Wege zu einem Klimakonsens

Seite 4: Die Technologie ist da, der Anreiz fehlt noch

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In dieser Hinsicht wurde durchaus schon etwas erreicht: noch in den 1980er Jahren konnten Politiker unwidersprochen behaupten, regenerative Quellen in ausreichendem Umfang seien "technisch nicht möglich", inzwischen sind alle Technologien vorhanden: stark gestiegener Wirkungsgrad und Massenproduktion von Solarzellen, die schon wirtschaftliche Nutzung von Windenergie, dramatisch gestiegene Energiedichten von Akkus, dazu etablierte Systeme wie Energiesparhäuser, Wasserkraft, Geothermie und Biogas, und evtl. neue Ideen wie Aufwind-, Gezeiten oder Meereswellenkraftwerke, selbst wenn die jahreszeitliche Speicherung im Moment noch teuer ist.

Natürlich gibt es bei der Umsetzung auch eine Reihe von Problemen: Umweltzerstörung durch Lithiumabbau, teilweise ungelöstes Recycling, ökologisch negative Auswirkungen von Windrädern, Inkompetenz und Ungerechtigkeiten bei der Durchführung und der Verteilung der Lasten und einiges andere. Aber das ändert nichts daran, dass regenerative Energiequellen als "proof of concept" auf der Welt existieren, woran Deutschland durch die Energiewende durchaus einen Anteil hatte.

Es wäre wichtig, die durch existierende Technik begründete Vision einer fast emissionsfreien Zivilisation durch entsprechende Anreize umzusetzen: Ausbau der Elektromobilität, Solarenergie, Windenergie, deren Überschüsse der Wasserstoffgewinnung durch Elektrolyse zuführen, so dass auch Schiffs- und Flugantriebe damit in Reichweite liegen, neue Verfahren z.B. in der Zementproduktion, letztlich aber eine komplette Kreislaufwirtschaft der Rohstoffe. Eine intelligente Zivilisation sollte das bei einer Solarkonstante von 1365 W/m2 hinbekommen.

Umsetzen mit Verstand - leider nicht so einfach

Randbedingungen sind dabei die Naturgesetze und auch die der Arithmetik. Manche Autoren bringen in der momentan emotionalisierten Debatte Kilogramm und Tonnen durcheinander oder verlieren drei Nullen beim Übergang von der deutschen zur englischen Billion. Auch Prozentrechnung darf man noch anwenden oder bedenken, ob es wirklich sinnvoll ist, wenn Deutschland die Deckung seiner Grundlasten sofort abschaltet und dann Atomstrom importiert, damit in den Krankenhäusern die Lichter nicht ausgehen. Es geht nicht um gute oder böse Kraftwerke, sondern darum, wie man den Übergang zu regenerativen Energien effizient und sicher gestaltet.

Durch Technologie und geeignete politische Lenkungsinstrumente könnte man einige Probleme der Welt in den Griff bekommen. Welcher vernünftige Mensch könnte zum Beispiel dagegen sein, dass Flugbenzin wenigstens gleich hoch wie Kfz-Kraftstoffe besteuert wird? Die Liste sachgerechter und konsensfähiger Vorschläge ließe sich sicher lange fortsetzen.

Leider kann man an dieser Stelle der schönen Vision den Kontakt mit der weltpolitischen Realität nicht ersparen. Wer soll solche Regeln global durchsetzen? Es gibt dazu keine Instanz, denn die Idee einer Staatengemeinschaft, die sich um den Planeten kümmert, ist im Moment leider tot. Die Vereinten Nationen wurden von der Supermacht USA in die Bedeutungslosigkeit gestoßen, gleichzeitig schert sie sich nicht um irgendwelche Regeln oder Verträge, von Menschenrechten ganz zu schweigen. Kann man von einem Imperium, das 700 Milliarden Dollar pro Jahr für Rüstung ausgibt, rationales Handeln für den Planeten erwarten? Wird der militärisch-industrielle Komplex irgendwann Bäume pflanzen?

Das Imperium und das System

Denkt man "radikal" in dem Sinne, Probleme an der Wurzel anzugehen, muss man neben der Zersplitterung der Welt in Nationalstaaten das letztlich regellose Weltwirtschaftssystem des Kapitalismus betrachten, der riesige Gewinne ermöglicht, aber die Kosten und Risiken komplett auf die Allgemeinheit und die Lebensgrundlagen des Planeten abgewälzt.

In besonderer Form wütet dieses System seit zwei Jahrzehnten mit einer entfesselten Geldvermehrung, welche die Verschwendung von natürlichen Ressourcen besonders befördert. Weil versäumt wurde, wichtige Bremsen wie eine Finanztransaktionssteuer einzubauen, wird das Finanzsystem irgendwann kollabieren - wahrscheinlich noch vor der Klimakatastrophe und hoffentlich ohne die Begleiterscheinung eines nuklearen Winters. Auch hier sind Visionen gefragt, die eines Tages diesen Irrsinn kontrolliert beenden können.

Ich war überzeugt, die drei wichtigsten Umweltprobleme seien Verlust der Biodiversität, Kollaps des Ökosystems und Klimawandel… Aber ich habe mich getäuscht. Die drei größten Probleme sind Egoismus, Gier und Apathie.

James G. Speth, World Resources Institute

Es ist ein Systemwechsel nötig, aber es ist trotzdem zu kurz gedacht, wenn man beklagt, die Mächtigen seien schuld (wer sonst?) und daher müssten die "Eliten" (wie genau definiert sich eigentlich dieser Begriff?) gestürzt werden, oder ohne die bösen gierigen Milliardäre gäbe es keinen Klimawandel. Neben Bill Gates, Warren Buffett und Elon Musk gibt es darunter viele Visionäre, die ihre Mittel durchaus zum Vorteil des Planeten einsetzen wollen und dies sogar schon tun. Auch hier hilft spalten nicht weiter, vielmehr könnte ein Einbeziehen der Vernünftigen unter den Reichen und Mächtigen die Kraft einer neuen Umweltbewegung vervielfachen.

Google, Amazon, Facebook oder auch Wikipedia haben in den letzten Jahrzehnten Machtpositionen aufgebaut, die zwar im Moment missbraucht werden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass ähnliches unter positiven Vorzeichen entsteht oder gar einer der Konzerne sich auch den Zukunftsfragen der Menschheit zuwendet.

Handeln, aber wie?

Das Problem ist übrigens auch nicht die "Übervölkerung" (vgl. hier), ein wie ich finde, gefährlicher Begriff. Wie soll man die Weltbevölkerung "reduzieren"? Das Problem ist die Verschwendung der Ressourcen.

Aber man kann die Weltrettung im Moment kaum von einer Gemeinschaft von 200 Nationalstaaten erwarten, die mit harten Bandagen um wirtschaftliche Vormachtstellung ringen und bis heute kalte und heiße Kriege um Rohstoffe führen. In so einer Welt ist es auch vielleicht ein bisschen naiv zu fordern, ein Staat möge unter Belastung seiner wirtschaftlichen Ressourcen "mit gutem Beispiel vorangehen".

Notwendig wären möglichst verbindliche internationale Vereinbarungen, die große Geduld bei Verhandlungen erfordern. Die Hoffnung auf deren Wirksamkeit ist aber im Moment nur bedingt realistisch, vor allem wenn man die bisher mageren Ergebnisse der Klimakonferenzen betrachtet. Wahrscheinlich leistet auf lange Sicht hier die Technik mehr als sie Politik.

Es ist verständlich, wenn sich bei vielen angesichts dieser Situation Ohnmachtsgefühle ausbreiten, die sich in Protesten und Demonstrationen äußern. Ein positiver Aspekt davon ist, dass das die Lebensgrundlagen der Menschheit zum Thema geworden sind. Man muss zugestehen, dass Greta Thunberg bzw. die dahinterstehende Kampagne dies erreicht hat.

Trotzdem darf man auch Vorbehalte gegenüber den Mitteln haben: Politisch Informierte sind verständlicherweise skeptisch, wenn mit den Emotionen einer 16-Jährigen Weltpolitik gemacht wird. Und doch handelt es sich hier nicht um einen verlogenen Krieg wie 1991. Es kann ja auch mal durchaus sein, dass eine geschickte Organisation samt gewissen medialen Manipulationstechniken für eine im Prinzip gute Sache eingesetzt wird. Muss man das verurteilen?

Für eine neue Umweltbewegung

Viel hängt davon ab, wie sich die Bewegung weiterentwickelt. Die Gefahr ist real, dass sie zu konfrontativ agiert und sich radikalisiert. Gewalt kann leicht entstehen oder auch absichtlich implantiert werden, was schnell zu einer Diskreditierung führt und dem ursprünglichen Anliegen nur schadet.

Versammlungen von Massen und die damit einhergehende Emotionalisierung können positive Impulse der Aufmerksamkeit erzeugen, zur rationalen Lösung von komplexen Aufgaben wie dem Klimawandel eignen sie sich nicht. Der Protest muss daher auch außerhalb der Straße transformieren in eine neue Umweltbewegung, die mit fundierter Sachkenntnis und Argumenten für konkrete Veränderungen wirbt.

Politisch bedeutet das Lenkungen, aber nicht unbedingt Verbote, die langsam durchzusetzen und selten gerecht sind, fast immer umgangen werden und die Gesellschaft weiter spalten. Stattdessen gilt es, ein Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung gegenüber dem Planeten zu entwickeln und dies durch Gespräche, Argumente, Ideen, Petitionen, Gesetzentwürfe, Gründung von Initiativen und Organisationen mit möglichst viel Konsens zu verbreiten. Die Lösungen müssen die pluralistische Gesellschaft respektieren, aber wenn sich dabei eine Kultur entwickelt, in der die Anschaffung einer bestimmten Fahrzeugklasse oder aufwändige touristische Sinnlosigkeiten als Mangel von Intelligenz oder Charakter gilt, schadet das nicht.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem findet sein mentales Spiegelbild in der derzeitigen Kultur des Konsumismus, die die Befriedigung von materiellen Bedürfnissen und den Konsum von Erlebnissen als Lebensinhalt ausweist. Es ist unklar, ob uns dafür künftige Zivilisationen Respekt erweisen.

Mehr als bei an jedem anderen Herausforderung, die die Menschheit betrifft, kann beim Klimaproblem der einzelne konkret zur Linderung beitragen: durch weniger verschwenderisches Konsum- und Verkehrsverhalten, Bewusstsein des eigenen ökologischen Fußabdrucks auf dem Planeten, ohne dass man dies als Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit empfinden muss. Wenn es gelingt, die freiwillige und individuelle Anpassung der Lebensweise positiv zu besetzen und als weltweite Bewegung zu verbreiten, wäre das wahrscheinlich die schnellste und effektivste Methode, wie die Menschheit den ihr drohenden Gefahren begegnen kann.

Der Autor ist Physiker hält seit mehreren Jahren ein gymnasiales Oberstufenseminar zum Thema Gefahren für die Menschheit ab. Er ist Mitglied im Bund Naturschutz und war einmaliger Teilnehmer an einer Aktionswoche des Bergwaldprojektes e.V. Er hat keine Verbindungen zu Energieindustrien und hat sich um ausgewogene Informationen bemüht, kann sich aber auch irren. Sachliche Beiträge im Forum sind daher sehr geschätzt. Die verlinkten Quellen vertreten nicht notwendig seine Einschätzung. Er ist ebenfalls Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Sachbücher. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien im März 2019 im Westend-Verlag.

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