Weihnachten in der Türkei

Istiklal, Istanbul. Foto: Pixabay License

… alle Jahre wieder: Stress

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Wie jedes Jahr in der Weihnachtszeit überziehen Glitzerketten die Istanbuler Konsummeile 'Istiklal' im Bezirk Beyoglu. Bis ins 19. Jahrhundert war der damals christlich geprägte Bezirk unter dem griechischen Namen Pera bekannt. Weihnachtsbäume mit bunten Glaskugeln und Kunstschnee schmücken heute die Istanbuler Geschäfte in der einstigen 'Großen Pera Straße', die erst mit Republikgründung 1923, den türkischen Namen Istiklal Caddesi erhielt. Reiseführer werben für einen Weihnachtstrip in die Türkei. Doch die zunehmende Islamisierung des Landes durch die türkische Regierung trübt die vorweihnachtliche Stimmung.

Eigentlich feiern Muslime kein Weihnachtsfest, welches bei der christlichen Westkirche auf den Abend vom 24. auf den 25. Dezember und bei der Ostkirche nach dem Julianischen Kalender auf den 7. Januar fällt. Doch seit Jahrzehnten ist das Weihnachtsfest bei den eher säkularen, westlich orientierten Türken eine Zeit des Glitzerns und Konsum. Man nennt es einfach 'Neujahrsfest'.

"Noel Baba"

Der in den christlich geprägten Ländern übliche Weihnachtsbaum ist in der Türkei der 'Neujahrsbaum', der Baumschmuck 'Neujahrsschmuck'. Man feiert daher nicht am 24. Dezember, sondern am 31. Dezember. Wie bei uns am 24. Dezember, findet dann der übliche Geschenke-Austausch unter dem Weihnachtsbaum, Neujahrsbaum statt. Der uns bekannte Weihnachtsmann erscheint den Kindern dann als 'Noel Baba'. Das klingt nett und lustig.

Weniger nett und lustig ist die islamische Gegenbewegung, die in den letzten Jahren immer stärker geworden ist. Sie verurteilen die Rituale als 'haram' (sündhaft), weil sie auf dem christlichen Glauben beruhen. Auf Facebook wettert eine islamische Jugendgruppe gegen den 'Weihnachtsmann' und postet ein Plakat, auf dem ein muslimisch gekleideter Mensch dem Weihnachtsmann mit der Faust ins Gesicht schlägt.

Diese Bilder wurden schon 2017 auch in Deutschland von dem islamischen Religionsdachverband 'Ditib' verbreitet. Ditib ist der größte muslimische Dachverband in Deutschland. Er unterhält viele Moscheen in Deutschland und wird von einigen Bundesländern als Integrationspartner sogar aktiv finanziell unterstützt. Er betreibt in vielen Bundesländern den muslimischen Religionsunterricht an Schulen.

In der Türkei mehrt sich die antichristliche Propaganda, bzw. die Kritik an dem Ritual des 'Neujahrsfestes' von staatlichen Institutionen. An Busstationen in Istanbul wurden zum Beispiel Poster gesehen, die den 'Noel Baba' verunglimpfen.

"Wir werden keine christlichen Traditionen feiern"

In der unter Zwangsverwaltung stehenden Stadt Van (kurdisch: Wan) wird schon seit Jahren antichristliche Propaganda durch Plakataktionen betrieben. Auf städtischen Werbetafeln hieß es schon 2017 zur Weihnachtszeit: "Muslim, kehre zurück zu deinem Selbst, Neujahrsfeiern sind ein christlicher Brauch - Wer einer Gruppe ähnelt, gehört zu ihr."

Die ultranationalistische islamistische Gruppe Alperen Ocakları, die vor allem die türkischen Juden im Visier hat, stellte in den sozialen Medien eine erzwungene Konversion des 'Weihnachtsmanns' zum Islam dar, indem ihm eine Pistole an den Kopf gehalten wurde. Dieser Verband bindet viele junge Muslime mit einer Mixtur aus pantürkischem Rassismus, Islamismus, Neo-Osmanismus, antiwestlichem und antisemitischem Gedankengut an sich.

Er propagiert ein Bündnis, das von Zentralasien bis zum Nahen Osten reicht und auf "gemeinsamen historischen Werten" beruht. Ein Vertreter der Gruppe erklärte gegenüber der Hürriyet Daily News am 29.12.2016: "Unser Ziel ist es, dass die Menschen zu ihren Wurzeln zurückkehren. Wir sind muslimisch-türkische Menschen, die seit Tausenden von Jahren den Islam anführen. Wir werden keine christlichen Traditionen feiern und unsere eignen Traditionen ... vernachlässigen."

2014 erschien in England eine Publikation der Princeton Universität mit dem Titel: 'Muslim Nationalism and the New Turks', in der diese Organisation ausführlich beschrieben wird. In einem Bericht des Guardian von 2017 wird ebenfalls beschrieben, wie islamistische Gruppen versuchen, Stimmung gegen die weihnachtliche Atmosphäre in den türkischen Metropolen zu machen: "Lasst euch nicht vom Satan verführen. Feiert nicht Neujahr", "Im Islam gibt es kein Weihnachten", stand auf den Schildern einer Gruppe von Studenten an der Technischen Universität Istanbul.

Unterricht an der deutschen Auslandsschule 'Istanbul Lisesi'

Vorletztes Jahr zur Weihnachtszeit, versuchte das türkische Bildungsministerium das Thema Weihnachten aus dem Unterricht der deutschen Auslandsschule 'Istanbul Lisesi' zu verbannen. Seit Erdogans offenen islamischen Kurs sind die deutschen Lehrer in der Türkei verunsichert, weil die türkische Bildungsbehörde immer restriktiver in den Lehrplan eingreift.

Das 'Istanbul Lisesi' werde insgesamt immer konservativer, klagen die deutschen Lehrer. Der Anteil der AKP-treuen Schüler würde steigen. Einige der Lehrer fragen sich: " Was ist eigentlich unser Auftrag hier, und wie können wir den realisieren, ohne Probleme zu bekommen?" Dabei genoss das Istanbul Lisesi immer einen guten Ruf als weltoffene Eliteschule.

Nicht wenige türkischstämmige Politiker und Manager in Deutschland haben diese Schule absolviert. Seit 2019 ist zum Beispiel Darwins Evolutionstheorie aus den türkischen Schulbüchern verschwunden und durch Theorien muslimischer Wissenschaftler ersetzt worden.

Die neue Bildungspolitik ist Teil von Erdogans Konzept der Islamisierung der Türkei. Als Anhänger der Muslimbruderschaft hat er von Anfang klar gesagt: Er wolle eine religiöse Generation heranziehen. Der Westen hat dies nur nicht zur Kenntnis genommen. Sie haben auch nicht wahrgenommen, wie Erdogan Weichen im Bildungssystem zur Durchsetzung seiner Interessen gesetzt hat.

Denn die seit 2015 zu 'Projektschulen' ernannten Schulen, an denen auch deutsche Lehrer arbeiten, waren Erdogan zunehmend ein Dorn im Auge. Sie waren ihm zu säkular, zu westlich ausgerichtet und widersetzten sich lange erfolgreich der AKP-Politik. Nun können einheimische Lehrer Lehrer und Direktoren, die direkt von der AKP-Regierung ernannt werden, nicht genehme Mitarbeiter ersetzen.

Heute ist das Klima in der Lehrer- wie Elternschaft von Angst geprägt. "Ich will nur noch, dass mein Kind den Abschluss macht und dann möglichst im Ausland studiert", berichtet eine Mutter. Diejenigen Eltern, die im öffentlichen Dienst tätig seien, trauten sich nicht, gegen das Hineinregieren in die Schulen zu protestieren. "Alle haben doch Angst um ihren Job. Wer verpfiffen wird, wird doch ganz schnell einfach gekündigt", wird eine Mutter zitiert.

Wie es dieses Jahr um das Thema 'Weihnachten' in den Projektschulen steht, ist nicht bekannt. Immer weniger Informationen über die Schulsituation dringen an die Öffentlichkeit. Nach den Massenentlassungen vermeintlich oppositioneller Lehrer und Wissenschaftler und nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 ist davon auszugehen, dass es im Schulapparat eh nur noch AKP-treue Lehrer gibt.