Warum sind die Corona-Demonstranten in China eigentlich keine "Querdenker" und "Schwurbler"?

Studenten gedenken der Opfer des Brandes in Ürümqi. Bild: Date20221127, CC0

Themen des Tages: Holzöfen und Feinstaub. Die Sorge der deutschen Industrie über das Wegbrechen der Zulieferer. Und der westliche Blick auf die Pandemie-Proteste in China.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Am wohlig warmen Kamin sitzen ohne schlechtes Gewissen. Geht das noch?

2. Eine stille und wachsende Gefahr für den Industrieriesen Deutschland.

3. Die Corona-Proteste in China und die Hybris im Westen.

Doch der Reihe nach.

China und der Westen: Mittendrin im Kräftemessen

Mit der neuen Rolle Chinas auf der weltpolitischen Bühne befasst sich heute bei Telepolis der US-Autor Ramzy Baroud. Er schildert noch einmal das konfliktreiche Zusammentreffen zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau auf dem jüngsten G-20-Gipfel. Baroud sieht den Auftritt Xis als Beleg für das neue Selbstbewusstseins Beijings.

Das wird auch in den USA als Nato-Führungsmacht so gesehen:

In dem am 22. Oktober veröffentlichten Dokument zur Nationalen Sicherheitsstrategie 2022 der USA wird China als "der einzige Konkurrent" beschrieben, "der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung neu zu gestalten, als auch in zunehmendem Maße über die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht dazu verfügt".

Wenn Lieferketten reißen

Eine weltweit vernetzte Produktion ist von intakten Lieferketten abhängig. Sind sie gestört, kann es für eine Volkswirtschaft teuer werden, so Telepolis-Autor Bernd Müller. Eine aktuelle Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung bekräftige diesen Umstand, denn:

Die deutsche Industrie ist auf viele Vorprodukte angewiesen, die im Ausland produziert werden. Wegen Lieferengpässen musste sich deshalb in den vergangenen Jahren erhebliche Einbußen hinnehmen. Von Anfang 2021 bis Mitte 2022 konnten Güter im Wert von knapp 64 Milliarden Euro nicht hergestellt werden, weil Vorprodukte fehlten.

Kritik am "Holzofen-Wahnsinn"

Der Belästigung von Anwohnern durch Windkraftanlagen oder Höchstspannungsleitungen und der Ortsbildbeeinträchtigung durch PV-Anlagen auf den Dächern wurde bislang mehr Bedeutung zugemessen als den Folgen der Luftverschmutzung durch Feinstaub, schreibt heute Telepolis-Autor Christoph Jehle.

Schon vor der aktuellen Energiekrise hatte der gute Ruf der Holzheizungen Schaden genommen. Unumstritten ist die Tatsache, dass es sich bei Holz um einen erneuerbaren Brennstoff handelt. Das Problem besteht jedoch in den Feinstaubemissionen, die aus den Schornsteinen ausgestoßen werden.

Der ehemalige ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann bezeichne den Kamingeruch an den Abenden als perfekten Marker für den Feinstaubgehalt der Luft; er spreche von einem "Holzofen-Wahnsinn".

Corona-Proteste in China: Pandemie und Politik

Natürlich sind die Proteste gegen die repressive Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung ein gutes Zeichen. Sie zeigen, dass die Menschen selbst im autoritär geführten Reich der Mitte gegen eine starre und offensichtlich gescheiterte Pandemiepolitik aufbegehren.

Skurril ist aber die begeisterte Aufmerksamkeit, die den quantitativ und territorial beschränkten Demonstrationen vonseiten westlicher Medien und politischer Akteure gerade zukommt. Die Corona-Proteste in China werden da als Freiheitskampf von 1,4 Milliarden Einwohnern umgedeutet und geradezu hochgeschrieben.

Das ist unehrlich und strotz mal wieder von westlicher Hybris. Denn weder die großen Corona-Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen in Österreich, Belgien noch in den Niederlanden sind derart präsentiert worden. Wer sie als Kampf um bürgerliche Freiheiten verteidigte oder gar unterstützte, wurde als "Schwurbler" abgestempelt oder auch von regierungsfinanzierten "Faktencheckern" ins Visier genommen.

Natürlich sind die politischen Rahmenbedingungen nicht zu vergleichen, wie am gestrigen Montag schon mein Kollege Thomas Pany deutlich machte: Sie sind in China härter und andauernder als bei uns im Westen, dessen Anspruch auf Freiheit in den vergangenen knapp drei Jahren tiefe Risse bekommen hat.

Der Mechanismus aber schon: Hier wie dort gingen und gehen Menschen für ihre Freiheit auf die Straße. Hier wie dort hinterfragen sie die Legitimation der Einschränkungen gegenüber dem behaupteten Schutz.

Funktioniert der Erreger in China also anders als bei uns im Westen? Virologisch nicht. Politisch schon. Denn die Proteste sind für die Nato-Staaten auch ein willkommener Anlass, den kommenden Konkurrenten in Asien anzugreifen. Wer das konstruiert findet, sollte den jüngsten Einlassungen des britischen Premiers Rishi Sunak zuhören.

Sunak erklärte in seiner ersten außenpolitischen Grundsatzrede eine Neuausrichtung der britischen China-Politik und erklärte die goldene Ära zwischen den beiden Ländern für beendet, die unter seinem Tory-Vorgänger David Cameron eingeläutet worden war. Sunak nun also:

Wir erkennen an, dass China eine systemische Herausforderung für unsere Werte und Interessen darstellt, eine Herausforderung, die immer akuter wird, weil sie sich in Richtung eines noch größeren Autoritarismus bewegt.

In Großbritannien war es schon in den Jahren 2020 und 2021 zu schweren Protesten gegen die pandemiepolitischen Einschränkungen gekommen – mit Verletzten und Festnahmen inklusive Der aktuelle britische Außenminister James Cleverly hatte am Montag dennoch einen guten Ratschlag für die aufmüpfige Ex-Kolonie bereit: Die Führung in Beijing solle die Proteste ernst nehmen.

Und nachdem der BBC-Reporter Ed Lawrence während der andauernden Proteste in China festgenommen und offenbar misshandelt worden war, twitterte Cleverly, die Pressefreiheit müsse respektiert werden: "Kein Land ist ausgenommen."

Good to know, Mr Cleverly: Fahren Sie doch mal knapp zwölf Meilen entlang der Themse nach Osten, dort befindet sich das "Gefängnis Seiner Majestät Belmarsh". Der dort seit dreieinhalb Jahren unter Folter inhaftierte Journalist Julian Assange hätte Ihnen wohl einiges zu sagen.

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