Was nicht rechts ist, wird rechts gemacht
- Was nicht rechts ist, wird rechts gemacht
- Die negative Entwicklung landete in den Schlagzeilen
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Viele haben die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kritisiert. Doch die besten Argumente gegen Rechtsruck und Alarmismus liefert die Mitte-Studie selbst
Haben Sie in der vergangenen Woche die Schlagzeile gelesen, wonach fremdenfeindliche Einstellungen seit 2002 um 75 Prozent abgenommen haben? Oder die, dass die Abwertung von homosexuellen Menschen in den letzten 16 Jahren kontinuierlich abgenommen hat? Oder jene, wonach weniger Menschen denn je in Deutschland rechtsextrem orientiert sind? Oder dass sich sexistische Einstellungen in Deutschland auf einem historischen Rekordtief befinden?
Vermutlich nicht. Denn keine dieser Schlagzeilen hat es gegeben. Die geschilderten politischen Entwicklungen gab es hingegen schon. Zumindest, wenn man den Ergebnissen der Mitte-Studie glaubt, die im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung Ende April veröffentlicht wurde (Hat die Mitte ihren "festen Boden" verloren?).
Statt eingangs formulierte Meldungen, titelten Medien hingegen folgendermaßen: "Die Mitte rückt an den rechten Rand" (taz), "Verlust demokratischer Orientierung" (Tagesschau), "Zustimmung zu Rechtspopulisten wächst" (Saarbrücker Zeitung), "Gesellschaft rückt nach rechts" (dpa), "Rechte Einstellungen verfestigen sich", (Stern), "Wie der Gesellschaft die Mitte verloren geht" (SZ) und "Äußerst alarmierend" (SpOn).
Die Studie des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung wurde von vielen Seiten kritisiert: wegen unzureichender Fragenauswahl durch die Forscher oder ihre tendenziöse Interpretation des Antwortverhaltens. Selbst Sigmar Gabriel äußerte Kritik.
Nur das offensichtliche Argument gegen den Alarmismus im Namen der Mitte-Studie kam hingegen bisher zu kurz: die Mitte Studie selbst. Denn entgegen der öffentlichen Darstellung der Studie zeichnet sie ein überwiegend positives Bild der politischen Einstellungen in Deutschland.
Rechtsextreme Einstellungen sinken um 75 Prozent
Das zeigt sich unter anderem bei der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen. Diese haben die Forscher in sechs "Dimensionen" gemessen. Neben der "Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur" und eines "nationalen Chauvinismus" suchten sie nach "Verharmlosung des Nationalsozialismus", "fremdenfeindlichen Einstellungen" sowie "Antisemitismus" und der "Befürwortung eines soziobiologischen bzw. rassistischen Sozialdarwinismus."
Das erfreuliche Ergebnis: Blickt man auf die Entwicklung seit der ersten Befragung im Jahr 2002 haben rechtsextreme Einstellungen in sämtlichen Bereichen abgenommen. So befürworteten bei der Erstbefragung noch 7,7 Prozent der Befragten eine rechts-autoritäre Diktatur. Aktuell sind es mit 3,3 Prozent weniger als die Hälfte. Chauvinistische Einstellungen finden sich heute noch bei 12,5 Prozent der Befragten. 16 Jahre zuvor waren es noch 18,3 Prozent. Den Nationalsozialismus verharmlosten aus Sicht der Studienmacher im Jahr 2002 4,1 Prozent der Befragten. Heute sind es nur noch 2,5 Prozent.
Auch antisemitische Einstellungen sind zurückgegangen: 9,3 Prozent aus dem Jahr stehen aktuell nur noch 3,4 Prozent entgegen. Am deutlichsten ist der Rückgang bei der Fremdenfeindlichkeit. Stimmten im Jahr 2002 nach Meinung der Forscher noch 26,9 Prozent der Deutschen solchen Einstellungen zu, bleibt davon in der Untersuchung 2018/2019 mit 8,9 Prozent gerade noch Drittel übrig.
Fasst man alle Dimensionen zum Gesamtmarker "rechtsextreme Einstellungen" zusammen, ergibt sich damit ein beeindruckender Rückgang von 9,7 Prozent im Jahr 2002 auf 2,4 in der aktuellen Untersuchung.
Positive Trends auch bei "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit"
Abseits der Überschriften erwähnen viele Medien zwar in ihren Texten den Rückgang rechtsextremer Einstellungen. Um ihre These eines gesellschaftlichen Rechtsrucks zu bestätigen, verweisen sie dafür auf Entwicklungen, die die Forscher unter der Überschrift "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" untersucht haben. In diesem Teil der Studie haben die Forscher Vorurteile bezüglich bestimmten gesellschaftlichen Minderheiten gemessen. Aber auch hier sind die Entwicklungen überwiegend positiv.
So hat sich der Anteil der Befragten, die "klassisch antisemitischen" Einstellungen vertreten, in den den vergangenen 16 Jahren von 34,5 Prozent auf 18,8 Prozent fast halbiert. "Israelbezogener Antisemitismus", den die Forscher erstmals im Jahr 2005 erfassten, ist seitdem von 39,2 Prozent auf 24,2 Prozent zurückgegangen. Auch Muslimfeindlichkeit ist leicht rückläufig: Zwischen 2003 sank sie von 21,7 Prozent auf aktuell 18,7 Prozent. Noch deutlicher ist der positive Trend bei der Abwertung von Sinti und Roma. Diese sank seit der Ersterfassung im Jahr 2011 von 34,9 Prozent auf aktuell 25,8 Prozent.
Der positive Trend zieht sich fast durch den gesamten Katalog gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: Die "Abwertung wohnungsloser Menschen" sank von 24,1 Prozent im Jahr 2005 auf heute 10,8 Prozent, die "Abwertung von Menschen mit Behinderung" von 5,4 Prozent im Jahr 2007 auf 0,8 Prozent. Die "Abwertung homosexueller Menschen" vertraten im Jahr 2005 noch 21,6 Prozent der Befragten. Heute sind es nur noch 8,3 Prozent.
Auch die erst in der letzten Umfragerunde aufgenommene "Abwertung von Trans*Menschen" ging leicht zurück: von 12,5 Prozent auf heute 12,3 Prozent zurück. Besonders deutlich ist der Rückgang sexistischer Einstellungen: 29,4 Prozent im Jahr 2002 stehen hier nur noch 7,5 Prozent in der Befragung 2018/2019 gegenüber.