Was die russischen und ukrainischen Friedenspläne für die Zukunft des Krieges bedeuten

Fahnen der Ukraine und von Russland auf einem Tisch, leere Stühle

Bisher schienen echte Verhandlungen noch fern. Bild: Studio Romantic, Shutterstock.com

Neue Details über Gespräche zur Beendigung des Krieges 2022 zeigen, dass die Zeit nicht für Kiew spielt. Wie die Vorschläge beider Seiten aussehen. Ein Gastbeitrag.

Der internationalen Gemeinschaft liegen zwei offizielle Vorschläge – ein ukrainischer und ein russischer – für eine Friedensregelung zur Beendigung des Krieges in der Ukraine vor. Beide sind in ihrer jetzigen Form und unter den gegebenen Umständen absurd. Dennoch sollten Diplomaten und Analysten darüber nachdenken, ob sie nicht den Ausgangspunkt für Verhandlungen bilden könnten, die zu einem Kompromiss führen.

Der "Zehn-Punkte-Friedensplan" der ukrainischen Regierung fordert den vollständigen Abzug der russischen Streitkräfte aus allen ukrainischen Gebieten, die Russland seit 2014 besetzt hält, als Vorbedingung für Gespräche.

Es ist wahrscheinlich, dass bei diesen Gesprächen auch andere ukrainische Themen zur Sprache kommen werden, darunter Kriegsverbrecherprozesse gegen die russische Führung und Entschädigungen für die durch die russische Invasion verursachten Schäden.

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Präsident Wolodymyr Selenskyj und weitere ukrainische Vertreter haben indes erklärt, dass eine ukrainische Neutralität von vornherein inakzeptabel sei. Dazu ist anzumerken, dass eine Einladung zum Nato-Beitritt nicht Sache der Ukraine, sondern der bestehenden Nato-Mitglieder ist und durch ein nationales Veto blockiert werden kann.

NYT: Ukraine ändert Positionen

Wie die New York Times diese Woche aufdeckte, unterscheiden sich diese ukrainischen Forderungen radikal von den Positionen, die die Ukraine bei den Friedensgesprächen mit Russland in Istanbul in den ersten Wochen nach der russischen Invasion im Februar 2022 eingenommen hatte. Die Zeitung zitiert zu der damaligen Lage einen der ukrainischen Unterhändler, Oleksandr Chalyi:

Es ist uns gelungen, einen sehr guten Kompromiss zu finden. ... Mitte April, Ende April waren wir sehr nahe daran, unseren Krieg mit einer friedlichen Lösung zu beenden.

Zu diesem Zeitpunkt war die ukrainische Regierung bereit, einen dauerhaften Neutralitätsvertrag (der eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, nicht aber in der Nato ermöglicht) zu akzeptieren, wenn im Gegenzug alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Sicherheitsgarantien abgeben würden.

Die Ukrainer weigerten sich, die russische Annexion der Krim oder die Unabhängigkeit der von Russland besetzten Gebiete im Donbass anzuerkennen, waren aber bereit, diese bis zu künftigen Verhandlungen auf unbestimmte Zeit de facto unter russischer Kontrolle zu belassen.

Die Differenzen

Allerdings gab es einige gravierende Bruchstellen. Russland verlangte, dass Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates zur Verteidigung der Ukraine einstimmig beschlossen werden müssten – was Russland ein Vetorecht eingeräumt hätte. Außerdem verlangte Russland, dass die ukrainischen Raketen auf eine Reichweite von 25 Meilen (ca. 40 km) begrenzt werden, während es für die russischen Waffen keine solche Begrenzung geben sollte.

Anatol Lieven ist Direktor des Eurasien-Programms am Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Diese Bedingungen waren für die Ukrainer offensichtlich inakzeptabel. Ob diese Meinungsverschiedenheiten hätten überwunden oder in irgendeiner Weise nuanciert werden können, kann nicht gesagt werden, da die ukrainische Seite die Gespräche aus heftig umstrittenen Gründen abgebrochen hat.

Verschärfung auf allen Seiten

Wenn sich die ukrainischen Verhältnisse in den folgenden zwei Kriegsjahren enorm verschärft haben, so gilt dies auch für Russland.

In einer Stellungnahme auf dem vom Westen einberufenen "Friedensgipfel" in der Schweiz forderte Präsident Wladimir Putin die Ukraine auf, ihre Truppen aus allen vier ukrainischen Provinzen abzuziehen, die Russland seit Beginn des Krieges annektiert haben will (zusätzlich zur Krim, die 2014 annektiert wurde) – obwohl Russland keine dieser Oblaste vollständig besetzt hält und es nicht einmal geschafft hat, deren Hauptstädte Cherson und Saporischschja zu erobern oder zu halten.

Putins Positionen

Putin erklärte, dass Russland seine Militäroperationen einstellen werde, sobald die Ukraine mit dem Rückzug ihrer Truppen beginne. Er fügte jedoch hinzu, dass die Ukraine als Teil einer endgültigen Friedensregelung die russische Souveränität über diese vier Provinzen und die Krim anerkennen, einen Neutralitätsvertrag unterzeichnen, die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine garantieren und sich zu einer "Entmilitarisierung" und "Entnazifizierung" verpflichten müsse.

Diese russischen Bedingungen wurden von der ukrainischen Regierung und dem Westen freilich umgehend zurückgewiesen.

Am Ende kommt es auf die militärische Lage an

Letztlich werden die Bedingungen für ein Ende der Kämpfe, sei es in Form eines formellen Friedensabkommens oder eines Waffenstillstands bis zu künftigen Gesprächen, von der militärischen Lage vor Ort abhängen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Forderung der Ukraine nach einem vollständigen russischen Rückzug als Vorbedingung für Gespräche völlig unmöglich. Dies würde eine totale Niederlage des russischen Militärs voraussetzen, was die Leistung der Ukraine derzeit und auf absehbare Zeit bei Weitem übersteigt.

Putins Friedensbedingungen hingegen setzen zwar voraus, dass Russland der Ukraine weitere schwere Niederlagen zufügt, sie aber nicht notwendigerweise vollständig besiegen muss. Um diese Position auf dem Boden zu erreichen, muss Russland nur den Rest dieser vier Provinzen besetzten oder andere Gebiete erobern und dann einen Austausch anbieten.

Vergleich mit Republik Nordzypern

Aber wenn Moskau bereit wäre, sich mit der ukrainischen und westlichen Akzeptanz einer De-facto-Herrschaft Russlands zu begnügen, wäre dies – wie im Falle der nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern – nicht unbedingt ein fatales Hindernis für den Frieden.

Die Neutralität ist von den westlichen Regierungen bereits faktisch akzeptiert worden, da sie wiederholt erklärt und gezeigt haben, dass sie die Ukraine zwar unterstützen, aber nicht in einen Krieg zu ihrer Verteidigung eintreten werden.

Dies schließt die Akzeptanz einer Ukraine aus, die sich auch nach einem Waffenstillstand im Kriegszustand mit Russland befindet.

Verlust von Provinzen

Selbst die faktische Anerkennung der russischen Herrschaft über fünf ukrainische Provinzen wäre für die Ukraine und den Westen eine äußerst bittere Pille. Dies wäre aber immer noch weit weniger als die Maximalziele der russischen Hardliner, die entweder die Unterwerfung der gesamten Ukraine oder die Annexion aller russischsprachigen Gebiete des Landes einschließlich der zweitgrößten Stadt der Ukraine, Charkiw, und der gesamten Schwarzmeerküste anstreben.

Sollte es der ukrainischen Armee in den kommenden Monaten und Jahren gelingen, die bestehenden Linien in etwa zu halten, wird die endgültige Demarkationslinie zwischen der Ukraine und Russland (unabhängig davon, ob sie in einem formellen Friedensabkommen gezogen oder im Rahmen eines Waffenstillstands akzeptiert wird) entlang dieser Linien verlaufen.

Rückblick auf März 2022

Sollte die Ukraine jedoch besiegt werden und weitaus größere Gebietsverluste erleiden, könnten künftige Generationen von Ukrainern bedauern, dass Kiew Putins Vorschlag nicht zumindest als Ausgangspunkt für Verhandlungen betrachtet hat.

Denn es sei daran erinnert, dass die russischen Bedingungen vom März 2022 zwar auch für die Ukraine eine bittere Pille gewesen wären. Hätte sie sie geschluckt, hätte sie viele Gebietsverluste vermeiden können, das sie nun mit Sicherheit endgültig akzeptieren muss. Sie hätte viel Schaden vermieden, der vielleicht nie wieder gut gemacht werden kann. Und die Leben vieler Menschen gerettet, die nie wieder ins Leben zurückgebracht werden können.

Anatol Lieven ist Direktor des Eurasien-Programms am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien am King's College London.

Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem US-Partnermedium Responsible Statecraft.