Was ist mit Saddam Hussein?
Nach Bin Ladin könnte auch der irakische Diktator zu einem Phantom werden - und andere, ein wenig medientheoretische Überlegungen
Kaum waren die ersten Bomben in der "Operation Iraqi Freedom" gefallen, gab es schon die ersten Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Ziel der Bomben war ganz offensichtlich Saddam Hussein und die Führungsschicht des Regimes selbst (Saddam war das Ziel der Luftangriffe). Saddam aber trat ein paar Stunden im Fernsehen auf. Aber war es der echte Saddam?
Der Krieg im Medienzeitalter ersetzt die Gerüchte, die von Mund zu Mund gehen, durch weltweit zirkulierende Informationen, die wie Fernsehbilder Wirklichkeit zu bezeugen scheinen. Der medienaufgeklärte Zeitbürger weiß natürlich, wenn es ihn überhaupt kümmert, dass alle Bilder in ihrer ganzen scheinbaren Authentizität für den Blick und das Gehör natürlich auch gefälscht worden sein können - und manchmal womöglich so gut, dass sich nicht ohne weitere Hinweise zweifelsfrei beweisen lässt, ob sie dies sind oder nicht. Die gezielten Bomben auf Hussein und seine Wiederauferstehung im Fernsehen sind nur ein Beispiel für die Verunsicherung gegenüber den Medien und den Bildern, die besonders seit dem 11.9. und dem Krieg gegen den Terrorismus virulent geworden ist (Wahrheit und Fälschung im digitalen Zeitalter).
Krieg ist (auch) ein Medienspektakel
Bilder sind im Krieg für das Militär, aber auch für die Regierungen und Regime zu wichtigen Mitteln geworden, die über Sieg oder Niederlage auf dem Schlachtfeld oder an der Heimatfront und auf den Bildschirmen entscheiden können, an denen die Weltöffentlichkeit am erhabenen Spektakel eines Krieges als Beobachter teilnehmen. Und mit den technischen Möglichkeiten wachsen auch die Erwartungen, von allen Ereignissen Bilder zu haben, also eine totale Beobachtung möglichst in Echtzeit zu realisieren. Einer solchen "Total Awareness" in Echtzeit hängen Militärs für das Schlachtfeld oder Geheimdienste für die Überwachung der Menschen nach, aber auch die Medien und ihre Zuschauer. Auch die Kritik oder die Enttäuschung, nicht alles medial aufzeichnen oder über alle Bildquellen verfügen zu können, ist Ausdruck der Erwartung, alles sehen zu wollen und zeigen zu können. Nichts soll den Medienaugen noch entgehen können.
Wenn die Medien, vor allem die Fernsehsender mit Live-Schaltungen über die ganze Welt, auf den Krieg umstellen und pausenlos über die Ereignisse, deren Ausbleiben, die nächsten Schritte, die Folge, die Interpretation der Informationen oder auch den Wahrheitsgehalt von diesen berichten, dann folgen sie markt- oder quotengemäß den Erwartungen der Zuschauer, die bei solchen globalen Ereignissen, die die Welt erschüttern, über alles informiert sein wollen. Das aber ist wahrscheinlich etwas beschönigend ausgedrückt, denn die Zuschauer, die in sicherer Entfernung Beobachter sein wollen, wünschen meist auch in irgendeiner Weise erregt, überrascht, erschreckt, jedenfalls emotional berührt zu werden. Dauerberichterstattungen schüren gewissermaßen dann das Waren darauf, dass es passiert, vielleicht auch dass eine Dramaturgie geschieht, die die Ereignisse zuspitzt. Was genau sich ereignen soll, ist vermutlich das große X, das durch eigene Erfahrungen, mehr aber wohl für die meisten Menschen im Westen wiederum durch Bilder aus Filmen vorgeprägt ist.
Auch wenn die Sender diese Erwartung keineswegs schüren wollen, macht sie eine wesentliche Komponente des Geschehens aus. Wird die Erwartung zu oft durch Nichtereignisse oder Wiederholungen in Dauersendungen "getäuscht", sinkt die Aufmerksamkeit und wendet sich anderen Dingen zu, was sich auch bald auf die Berichterstattung auswirkt. Ist die Aufmerksamkeitsdynamik zwischen den Medien, den kollektiven Aufmerksamkeitssystemen, den Zuschauern und den kriegführenden Parteien derart gestaltet, so liegt es nahe, dass auch das Militär, von dem das Geschehen geprägt wird, versucht sein könnte, den Kriegszug entsprechend der Erwartungen zu gestalten. Die hatte das Pentagon mit den neuen Waffen und der Ankündigung eines geschichtlich einmaligen "shock and awe"-Angriffs schon gesetzt. Nachdem das US-Militär im wahrsten Sinne des Wortes den irakischen Streitkräften asymmetrisch überlegen ist, könnte mit der Siegesgewissheit der Ablauf des Krieges auch medientaktisch gestaltet werden.
Ziel Saddam
Die erste und die zweite Welle der Luftkriegangriffe auf Bagdad waren gezielte Angriffe auf wenige Ziele, während die jetzt beginnende Bombardierungen von Hunderten von Zielen Widerstandskraft der Gegner schwächen soll. Wenn auch die Waffen und deren Anzahl neu sein mögen, so ist diese auch psychologische Kriegsführung selbst nichts Neues, sondern wahrscheinlich so alt wie der Krieg. Erschreckend - und das wollen die Bilder von den Bombardierungen, die durchaus für den entfernten Beobachter ästhetischen Charakter besitzen und die grausame Schönheit der Zerstörung feiern - ist an diesen Bombardierungen wohl vor allem, dass hier ein weit überlegener Gegner mit ungeheurer Waffengewalt seinen Feind niederwalzt, der Krieg hier die Anmutung eines Stierkampfs besitzt, der ebenfalls das ästhetische Ritual eines Kampfs um Leben und Tod aufführt, auch wenn dieser noch etwas "symmetrischer" angelegt ist.
Angeblich sollte das Land durch die Vernichtung der Regime-Führung, vor allem natürlich durch die Ausschaltung von Hussein und seinen Söhnen, "enthauptet" werden, nachdem der CIA sicher gewesen sein soll, den Aufenthaltsort des Diktators gekannt zu haben. Doch der trat kurz danach munter und kampfbereit im Fernsehen auf. Das CIA bestätigt, so Pressemeldungen, dass sich Hussein mit einem oder zwei seiner Söhne mindestens eine halbe Stunde vor den Einschlägen noch in dem Gebäude aufgehalten haben soll. Angeblich sollen CIA-Mitarbeiter schon lange Zeit zuvor in Bagdad die Möglichkeit geschaffen haben, direkt die Kommunikation über ein Glasfaserkabel abzuhören und zu bestimmen, wo Gespräche geführt werden. Überdies habe man Saddam mit technischen Mitteln und heimlich postierten Agenten beobachtet.
Noch liegen offenbar keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob Saddam getötet oder verletzt worden ist, ob er entkommen konnte oder gar nicht mehr im Gebäude war. Es gibt Gerüchte, dass Qusai, ein Sohn von Hussein, getötet worden sein könnte. Angeblich wurde ein Telefonanruf abgehört, aus dem offenbar geschlossen wird, dass Saddam verletzt worden sein könnte, da medizinische Hilfe angefordert wurde.
Beweiskraft der Bilder
Haben die ersten Schläge also schon einmal ihr Ziel verfehlt, auch wenn sie das Gebäude und den dort befindlichen Bunker schwer beschädigt haben? Wie verlässlich sind die Geheimdienstinformationen, wie geschickt das Spiel des Diktators, sich der Verfolgung zu entziehen? Solange Bagdad nicht eingenommen und Hussein nicht ergriffen und getötet wurde, wird man nicht sicher wissen, ob er die Anschläge aus der Luft überlebt hat. Schließlich könnte die Rede des Diktators auch bereits vorher aufgezeichnet worden sein. Oder diese konnte zwar live gesendet worden sein, Saddam Hussein aber wurde nur durch einen Doppelgänger dargestellt (Saddam ist nicht einer, sondern viele). Das Pentagon scheint auch Parisoula Lampsos in die Analyse mit einzubeziehen, eine ehemalige Geliebte des irakischen Diktators, die mit dem Lügendetektor überprüft wurde. Sie behauptet, der Hussein im Fernsehen sei nicht der echte.
Natürlich könnte Saddam Hussein auch dann noch leben und auch unverletzt sein, wenn er einen Doppelgänger ins Studio geschickt hat. Das wäre zumindest noch perfider, denn dann würden manche Experten, die wie der Kriminologe Buhmann im ARD dies am Donnerstag nach einem Vergleich der Fernsehbilder mit Archivbildern versicherte, die Echtheit des Darstellers bestätigen. Ari Fleischer, der Sprecher des Weißen Hauses, wollte hierzu lieber keine Meinung abgeben. Auch US-Verteidigungsminister hielt sich zunächst bedeckt, kündigte sicherheitshalber aber schon einmal weitere Angriffe in einem Ausmaß an, wie sie dies die Welt noch nie zuvor gesehen hat: " What will follow will not be a repeat of any other conflict. It will be of a force and scope and scale that has been beyond what has been seen before."
Ein früherer CIA-Mitarbeiter zeigte sich, wie CNN berichtete davon überzeugt, das wäre ein Double gewesen. Inzwischen freilich ist man beim CIA der Meinung, dass die Person, die im Fernsehen aufgetreten ist, wohl doch ziemlich sicher Saddam Hussein selbst war, auch wenn man nicht sagen kann, ob die Aufnahmen nicht schon zuvor aufgezeichnet worden sind. Saddam soll zuvor einige Filme gemacht haben, die dann als Konserven je nach Gelegenheit eingesetzt werden könnten. In der Fernsehsendung jedenfalls gab es auch in dem, was er sagte, keine eindeutigen Hinweise auf den Zeitpunkt.
Es wird vermutlich noch einige Expertenmeinungen über die Authentizität von Aussehen und Stimme geben und darüber, ob es eine Live-Sendung oder eine Aufzeichnung war. "Empirisch" haben die Menschen im Fernsehen jedoch Saddam Hussein gesehen. Es wird schwer werden, den Gläubigen zu beweisen, dass es nur eine Aufzeichnung oder ein Doppelgänger war, wenn man nicht gleichzeitig beweisen kann - was wiederum nur über den Bildschirm gehen kann -, dass Hussein tot oder gefangen ist. Schwierig auch deswegen, weil die US-Regierung, was die Wahrheit ihrer Behauptungen und Beweise angeht, in letzter Zeit nicht besonders geglänzt hat. Der Fall Usama bin Ladin hat dieses mediale Problem nur allzu deutlich gemach (Wie eine Tonbandbotschaft vielen Zwecken dient)t. Aber auch dann, wenn man die Leiche oder einen lebendigen Saddam vorweisen kann, wird man sich schwer tun, Misstrauische davon zu überzeugen, dass es sich nicht um einen der Doppelgänger handelt.
Das sind schwierige, geradezu philosophische Probleme, mit denen hier die Propaganda-Abteilungen wie das Office for Strategic Communications und die entsprechenden Abteilungen im Pentagon und Außenministerium konfrontiert sind. Dass viele Menschen, zumindest außerhalb der Vereinigten Staaten, nicht ohne weiteres alles glauben, was in Form von Bildern vorgelegt wird, wie dies beispielsweise US-Außenminister Powell an der UN gemacht hat, ist schon deutlich geworden. Auch die US-Regierung hat den Zweifel an der Arbeit der Inspektoren schon gleich zu Beginn gesät. Was auch immer sie (nicht) finden werden, so etwa Rumsfeld, es wird nichts über die wirkliche, aber verborgene, jederzeit zu vermutende Existenz von Massenvernichtungswaffen aussagen. Möglich ist alles. Diese offizielle Bezweiflung der empirischen Arbeit der Waffeninspekteure dürfte spätestens dann zurückschlagen, wenn die Invasoren ihrerseits wieder zeigen müssen, dass sie Massenvernichtungswaffen gefunden haben.
In einer seltsamen Wiederkehr spiegelt sich nun in dieser Episode des Krieges das Verschwinden des großen Bösen Bin Ladin während des Afghanistan-Feldzugs. Wie man annimmt, soll Bin Ladin sich in die ausgebauten Höhlen von Tora Bora zurückgezogen haben. Dort wurde mit der Unterstützung von Kriegern der Nordallianz ebenfalls ein massiver Luftangriff auf diese Verstecke ausgeführt. Der Aufwand aber stand offenbar in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Zunächst hieß es, hier hätten sich Tausende von al-Qaida-Kämpfern zurückgezogen. Es gab nach Ende des Bombardements aber offenbar nur wenige getötete Gegner. Insgesamt soll es sich um einige Hundert gehandelt haben, die sich davon stehlen konnten - womöglich mit der Hilfe der Nordallianz-Kämpfer, die ihnen gegen Geld geholfen haben. Am Anfang wurde die Vermutung geäußert, Bin Ladin sei bei dem Bombardement getötet worden, später sprach man von Verletzungen. Dann wurde Ladin zum Phantom, das nur in Form von Videos und Tonbandaufzeichnungen auftrat, über deren Authentizität ähnlich gestritten wurde wie jetzt über die Fernsehbilder von Husssein (Neues Bin Ladin Video).
Das Misstrauen in die Bilder wächst
Das Paradox scheint zu sein, dass die Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt der Bilder und Töne in dem Maße steigt, in dem sie inflationär geworden sind. Sie können nicht nur jederzeit aufgezeichnet und reproduziert, sondern auch immer besser manipuliert werden. Vor allem digitale Informationen stehen unter höchstem Verdacht. Womöglich kehrt sich allmählich etwas um, was in Analogie zum linguistic turn und dann vielleicht zum iconic turn ein contextual turn genannt werden könnte, bei dem auch die Sprache wieder wichtiger wird.
Würde das zutreffen, dann könnten sich womöglich auch die Medienformate verschieben. Mit der Erfindung der Fotografie sind die Bilder zunächst in die Zeitungen und Magazine eingedrungen und haben sich dort bis hin zu allen Varianten von "Bild"-Zeitungen als dominanter Inhalt durchgesetzt. Mit der Fotografie, der automatischen, gewissermaßen objektiven, mit dem "Licht der Natur" realisierten Abbildung, die auch flüchtige Ereignisse in großer Detailschärfe bannt, war zunächst der Glaube verbunden, hier einen Beleg für das Gesagte oder Geschriebene zu haben. Das Bild belegt empirisch eine unverfälschte Wirklichkeit, die Beschreibung durch eine Bildunterschrift stellt lediglich den Kontext dessen her, was durch das Bild beglaubigt wird.
Mit dem Film, dem Kino und dann dem Fernsehen und dem Video geht die Attraktion der Fiktion und des Wahrheitsbeweises auf das bewegte Bild über, schließlich in Kombination mit dem Ton. Die eigentlich bedeutsame Information vermittelt nun das Fernsehen, das besonders in Live-Aufnahmen ein Fenster zur entfernten Wirklichkeit zu eröffnen scheint. Mittlerweile sind Bilder wie in den Kinofilmen zu einer hybriden Mischung von filmischen Aufnahmen und digitalen Effekten geworden oder nähern sich digitale Simulationen der Qualität von filmischen Aufnahmen. Mit der virtuellen Realität am Zukunftshorizont tauchen die Menschen womöglich in eine realistische Bilderwelt ein, die sie mit ihrem Körper betreten und in der sie auch handeln können und die gerade deswegen zeigt, wie unzuverlässig die Welt der Bilder ist.
Die Situation gleich ein wenig der Situation in der Neuzeit. Die barocke Lust am Schein ließ die Welt zum Theater werden, in dem nichts so ist, wie es erscheint. Die Perfektionierung der Illusion schuf über den radikalen und methodischen Zweifel und einer auch existenziellen Attitüde der Desillusionierung einen Durchbruch, der die wissenschaftliche und technische Entwicklung durch die Zerstörung vieler Gewissheiten und Traditionen vorantrieb. Dieser Fortschritt eröffnete freilich Schritt um Schritt mit den wachsenden technischen Möglichkeiten auch eine weitere Perfektionierung der Illusion.
Wohin allerdings das Abschlaffen der Aufmerksamkeit und das Misstrauen in die Bildmedien heute führen wird, falls denn der beschriebene Eindruck stimmen sollte, wird interessant zu verfolgen sein. Noch ist kein Platon oder Descartes des Informationszeitalters zu erkennen. Vermutlich aber wird in der digitalen und vernetzten Lebenswelt die Information selbst, weil sie so billig und im Überfluss vorhanden ist, an Wert verlieren, während für die Glaubwürdig- und -wertigkeit der Kontext, den Personen oder Organisationen schaffen an Bedeutung zunehmen wird. Das hieße auch, dass im Gegensatz zur scheinbaren Objektivität des Kamerabildes gerade die unverschleierte Subjektivität des Dargestellten so etwas wie Vertrauen schaffen könnte. Nicht die Nachrichtenagenturen oder vorgeblich neutrale Nachrichtensendungen, sondern die durch einen persönlichen Blick gebrochene Darstellung würde dann zum wichtigsten, wenn auch sehr prekären Fundament des medial vermittelten Wirklichkeitsbezugs.
Mit all den Talkshows, Moderatoren, Kommentatoren und Experten, die das Fernsehen mehr und mehr dominieren, zeigt sich schon die Bedeutung der Personalisierung von Informationsvermittlung. Das Internet lässt dies noch einmal deutlicher werden, weil hier neben den herkömmlichen Redaktionen jeder zum Sender werden kann und über seine Homepage oder seinen Blog einen personalisierten, mit anderen Perspektiven vernetzten Blick auf die Welt eröffnet, dem allerdings in aller Regel die nicht nur technischen Mittel der Informationsbeschaffung und -darstellung fehlen, die den großen Medien zur Verfügung stehen. Doch aus dieser Konkurrenz der neuen und alten Medien, aus dieser Nivellierung der Unterschiede zwischen großen Medienorganisationen und Individuen heraus, die mit dem Satellitenfernsehen und dem Internet auf unglaublich viel mehr unterschiedliche Informationen zugreifen und selbst veröffentlichen können, wird sich eine neue Medienlandschaft aus dem Misstrauen heraus bilden. Und wenn die Zeit der Kriege der Massen vorbei sein wird, verlieren möglicherweise auch die Massenmedien an Einfluss.