Was kommt nach der Krisenerzählung?

Seite 2: Häufig geht ökonomisches Wachstum nicht mit der Verbesserung von Lebensverhältnissen einher

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Die Geschichte des heiligen Geldes ist stets mit einer politischen Agenda verbunden. In Ihren Werken weisen Sie wiederholt darauf hin, dass in dieser Rahmengeschichte der wirtschaftliche Wohlstand als Allproblemlöser angesehen wird. Ein genauer Blick enthüllt, dass das Geld eher gleichmacherische denn emanzipatorische Tendenzen unterstützt. (Im Original weise ich auf die doppeldeutige Bedeutung von "equalize" hin: "equal" kann gleichberechtigt bedeuten; "equalize" besitzt jedoch einen durchaus gleichmacherischen und nivellierenden Unterton.)

David C. Korten: Da kommt meine Lebenserfahrung ins Spiel, da ich den Großteil meines Lebens in der internationalen Entwicklungsarbeit gearbeitet habe. Ich lebte und arbeitete in Afrika, Zentralamerika und in Asien. Was ich über die Zeit sah, war, dass die generelle Überzeugung, dass Wirtschaftswachstum allen Menschen gleichermaßen zugute käme, nicht stimmte. Einige Menschen wurden davon satt und unglaublich wohlhabend. Sie konnten mehr Villen bauen, mehr Privatjets kaufen, trennten sich dafür jedoch komplett von ihrem eigenen Land ab und wurden Mitglieder der globalen Elite.

Mir fiel in Pakistan auf, als ich mit einigen der einflussreichsten Menschen dort zum Essen verabredet war, dass sie beinahe jeden Kontakt zu ihrem eigenen Land verloren hatten. Sie wissen eigentlich nichts über das Leben in den ländlichen Regionen Pakistans, aber sind immer auf dem neuesten Stand, was in London, Berlin und den restlichen Großstädten des Globus passiert. In der Zwischenzeit werden ihre eigenen Mitbürger unterdrückt und in die Verzweiflung getrieben, marginalisiert und natürlich führt dies immer wieder zu sozialer Unruhe. An dieser Stelle glauben wir unseren eigenen Geschichten. Zur selben Zeit machen jedoch gewisse Leute Geld auf Kosten der arbeitenden Menschen, auf Kosten unserer Lebensgrundlage, so dass der wahre Reichtum unserer Welt abnimmt.

Kommen wir nochmals auf die genannten Technologien zu sprechen. Welche Rolle können diese in dieser Entwicklung spielen?

David C. Korten: Zumindest werden uns die Technologien, so wie sie momentan eingesetzt werden, nicht vor dem ökologischen oder sozialen Kollaps retten. Sowohl unsere Sozial- wie auch natürlichen Systeme sind auf Lebenserhaltung ausgelegt. Sie müssen ihre natürliche Dynamik bewahren. Je mehr wir sie zu unterdrücken versuchen mit unseren Technologien, desto weniger effizient und störungsanfälliger werden sie.

Wie ich schon ausführte, lernte ich während meiner Projekte in der Entwicklungsarbeit, dass häufig ökonomisches Wachstum eben nicht mit der Verbesserung von Lebensverhältnissen der Menschen einhergeht, sondern eher mit dem Prozess, ihren Zugang zu Nahrung zu Geld zu machen. Denkt man zum Beispiel in diesem Kontext an eine traditionelle Gemeinschaft, die ihr eigenes Land bewirtschaften, ihre Nahrung anbauen, ihr Wasser direkt von den Flüssen und Quellen besorgen, natürlichen Dünger nutzen, so wird deutlich, dass einige der sehr isolierten Gemeinschaften nicht auf Geld angewiesen sind.

Die Idee hinter einer "Entwicklungsarbeit" besteht nun darin, ihre Beziehungen untereinander zu Geld zu machen, sie werden von ihrem Land entfremdet, so dass es der einzige Weg für sie ist, Geld zu verdienen, für eben diese Konzerne zu arbeiten. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich entweder in Lohn- oder Schuldensklaverei zu begeben. Ich kann nicht mehr mein eigenes Essen anbauen, sondern muss es im Supermarkt kaufen. Ich muss mir von einem dieser Konzerne das Geld holen, indem ich für sie arbeite. Die Ökonomen denken nun: Herrlich! Das Einkommen steigt, die Leute werden reicher, wir beenden die Armut, die durch Menschen, die kein Geld haben, definiert wird. Letzten Endes steigt aber die Kontrolle der Konzerne.

Sie kaufen also nur das Essen zurück, das sie zuvor selbst angebaut haben?

David C. Korten: Genau. Wenn wir das intelligenter regelten, dass die Leute die Kontrolle über ihr Land behielten, wäre das weitaus weniger problematisch. Natürlich haben wir Technologien entwickelt, die zum Beispiel unsere Abhängigkeit von den Launen der Natur reduzieren können. Wenn wir vorwärts schreiten wollen, sollten wir unterstützende Technologien frei austauschen, dann wäre es für jeden möglich, ein besseres Leben auf dieser Erde zu führen, ohne unseren Planeten übermäßig schädigen zu müssen. Aber dies kann nur in Gemeinschaft funktionieren: Innerhalb von starken Familien und sich sorgenden Beziehungen.

Besonders in den Vereinigten Staaten findet man viel Individualismus und die Vorstellung des Cowboys, der täglich den unendlichen Weiten gegenüber tritt, völlig auf sich allein gestellt. Das mag wohl stimmen, ein Cowboy an der Frontier wird von Tag zu Tag leben, aber letztlich kann er als Einzelgänger keine Nachkommen haben und keine Gemeinschaft gründen.

Aus diesem Grund sind wir Menschen darauf ausgerichtet, in Gemeinschaft zu leben. Wir fühlen uns bestätigt, wenn wir teilen, kommunizieren und etwas zum guten Zusammenleben beitragen können. Wir müssen also diese Verbindungen wieder herstellen. Das ist sehr schwer zum Begreifen. Auch das Verhalten zu ändern, fällt nicht leicht in einem System, das darauf ausgelegt ist, dass ich als Individuum nicht anders überleben kann, als mich in dieses bestehende System einzureihen und meine ganze Aufmerksamkeit dem heiligen Geld und den heiligen Märkten zuzuwenden, statt dem heiligen Leben und der heiligen Erde.

Länder wie die Vereinigten Staaten befinden sich auf einer solchen Einbahnstraße

Einige Schwellenländer werden ihren Anteil an den Ressourcen der Welt fordern. Wie können Länder in Europa und Nordamerika dem Rest der Welt Begrenzungen abfordern, wenn sie selbst lange genug (und stellenweise immer noch) große Mengen an Energie und Ressourcen verbrauchen?

David C. Korten: Es ist wichtig, dass alle Länder bemerken, dass dies eine Sackgasse ist, die ins Vergessen und Vernichtung führt. Länder wie die Vereinigten Staaten befinden sich auf einer solchen Einbahnstraße, auch wenn wir dies als Nation noch nicht anerkennen wollen: Unser Verbrauch ist unhaltbar. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, sehen wir, dass wir unsere Erde um das 1,6-fache überlasten.

Die USA konnten diesen exorbitanten Konsum aufrechterhalten, indem sie die Ressourcen vom Rest der Welt kolonisierten. Der Rest der Welt muss lernen, diesen Strom an Ressourcen einzuschränken. Jedes Land sollte die Kontrolle über seine eigenen Bodenschätze gewinnen, um seinen eigenen Bedarf decken zu können. Wir haben unsere Wirtschaft aufgeplustert, so dass wir sie weltweit verteilen können. Wir zerstören derzeit unsere Mittelklasse. Wir bieten leider keine Alternativen zu diesem hohen Konsumlevel an, aber wir lagern unsere Arbeit in Länder aus, die billigeren Lohn ermöglichen. Der Profit der Konzerne wird dadurch sicher steigen.

Bei diesem Spiel wird getrickst und manipuliert, nicht unbedingt zum Vorteil der Amerikaner oder einer anderen Nationalität. Die Reichsten unter uns profitieren letztlich davon. Die Art von Befriedigung, die wir durch extremes Konsumverhalten verspüren, ist letztlich temporär. Es verschafft uns keine wirkliche Befriedigung, wenn wir davon abhängig werden. Wir werden süchtig nach Shoppen oder nach dem neuesten Gerät. Wenn ich mir das neueste Smartphone kaufe, fühle ich mich glücklich. Es beantwortet aber nicht die wahre Natur unserer Befriedigung.

Wir kommen erneut zu den eigentlichen Fragen zurück: Wer sind wir? Woher kommen wir? Warum sind wir hier? Sind wir wirklich nur die zufälligen Ergebnisse eines Evolutionsprozesses, der auf nichts Anderem beruht als individualistischer Gewalt oder sind wir das Produkt eines fortschreitenden Prozesses einer Schöpfung, die ihre eigenen Möglichkeiten entdeckt?

Wenn man mit dem Erzählen von Stories anfängt, gibt es stets verschiedene Bedeutungsebenen. Menschen können erkennen, wenn das herrschende System eine partikuläre Version der Story erzählt. Es sind ja dann doch verschiedene Zugänge möglich. Ein möglicher wäre das YES!-Magazin, das sie zusammen mit einem Team herausgeben.

David C. Korten: Nun, jeder von uns hat seine eigene Geschichte, Sinn in der großen Story zu finden. Aber um das rekonstruieren zu können, müssen wir uns auch der Geschichten bewusst sein, die wir hören und herauszufiltern, welche Story da eigentlich dahinter steht. Wie passt das zu meiner eigenen Erfahrung?

Für mich gibt es zwei sichere Tests für die Qualität einer Geschichte: 1. Hört sich diese Geschichte für mich authentisch an und stimmt sie mit meinen Daten und Erfahrungen überein? Aber es gibt noch einen weiteren Test: 2. Ist sie funktionell, unterstützt sie mich, wenn ich mich an die Prämissen dieser Story halte? Wird mich diese Geschichte in eine positive, erfüllende Richtung oder eher in ein selbstzerstörerisches Verhalten führen? Natürlich führt uns die große Geschichte, der wir als Spezies momentan folgen, in eine kollektive Selbstzerstörung. Solch ein Verhalten setzt letztlich die menschliche Zukunft aufs Spiel.

Ein anderes Problem mögen Medien sein, die sich mehr für Katastrophenmeldungen interessieren. Medieninteresse wird zuweilen auch vom Geld diktiert. Solche Schlagzeilen lassen sich besser verkaufen.

David C. Korten: Ja, die herrschenden Medien werden von einer kleinen Gruppe von Konzernen kontrolliert und manipuliert. Ich kann die aktuelle Situation in Deutschland nicht einschätzen, aber hier in den USA verlieren die Medien kontinuierlich an Niveau. Es gibt in der Tat nur wenig kritische Berichterstattung, es ist mittlerweile mehr Entertainment als Information.

Die Meldungen halten sich stark an die Richtlinien der Geldgeber. Selbst die Börsenberichte der öffentlichen Radiostationen sind abgründig schlecht, denn die gesamten Nachrichten werden um die Story des heiligen Geldes und Marktes gruppiert. Die meisten Nachrichten drehen sich um die Frage: Wie geht es der Börse? Nun, die Börse ist ein Spiegel dessen, wie gut es den Spekulanten geht und wie schnell reiche Menschen noch reicher werden. Es findet kaum eine kritische Analyse dessen statt, was wirklich passiert. Auf diese Weise versorgen uns die Medienkonzerne, die wir als Mainstream-Medien wahrnehmen, mit zunehmend falschen Informationen.

Das ist der Grund, warum die unabhängige Presse so wichtig bleibt. Die wahren Hintergründe müssen ans Licht kommen und natürlich ist das Internet eines der besten Medien hierfür.

In Deutschland gab es vor einiger Zeit einen Presseskandal um leitende Redakteure großer Zeitungen, die in Lobbygruppen für das transatlantische Bündnis und für ein verstärktes militärisches Engagement der Bundeswehr in internationalen Einsätzen verkehren. In ihren Artikeln zeigte sich diese Meinung ebenfalls. Da stellte sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Presse.

David C. Korten: Das ist interessant. Ich bin jetzt 78 und unternehme nicht mehr so viele internationale Reisen. In der Vergangenheit war ich ständig mit dem Flugzeug unterwegs und habe die verschiedensten Orte gesehen. Nachdem "When Corporations Rule the World" veröffentlicht wurde, fiel mir bei meinen Reisen nach Europa auf, dass mir viele Europäer entgegneten: Nun, das sind die Vereinigten Staaten, wir sind hier in Europa und hier ist es anders. Mir leuchtete ein, dass dies damals wohl zutraf. Aber ich sagte den Europäern auch: Passt auf! Wir holen euch auch noch! Wir sind nur die Vorhut, aber es vollzieht sich bereits ein Prozess der Infiltration.

In den letzten 20 Jahren hat sich das in diese Richtung fortentwickelt, und der Unterschied ist inzwischen verschwunden. Ich denke, es gibt immer noch einen stärkeren europäischen Sinn für Gemeinschaft und internationale Identität. Ihr habt nach wie vor mehr soziale Programme und soziale Wohlfahrtsnetze und übt noch größere Kontrolle über Kartelle aus. Aber eben diese Konzerne globalisieren sich nun und was Sie gerade beschrieben haben, zeigt, dass die globalen Unternehmer nun auch Kontrolle in Europa erlangen, wie es momentan überall auf der Welt geschieht, um diese einheitliche Geschichte des heiligen Geldes und der heiligen Märkte zu generieren. Alles, was der Markt von uns verlangt, was uns neues Geld verdienen lässt, dies ist nach Meinung dieser Leute die richtige Entscheidung.

Ihr Buch wurde vom Club of Rome als ein offizielles Dokument seiner Agenda akzeptiert. Es gibt Stimmen, die dieser Plattform auch ein starkes machtpolitisch-ökonomisches Interesse nahe legen. Wie stehen Sie dazu?

David C. Korten: Der Club of Rome ist eine ziemlich angesehene und in gewisser Weise auch elitäre Organisation, aber seit seiner Gründung war er auch an vorderster Front dabei, als es darum ging, die ökologischen Grenzen unserer Welt aufzuzeigen, ab welchem Grad unser Konsum die Kraft unseres Planeten übersteigt.

In einigen Quellen wird der Klub als eine geheimniskrämerische Gesellschaft von Mächtigen bezeichnet - das könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Mitglieder erscheinen vielmehr als angesehene Denker und Lenker in der Öffentlichkeit, aber es gibt nichts Geheimes in Bezug auf die Ansichten oder die Aktivitäten des Club of Rome. Diese sind allesamt sehr wohl öffentlich einzusehen. Man kann sich leicht auf ihrer Webseite selbst davon überzeugen: Welche Ideen haben sie, welche Meinungsführer sind Mitglieder.

Im Moment versuchen sie vor allem, einen neuen Esprit zu finden. Seinen Ruf verdankt der Klub vor allem seiner frühen Studie zu den Grenzen des Wachstums. Das war in den 1970ern. Wir versuchten nun, die Grundlinien der Agenda neu zu umreißen. Dabei spielen mehrere Themen, die in diesem Gespräch anklangen, eine wichtige Rolle. Der Club of Rome akzeptierte "Change the Story, Change the Future" als einen offiziellen Bericht für den Club of Rome, der ein Gesprächsforum für Menschen ist, die eine große Neigung verspüren - zumindest die meisten von uns, das System in seinem Status-Quo in Frage zu stellen. Aber natürlich sind nicht alle Mitglieder einer Meinung: einige von ihnen sind überzeugte Anhänger der Zentrierung ökonomischer Macht bei den Unternehmen, viele von uns sind aber auch sehr kritisch gegenüber diesem System, so dass der Klub eine ziemlich vielgestaltige Gruppe ist.

Disclaimer: David C. Korten ist selbst Mitglied des Club of Rome und die Ko-Präsidenten des Club of Rome: Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman schrieben das Vorwort zu seinem aktuellen Buch.

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