Warum wir die Natur nicht retten wollen

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Viele wollen jetzt die Erde, die Menschheit oder die Natur retten. Aber wäre es nicht besser, erst einmal die Vernunft zu retten?

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Es war Anfang der 1980er Jahre. Die deutsche Friedensbewegung war auf dem Höhepunkt. Wer kann auch schon dafür sein, wenn neue Atomraketen in Ost und West aufgebaut werden? Wenn es Streit gab, dann über die Aktionsformen. Würden Großdemonstrationen reichen oder sollte man beispielsweise mit Manöverbehinderungen etwas robuster ins Militärgeschehen eingreifen, wie es 1984 in Osthessen, dem sogenannten Fulda-Gap, geschehen ist?

Und dann kam da ein Intellektueller wie Wolfgang Pohrt und machte die ganze schöne deutsche Friedensbewegung madig, indem er sie polemisch als deutschnationale Erweckungsbewegung kritisierte. Viele Friedensfreunde hyperventilierten und Pohrt wurde bald als Nato-Freund bezeichnet und mit anderen Begriffen belegt.

Auch antisemitische Anspielungen fehlten nicht. Dabei hatte Pohrt mit keiner Silbe geschrieben, dass er neue Raketen in Europa befürwortet. Er hat vielmehr die vorherrschende Ideologie kritisiert, die in der deutschen Friedensbewegung, die vor 40 Jahren begann, hegemonial war. Demnach drohte die Auslöschung Deutschlands, wenn die USA und die Sowjetunion jeweils auf dem Territorium der BRD und dem der DDR-Raketen stationieren.

Das könnte man zunächst als sachlichen Fakt betrachten. Doch Pohrt sah in der Warnung vor einem "Euroshima" die Wiederkehr jener deutschnationalen Propaganda, wonach Deutschland von fremden Mächten bedroht werde, die nun aber mit der SU und der USA auch die Mächte waren, die 1945 den NS in Deutschland besiegt und Millionen Menschen in aller Welt befreit hatten. Die Mehrheit der Deutschen 1945 hingegen mussten besiegt werden, weil sie noch bis zum bitteren Ende für Volk und Führer kämpften und mordeten.

Pohrts gewiss polemische Zuspitzung wurde später durch einen einfachen Fakt bestätigt. Heute, wo Deutschland selbst Krieg führt, hat die Antimilitarismus-Bewegung nie mehr die Stärke der deutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre erreicht. Zudem konnte Pohrt auch auf den deutschen Neutralismus nach 1945 verweisen, der eben auch von vielen Nationalisten getragen wurde, die nicht mit jenen Mächten in den Krieg ziehen wollten, die ihren Führer geschlagen haben.

Nun haben auf Pohrts Intervention nicht alle Antimilitaristen nur mit Beleidigungen und Empörung reagiert. Es bildeten sich auch unter den aktiven Gegnern der Raketenstationierung Gruppen, die Pohrts Kritik als vielleicht die beste Unterstützung verstanden. Denn sie führte dazu, dass sich Menschen die Argumente, warum sie gegen die Raketenstationierung waren, genauer überlegten und sich über deutschnationale Sackgassen klar wurden.

Darf man heute die ideologischen Prämissen der Klimabewegung von links kritisieren?

40 Jahre später gibt es wieder eine Massenbewegung, die rhetorisch den Anspruch hat, die Welt retten zu wollen, realpolitisch aber die Regierungen dazu bringen will, dass sie das, was sie beim Klimagipfel unterschrieben haben, einhalten. Eine Umwelt, in der man leben kann, dagegen kann ein vernünftiger Mensch genau so wenig haben wie gegen eine Welt ohne Atomraketen. Doch auch hier kommt es auf die ideologischen Begründungen an.

Das fängt schon damit an, dass die Klimabewegung die Natur oder die Erde retten will. Dabei kann man doch schnell erkennen, dass hier, vorsichtig gesagt, ein Denkfehler vorliegt. Denn angenommen, die Prognosen bewahrheiten sich, dann droht durch den Klimawandel nicht Mensch und Natur Gefahr, sondern dem Überleben der Menschen. Ohne sie würde die Erde noch eine geraume Zeit weiterbestehen, bis die Sonne zum roten Überriesen wird.

Nun könnte man sagen, wenn die Klimabewegung die Natur retten will, meint sie doch genau die Menschen. Doch hier handelt es sich um keine Detailkritik. Was zu retten wäre, wäre die menschliche Zivilisation, damit gemeint sind auch die vielfältigen Spuren, die die Menschen in den Jahrmillionen ihres Bestehens auf der Erde hinterlassen haben. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die Spuren in der Umwelt.

Diese Zivilisation sorgt übrigens dafür, dass wir heute darüber reden, wie wir der Umweltverschmutzung und dem Klimawandel begegnen. Die Natur kümmert sich darum nicht, sie waltet, grausam, lebensfeindlich. Man braucht sich nur den kürzlich angelaufenen Film Aquarela ansehen, um den Unterschied zwischen Natur und Zivilisation zu begreifen.

Der Film beginnt am Baikalsee, wo, sicher durch den Klimawandel bedingt, die Eisschicht Wochen eher als in früheren Jahren taut und manche Anwohner das nicht begreifen wollen und mit ihrem Auto dann einbrechen. So wird der Baikalsee ein Grab für viele, wenn sie der Natur ausgeliefert sind.

Wenn sie Glück haben, kommt ein Rettungsdienst, also ein Zeichen der Zivilisation. Hier zeigt sich deutlich, dass die Natur eher der Feind von menschlichem Leben ist. Zivilisation beginnt erst da, wo sich die Menschen von der Willkür und den Unbilden der Natur freimachen können.

Zivilisation bedeutet menschliche Fußspuren

Konkret bedeutet dies, dass ein prähistorischer Mensch, der nicht mehr ständig das Feuer bewachen musste, damit es nicht ausgeht, und der sich nicht ständig vor wilden Tieren vorsehen musste, sondern Schutzmechanismen errichtet hat, der Beginn der Zivilisation ist. D.h. konkret, diejenigen menschlichen Fußspuren, die man heute auch in der Umweltbewegung gerne minimieren möchte, stehen für die Zivilisation.

Dass auch menschliche Eingriffe in die Natur keinesfalls nur negative Affekte haben müssen, zeigte sich in Israel, wo die Regierung Wüsten fruchtbar gemacht hat. Dass bedeutet natürlich im Umkehrschluss nicht, dass jeder menschliche Eingriff in die Natur positiv ist. Gerade nicht in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der das Profitprinzip und nicht das eines schöneren Lebens für alle das Leitmotiv ist.

Doch es wäre schon ein Gewinn, wenn man sich in der Klimabewegung über das Mensch-Natur-Verhältnis streiten könnte und immer wieder darauf hinweisen könnte, dass allein die Tatsache, dass es diese Klimabewegung gibt, doch ein Erfolg dieser Zivilisation ist.

Es gibt erfreulicherweise noch Stimmen, die diese Zivilisation gegen die Natur stark machen wollen. "Warum wir die Natur nicht retten wollen", lautet die Überschrift über einen Artikel der linksunabhängigen Zeitschrift Straßen aus Zucker. Dort sind kurz und knapp die Argumente für die Stärkung der Zivilisation für ein junges Publikum zusammengefasst. Erfreulicherweise gehen die Autoren auch auf historische Bezüge des Naturromantizismus ein.

Nun, zunächst einmal wollen wir auf gar keinen Fall zurück zu einem wie auch immer gearteten, "ursprünglichen" Zustand der Natur, in dem die Menschen sich aufs Land zurückziehen, um dort abgeschieden und im Schweiße ihres Angesichts den lieben langen Tag den Acker zu bestellen und Selbstversorgung zu betreiben. Übrigens auch dann nicht, wenn die Waldhütte oder der umgebaute Bauernhof kostenloses W-Lan zu bieten hätte. Denn romantische Dichter und Biogarten-Ökos vergessen oft, dass Natur ohne Bearbeitung des Menschen eher Wildnis statt Idylle ist. So ist etwa der Urwald - selbst mit entsprechender Decathlon-Ausrüstung - kein sonderlich menschenfreundlicher Ort.

Aus: Straßen aus Zucker