Zeichen. Sie zeigen, dass die Menschen selbst im autoritär geführten Reich der Mitte gegen eine starre und offensichtlich gescheiterte Pandemiepolitik aufbegehren.

Skurril ist aber die begeisterte Aufmerksamkeit, die den quantitativ und territorial beschränkten Demonstrationen vonseiten westlicher Medien und politischer Akteure gerade zukommt. Die Corona-Proteste in China werden da als Freiheitskampf von 1,4 Milliarden Einwohnern umgedeutet und geradezu hochgeschrieben.

Das ist unehrlich und strotz mal wieder von westlicher Hybris. Denn weder die großen Corona-Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen in Österreich, Belgien noch in den Niederlanden sind derart präsentiert worden. Wer sie als Kampf um bürgerliche Freiheiten verteidigte oder gar unterstützte, wurde als "Schwurbler" abgestempelt oder auch von regierungsfinanzierten "Faktencheckern" ins Visier genommen.

Natürlich sind die politischen Rahmenbedingungen nicht zu vergleichen, wie am gestrigen Montag schon mein Kollege Thomas Pany deutlich machte: Sie sind in China härter und andauernder als bei uns im Westen, dessen Anspruch auf Freiheit in den vergangenen knapp drei Jahren tiefe Risse bekommen hat.

Der Mechanismus aber schon: Hier wie dort gingen und gehen Menschen für ihre Freiheit auf die Straße. Hier wie dort hinterfragen sie die Legitimation der Einschränkungen gegenüber dem behaupteten Schutz.

Funktioniert der Erreger in China also anders als bei uns im Westen? Virologisch nicht. Politisch schon. Denn die Proteste sind für die Nato-Staaten auch ein willkommener Anlass, den kommenden Konkurrenten in Asien anzugreifen. Wer das konstruiert findet, sollte den jüngsten Einlassungen des britischen Premiers Rishi Sunak zuhören.

Sunak erklärte in seiner ersten außenpolitischen Grundsatzrede eine Neuausrichtung der britischen China-Politik und erklärte die goldene Ära zwischen den beiden Ländern für beendet, die unter seinem Tory-Vorgänger David Cameron eingeläutet worden war. Sunak nun also:

Wir erkennen an, dass China eine systemische Herausforderung für unsere Werte und Interessen darstellt, eine Herausforderung, die immer akuter wird, weil sie sich in Richtung eines noch größeren Autoritarismus bewegt.

In Großbritannien war es schon in den Jahren 2020 und 2021 zu schweren Protesten gegen die pandemiepolitischen Einschränkungen gekommen – mit Verletzten und Festnahmen inklusive Der aktuelle britische Außenminister James Cleverly hatte am Montag dennoch einen guten Ratschlag für die aufmüpfige Ex-Kolonie bereit: Die Führung in Beijing solle die Proteste ernst nehmen.

Und nachdem der BBC-Reporter Ed Lawrence während der andauernden Proteste in China festgenommen und offenbar misshandelt worden war, twitterte Cleverly, die Pressefreiheit müsse respektiert werden: "Kein Land ist ausgenommen."

Good to know, Mr Cleverly: Fahren Sie doch mal knapp zwölf Meilen entlang der Themse nach Osten, dort befindet sich das "Gefängnis Seiner Majestät Belmarsh". Der dort seit dreieinhalb Jahren unter Folter inhaftierte Journalist Julian Assange hätte Ihnen wohl einiges zu sagen.

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