Was uns die Covid-19-Daten sagen – und was nicht

Seite 2: Erkrankungsbeginn

Hierzu kann man sich den sogenannten Nowcast des RKI anschauen (vgl. Abb. 2). Hierbei handelt es sich um eine Berechnung des RKI, in der versucht wird, die Fälle pro Tag nach Erkrankungsbeginn zu berechnen. Es wird der Erkrankungsbeginn herangezogen, wenn dieser bekannt ist. Ist er nicht bekannt, wird er anhand des Meldedatums approximiert. Das Meldedatum ist das Datum, an dem der Fall den jeweiligen Gesundheitsämtern bekannt geworden ist.

Abb. 2: Nowcast - Approximation der Fallzahlen nach Erkrankungsbeginn

Auch beim Nowcast erkennt man noch Schwankungen in den berechneten Fallzahlen nach Erkrankungsbeginn. Doch woran liegt das? Das RKI berechnet den Erkrankungsbeginn bei den Fällen mit unbekanntem Erkrankungsbeginn durch eine multiple Imputation. Als wichtigster Parameter wird dabei das Meldedatum herangezogen, also gerade das Datum, zu dem ein Fall den Gesundheitsämtern bekannt wurde.

Schaut man sich die lokalen Hochpunkte an, treten diese mit einem Abstand von sieben Tagen auf. Dort schlägt also wieder das Wochenendphänomen zu. Berechnet man nun auch hierfür einen gleitenden Sieben-Tage-Mittelwert für die berechneten Fallzahlen nach Erkrankungsbeginn, kann auch hier der Effekt eliminiert und die Kurve geglättet werden (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Nowcast mittels 7-Tage-Mittelwert geglättet

Schaut man sich nun den Verlauf dieser Kurve an, sieht man, dass der starke Abfall in den Fallzahlen mit anschließendem kurzen, aber steilen Anstieg nicht mehr so gegeben ist. Eine leichte Delle ist dort weiterhin erkennbar. Hält man sich aber vor Augen, dass der wichtigste Parameter zur Berechnung des unbekannten Erkrankungsbeginns das Meldedatum ist und gerade in der Zeit augenscheinlich einige Gesundheitsämter keine Zahlen an das RKI gemeldet haben, kann diese leichte Delle dem Meldeverhalten über die Weihnachtszeit geschuldet sein. Wie später aber auch noch zu sehen ist, gab es in dieser Zeit auch weniger Tests, sodass die Delle auch von einer reduzierten Testzahl herrühren kann.

Beim Blick auf die Nowcast-Zahlen fällt außerdem auf, dass die Schwankungen in den Fallzahlen nach Erkrankungsbeginn in der zweiten Welle stärker gegeben sind, als in der ersten Welle. Hierzu kann man sich den Verlauf der gemeldeten Fallzahlen ansehen, wobei unterschieden wird nach Fällen, zu denen der Erkrankungsbeginn bekannt ist und Fällen, bei denen nur das Meldedatum bekannt ist.

Abb. 4: gemeldete Fälle nach Erkrankungsbeginn (dunkelblau), alternativ nach Meldedatum (hellblau)

In der ersten Welle war bei einem deutlich höheren Teil der Fälle der Erkrankungsbeginn bekannt, als es in der zweiten Welle der Fall war (vgl. Abb. 4). Bis zum 31.07.2020 gab es 148.572 Fälle mit bekanntem Erkrankungsbeginn und 63.736 Fälle ohne bekannten Erkrankungsbeginn. Somit war bei ziemlich genau 70 Prozent der gemeldeten Fälle der Erkrankungsbeginn bekannt.

Anders sieht es zur zweiten Welle aus. Dort liegt das Verhältnis von Fällen mit bekanntem Erkrankungsbeginn und unbekanntem Erkrankungsbeginn bei 1.139.027 zu 1.113.448, womit in der zweiten Welle bei rund 50,7 Prozent der gemeldeten Fälle der Erkrankungsbeginn bekannt war. Das kann mit dem veränderten Testverhalten erklärt werden.

Zu Beginn der Pandemie wurden die Testkapazitäten stark ausgebaut. So gab es bis einschließlich der 10. Kalenderwoche 2020 zusammen 69.184 durchgeführte PCR-Tests. Allein in der 11. Kalenderwoche waren es dann bereits 128.008 und in der 12. Kalenderwoche sogar 374.534 durchgeführte PCR-Tests. Die Anzahl der PCR-Tests blieb dann eine Weile recht stabil. Während der Sommer- und Herbstzeit wurde die Anzahl der Tests dann weiter ausgebaut.

Abb. 5: Anzahl durchgeführter PCR-Tests pro Woche

In der Woche vor Ostern fiel die Zahl der durchgeführten Tests im Vergleich zur Vorwoche. Ob die Zahl der durchgeführten Tests bis einschließlich Gründonnerstag stabil blieb und erst ab Karfreitag aufgrund der Feiertage sank, oder bereits vorher, ist aus den Daten nicht ersichtlich.

Das Testverhalten hat sich über die Zeit immer wieder geändert. Zu Beginn sollten ausschließlich Personen getestet werden, die Symptome aufweisen und zusätzlich Kontakt zu einem nachgewiesenen Covid-19-Fall hatten oder aus einem der damals wenigen Risikogebiete zurückkamen. Anschließend wurden auch Personen getestet, die nur Symptome aufwiesen.

Im Sommer wurden dann auch junge, nicht symptomatische Reiserückkehrer getestet. Das führte dazu, dass einerseits das Dunkelfeld aufgehellt wurde, gleichzeitig führte das aber eben dazu, dass mehr asymptomatische Fälle hinzukamen, bei denen der Erkrankungsbeginn nicht bekannt ist.

Abb. 6: gemeldete Todesfälle nach Erkrankungsbeginn (rot), alternativ nach Meldedatum des Falls (orange)

Bei den gemeldeten Todesfällen ist der Effekt von erster zu zweiter Welle noch ausgeprägter (vgl. Abb. 6). Bei Todesfällen gab es bis zum 31.07.2020 6.879 Todesfälle mit bekanntem Erkrankungsbeginn und 2.529 mit unbekanntem Erkrankungsbeginn. Damit war in der ersten Welle bei rund 73,1 Prozent der gemeldeten Todesfälle der Erkrankungsbeginn bekannt.

In der Zeit vom 01.08.2020 bis 28.02.2021 war bei 27.226 gemeldeten Todesfällen der Erkrankungsbeginn bekannt, jedoch bei 37.982 nicht, was zu einer Quote von rund 41,8 Prozent führt. Während es für die gemeldeten Fallzahlen noch leicht nachzuvollziehen ist, dass der Anteil an Fällen mit bekanntem Erkrankungsbeginn aufgrund der veränderten Teststrategie gefallen ist, so ist das für die gemeldeten Fallzahlen aus den Zahlen nicht herleitbar.

Eigentlich sollten an Covid-19 verstorbene Personen vor ihrem Ableben Symptome aufgewiesen haben, wodurch der Erkrankungsbeginn bekannt wäre. Die Frage, weshalb gerade bei den gemeldeten Todesfällen der Anteil vom bekannten Erkrankungsbeginn von rund 73,1 Prozent auf 41,8 Prozent stärker gefallen ist, als bei den gemeldeten Fällen, bleibt mit den vorliegenden Daten unbeantwortet. Seit Beginn der Pandemie ist lediglich bei rund 45,7 Prozent der gemeldeten Todesfälle der Erkrankungsbeginn bekannt.

Infektionsbeginn

Noch einmal kurz zurück zum Nowcast des RKI. Wie zuvor geschildert, werden beim Nowcast die Fallzahlen nach Erkrankungsbeginn approximiert. Der Infektionsbeginn liegt dabei weiter in der Vergangenheit. Um nun also das Infektionsgeschehen im zeitlichen Verlauf visualisieren zu können, muss noch die Inkubationszeit von fünf bis sechs Tagen abgezogen werden, um auf vereinfachte Weise die Fallzahlen nach Infektionsbeginn zu erhalten.

Abb. 7: Vergleich der gemeldeten Fälle nach Meldung durch das RKI (blau) mit gemeldeten Fällen nach Erkrankungsbeginn ("Nowcast", türkis) und mit gemeldeten Fällen nach Infektionsbeginn (orange)

In der Abbildung wurde der Verlauf der Nowcast-Kurve um fünf Tage nach vorne verlegt, um so den Infektionsverlauf darstellen zu können (vgl. Abb. 7). Bedacht werden muss dabei wieder die Berechnung des Erkrankungsbeginns.

Wie zuvor erläutert, ist für die Berechnung des Erkrankungsbeginns der Fälle mit unbekanntem Erkrankungsbeginn das Meldedatum der wichtigste Parameter. Zwar kann es vorkommen, dass er durch frühzeitige Feststellung erst nach dem Meldedatum liegt. Im Normalfall dürfte der Erkrankungsbeginn jedoch vor dem Meldedatum liegen.

Da gerade in der zweiten Welle bei einem Großteil der Fälle der Erkrankungsbeginn nicht bekannt ist, ist davon auszugehen, dass der Verlauf der Fälle nach Erkrankungsbeginn ein paar Tage früher zu verorten ist, als es der Verlauf der Nowcast-Kurve zeigt. Dementsprechend würde sich auch der Verlauf der Kurve nach Infektionsbeginn etwas in die Vergangenheit verschieben, weshalb die Verschiebung der Nowcast-Kurve zur Visualisierung des Infektionsgeschehens um fünf Tage eher vorsichtig gewählt ist.

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