Weltstatus mit der Brechstange?

Singapur will mit dem Intelligent-Nation-Plan, dem Forschungspark Biopolis und anderen ehrgeizigen Projekten zu einer führenden Wissensgesellschaft werden

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Majulah Singapura - Vorwärts, Singapur!

Nach 12 Flugstunden ab Frankfurt am Main erreicht man mit Singapur eine der saubersten Städte der Welt. Obwohl die in Beton gegossene Willenserklärung zur Erlangung eines der bedeutendsten Wirtschafts- und Wissenschaftsplätze der Erde nicht unbedingt das Klischee Südostasiens verkörpert, zählt Singapur für viele der Reisenden zu den schönsten und faszinierendsten Metropolen der Welt.

Eigentlich hatte Thomas Dick 1988 nur kurze Zeit bleiben wollen. Als er dann aber keinen angemessenen Job in Deutschland fand und ihm die National University of Singapore einen Laborleiterposten anbot, war die Entscheidung schnell gefallen. Richtig fassen kann der Ex - Heidelberger, der seit 2003 nach Wirkstoffen gegen die Tuberkulose sucht, das Tempo immer noch nicht: "Hier passiert alles viel schneller und entschlossener als in Deutschland", sagt Dick und etwas Wehmut liegt in seinem Blick. Singapur wird gern als das Boston Ostasiens bezeichnet. Es ist noch ein sehr junger Staat - fast 42 Jahre ist das Land von England unabhängig. Rund 4,5 Millionen Menschen leben hier auf 683 Quadratkilometern, was ein opulentes Viertel des Saarlandes ausmacht. Obwohl für europäische Begriffe etwas zu ordnungsliebend, kann es durchaus als wirtschaftlich erfolgreich, wohlhabend und technisch hochentwickelt bezeichnet werden.

In diesem Zwergstaat ist jeder Quadratmeter zu wertvoll, als dass man seine Entwicklung dem Zufall überlassen würde. Der Staat kümmert sich um die elementaren Funktionen wie Städtebau, Verkehrsinfrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung. Hier genießen Marktwirtschaft und beruflicher Ehrgeiz allererste Priorität. Alles basiert auf kompetenten Analysen, ist auf Gewinn und maximale Effizienz getrimmt, flexibel und nicht zuletzt vom Ziel beherrscht, das Wohl der Gemeinschaft zu fördern.

Mit dieser Erkenntnis hat das Land z. B. einen IT-Plan aufgestellt, der auf fast zehn Jahre (bis 2015) ausgelegt und von einem Investment von mehreren Milliarden Singapur-Dollar gekrönt ist. Dieser neue „Intelligent Nation“-Plan stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Ziele wie: Breitband überall, jederzeit und auf jedem Gerät, Zugang zum Internet auch für ärmere Familien und Installation eines neuen Kabelnetzwerk (Glasfaser) für Geschwindigkeiten von 1 GBit/s sollen etwa 80.000 neue Jobs entstehen lassen. Die Exportumsätze der Infocomm-Industrie sollen sich von derzeit umgerechnet etwa 11 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro fast verdreifachen.

Standort für Biotechnologie

Zusätzlich zum iN2015-Plan, wie er offiziell heißt, versucht sich Singapur mit Milliardeninvestitionen und Wissenschaftlern aus aller Welt zu einem Magneten für Biotechnologie zu entwickeln. Man war schließlich schon einmal mit der Elektronik- und Kommunikationsbranche auf die Nase gefallen. Ansehnliche Kapitalinvestitionen im Biosektor wecken jetzt lokale Ambitionen und internationales Interesse. Singapur könnte dabei zum Modell für Standortorientierung in biomedizinischer und biotechnologischer Forschung werden, berichtet "Nature" (Bd. 412, S. 370-371).

Die einzige natürliche Ressource, über die der Stadtstaat verfügt, ist die Intelligenz seiner Menschen. So bemüht er sich, seinen Nachbarn immer eine geistige Nasenlänge voraus zu sein. Also investiert man in forschungsintensive, aber gleichzeitig gewinnbringende Bereiche, wie: Pharmazie, Bio- und Nanotechnologie und Medizintechnik - man setzt auf "Life Sciences“. China, Indien, Südkorea und Taiwan haben ebenfalls die Biotechnologie als Wachstumsmarkt entdeckt. In dieser Konkurrenz zu bestehen, ist nicht einfach. Auf Grund der geografischen Gegebenheiten besitzt Singapur nur einen sehr kleinen Binnenmarkt. Dazu fehlt es an Erfahrung mit den so genannten angewandten Wissenschaften, deren Forschungsergebnisse sich schnell und gewinnbringend in industriell verwertbare Produkte umwandeln lassen. Über die nächsten fünf Jahre will sich das Land zum führenden Biotechnologiezentrum Asiens entwickeln und dabei besonders dem Industriegiganten Japan das Fürchten lehren. Der südostasiatische Stadtstaat hat mit der Ankündigung aufhorchen lassen, dass die Forschungsausgaben bis 2010 verdoppelt werden, denn die aufstrebenden Konkurrenten China, Indien, Südkorea und Taiwan warten nicht. Aber auch Länder wie Israel, Dubai und Brasilien haben die Wissenschaft als Schlüssel für zukünftige wirtschaftliche Erfolge entdeckt und finden in Singapur einen aufmerksamen Beobachter.

Entsprechend sind die Erwartungen groß: Anderen Entwicklungsländern will man in Sachen internationale Konkurrenzfähigkeit Wege weisen und gleichzeitig zum Zentrum eines künftigen panasiatischen Forschungsnetzwerks werden. Nicht zuletzt gilt Singapur für westliche Pharma- und Biotech-Konzerne als Tor zum äußerst lukrativen Asien-Markt.

Biopolis - Zebrafische als Stellvertreter der Menschen

Schon 1995 entstand in Singapur unter Wissenschaftlern die Idee, einen der modernsten Biotechnologieparks der Welt, die „Biopolis“ zu schaffen. Sie soll sich, inmitten der integrierten Wissenschaftsstadt One_North, zum Zentrum für "Life Sciences" - Pharmazie, Biotechnologie und Medizintechnik in Asien entwickeln. Bis 2008 werden hier, so die Planungen, etwa 4000 Wissenschaftler (in der Endstufe etwa 10000) öffentlicher und privater Forschungseinrichtungen arbeiten.

Im Dezember 2001 begannen in einem schwindelerregendem Tempo die Bauarbeiten für Biopolis, einem Projekt des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung (Economic Development Board), das sowohl Wissenschaftler als auch Investoren ins Land locken soll. Das EDB ist die führende staatliche Institution, die Strategien zur Wirtschaftsförderung und zur Umwandlung Singapurs in einen bevorzugten Geschäfts- und Investitionsstandort plant und umsetzt. Im September 2003 zogen bereits das Genome Institute of Singapure (GIS) und das Bioinformatics Institute (BII) als erste Mieter des Forschungsparks ein. Am 29.10.2003 wurde die Biopolis als Forschungspark offiziell eröffnet. Im Juni 2004 war die erste Entstehungsphase mit sieben Forschungsgebäuden abgeschlossen. Der 1.Februar 2005 war der Beginn der zweiten Bauphase, durch welche die Biopolis bis zur vorläufigen Fertigstellung am 30. Oktober 2006 auf neun Gebäudekomplexe erweitert wurde.

Der futuristisch anmutende Forschungskomplex aus Glas und Beton liegt inmitten einer tropischen Parkanlage im Südwesten Singapurs. Die 8- bis 13 Stockwerke hohen Gebäude sind so dicht aneinander gebaut, dass zwischen ihnen nur Kühle verheißender Schatten Platz hat. Die Forschungspaläste sind durch verglaste Übergänge so miteinander verbunden, dass wertvolle Arbeitszeit durch lange Wege nicht verloren geht und die Forscher kühlen Gedankens und regensicher von einem Gebäude zum nächsten gelangen können. Die Vision der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid, die unterschiedlichsten Wissenschaftsgebiete schon räumlich eng miteinander zu verknüpfen, bietet die besten Voraussetzungen für eine gedeihliche interdisziplinäre Zusammenarbeit.

In den spitzwinkligen, ungewöhnlich aussehenden Hochhäusern, sorgt der letzte Schrei der Kühl- und Belüftungstechnik für ein angenehmes Arbeitsklima. Eine Schweizer Firma erhielt einen Auftrag im Umfang von rund 2 Mio CHF nur für den Anwendungsbereich von "Low End"-Abwasser bis zu ultrareinem Wasser "High Purity" für die insgesamt neun Forschungsgebäude. Nahezu 25 km Rohrleitungen, zum Teil aus dem extrem widerstandsfähigen Kunststoff PVDF, wurden allein für den Wassertransport verlegt. Wissenswert dazu ist die Tatsache, dass man in Singapur aus jedem öffentlichen Wasserhahn gefahrlos das wertvolle Nass trinken und von jedem Straßenimbiss ungefährdet das Angebot genießen kann. Auch deshalb die hohen finanziellen Aufwendungen für das Biopolis-Wasser.

Ob im 8. Obergeschoss, in einer Kelleretage oder unter dem Parkdeck der Wissenstempel, immer herrscht reges Leben. Fachkräfte, die sich in der Tierwelt auskennen, sorgen hier für beste Lebensbedingungen der Versuchstiere. Den Forschern stehen so wunschgemäß entsprechende Exemplare in ausreichender Anzahl jederzeit zur Verfügung. Die Antwort auf die Frage, wie Gene funktionieren, findet sich u. a. in Aquarien: Zebrafische dienen als Stellvertreter der Menschen. Sie schwimmen neben Bärblingen zu Tausenden in einer der größten Zuchtanlagen der Welt genauso munter in ihren Becken herum, wie Schweine, Kaninchen oder 300.000 Labormäuse durch ihre Stallungen wuseln.

Man wird mit seiner Phantasie nicht allein gelassen, denn die Häuser tragen je nach Themengebiet Namen wie: Matrix, Nanos, Genome, Proteos, Neuros, Immunos, Centros und beherbergen Forschungseinrichtungen der staatlichen Agentur A*Star (Regierungsbehörde für Wissenschaft, Technologie und Forschung). In Helios und Chromos hingegen sind private Unternehmen angesiedelt. 200 Hektar umfasst das Gesamtareal von One-North. Die zur Verfügung stehende Arbeitsraumfläche des Biotechnologie-Parks beträgt gigantische 222 000 m2. Man stelle sich das einmal plastisch vor, es geht hier um eine Größenordnung von „nur“ ca. 30 Fußballfeldern!

Jagd auf Spitzenfoscher

Fünf große Institute sind in der Biopolis zusammengefasst: für Bioinformatik, Genforschung, Bioingenieurwesen, Molekularbiologie und biologische Fertigungstechniken. In ihnen arbeiten momentan einhundert bis fünfhundert Mitarbeiter. Genforscher, Molekularbiologen, Bioinformatiker, Nanotechnologen, Chemiker, Physiker und Pharmaforscher - ein biomedizinischer Think Tank inmitten tropischer Parklandschaft. Kühl- und Gefrierräume, Zentrifugen, DANN-Sequenzierer (Stückpreis rund 250.000 Euro), hochauflösende Mikroskope, bildgebende Verfahren - hier bleibt kein Wunsch offen. Alle Geräte sind neu und vom Feinsten. Spezialisierte Techniker sorgen sich um deren ständige Einsatzbereitschaft. Eine neuartige Gewebebank mit Genproben von Krebskranken aus ganz Asien und eine Gendatenbank mit dem Erbgut gesunder Menschen sind im Entstehen. Gespart wurde hier nirgends.

Wohnungen und Hochsicherheitslabors, Fitnessräume und Massagesalons, Restaurants, Bars und Cafés, sowie mehrere große Konferenzräume bieten dem Personal und Gästen eine gelungene Symbiose aus Arbeit, Kommunikation und Entspannung. Sogar die Toiletten scheinen nicht von dieser Welt. Modern designte Glaswaschbecken und wasserfreie Urinale, mit Bedienanleitung auf Englisch, Mandarin und Malayisch verblüffen ihre Nutzer. Riesige stählerne Pusteblumen verneigen sich vor den Wissenstempeln, metallische Nachbildungen von Virusproteinen widerspiegeln die Welt der Molekularbiologie, vielfältige Skulpturen, allerlei tropische Pflanzen und Palmen verleihen dem Campus ein anziehendes Gesicht. 300 Millionen US - Dollar ließ Singapurs Regierung sich das Projekt kosten. In den kommenden Jahren will sie insgesamt sogar drei Milliarden US-Dollar in die Biotechnologie investieren. Eine Menge, wenn man bedenkt, dass der Stadtstaat gerade mal etwa 4,5 Millionen Einwohner hat. Zum Vergleich: Berlin brachte dagegen für sein BioRegio-Projekt in fünf Jahren gerade mal 90 Millionen Euro zusammen.

Auch für die Unterbringung der Kinder ist gesorgt.

Wir können es uns nicht leisten, Frauen für 500.000 Singapur-Dollar auszubilden und sie dann nicht arbeiten zu lassen, wenn sie Mütter werden wollen. Das kann vielleicht ein reiches Land wie Deutschland tun. Wir dürfen darüber hinaus auch keine Insel bleiben, wir müssen eine globale Stadt werden, um all die Ressourcen und Reichtümer der Welt zu uns zu holen und sie zu unserem Nutzen einsetzen.

Philip Yeo

Der Gründervater der Biopolis ist Philip Yeo. Nachdem er sich mit der Vermarktung vielfältigster Waffensysteme befasste, stieg der agile Chinese in das Geschäft mit der Petrochemie in Singapur ein. Auch hier verharrte er nicht lange und hob das Projekt Biopolis aus der Taufe. Weil Singapur mit der Forschung Neuland betrat, musste Yeo weltweit nach Arbeitskräften fahnden. Ihm fehlen Spitzenforscher, sagt er: „ Also gehe ich auf die Jagd nach Spitzenforschern, was durchaus einer Elefantenjagd gleichkommt.“ Die Gehälter spielen bei Yeos Anwerbeversuchen nur eine untergeordnete Rolle, sie entsprechen etwa dem, was auch in den USA gezahlt wird. Der Leiter der staatlichen Forschungsbehörde A* Star ködert die Forscher einfach mit den hervorragenden Arbeitsbedingungen in der Biopolis und meint: „Wissenschaftler sind Primadonnen, aber solche mit guten Ideen. Die benötigen wir. Leider muss ich sie im Ausland suchen, d. h. ich muss sie mir von dort ausborgen. Meine Maxime lautet: 50% der Forscher sollen vorerst aus Singapur und 50% aus dem Ausland kommen. Insgesamt liegt der Ausländeranteil beim wissenschaftlichen Personal derzeit noch bei 70 Prozent. Dieses Verhältnis muss sich aber in den kommenden Jahren eindeutig zu den einheimischen Fachkräften verlagern“. Die Schüler und Studenten auf dem Poster, das Philip Yeo in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt, zeigt die klügsten Köpfe Südostasiens. Sie kommen aus Indien, China, Vietnam, Kambodscha oder Malaysia. Mit millionenschweren Stipendienprogrammen schickt Singapur sie nach Harvard, Cambridge oder Stanford - und bietet gleichzeitig garantierte Arbeitsplätze für die Rückkehrer. Schon profitiert Singapur seit kurzem von heimkehrender Intelligenz, aus Brain Drain - dem Verlust geistiger Kapazität - wurde inzwischen ein Brain Gain.

Den Weißkitteln wird förmlich der rote Teppich ausgerollt: Skeptiker in Sachen Tierversuche und Gentechnologie sind kaum zu hören, die ethischen Standards sind niedrig aber nicht unkontrolliert, und Geld scheint massenhaft vorhanden zu sein. „Unser Ziel ist es“, so Dr. Andre Wan von A* Star, „hier ein Zentrum für biomedizinische Forschung aufzubauen, das weltweit Anerkennung findet. Es soll ein Platz werden, wo Spitzenkräfte aus aller Welt zusammen mit unseren hiesigen Wissenschaftlern große wissenschaftliche Entdeckungen machen und diese auch kommerziell umsetzen“. Auch Yeo hat überhaupt nichts dagegen, wenn Firmen hier ihre Forschungsergebnisse selbst vermarkten.

Eine eigenwillige Konstellation sorgt in Singapur für wissenschaftsfreundliche Bedingungen: eine Art Staatsinterventionismus. Es ist die politische und wirtschaftliche Macht der Familie von Regierungs - Chef Lee Hsien Loong, die die Forschung vorantreibt. Lee ist mit Ho Ching verheiratet, der Chefin von Temasek, einer Staatsholding, die sieben der zehn größten Unternehmen in Singapur kontrolliert. Biopolis ist dabei eines der Projekte, die von Temasek verwaltet werden.

Ab Juni 2004 haben über 50 private als auch staatliche Forschungsinstitute ihre Arbeit aufgenommen. Ein bedeutsames Schwergewicht ist das Novartis Institute for tropical Diseases (NITD), das am 5.Juli 2004 als privat - öffentliche Kooperation zwischen Norvatis und dem EDB seine Labore bezog. Das NITD vereint das beste Know-how aus Industrie und akademischer Forschung mit Technologie und starken wissenschaftlichen Netzwerken. Den Vorsitz hat Prof. Paul Herrling, der auch Vorsitzender von Corporate Research Novartis ist. Der Schweizer Pharma-Konzern will mit seinem Non-Profit-Institut die Vorreiterrolle in Südsostasien übernehmen. Novartis hat sich verpflichtet, alle entstehenden Produkte zum Selbstkostenpreis in der Dritten Welt zu vertreiben.

200 Mitarbeiter aus 18 Nationen suchen am NITD nach neuen Medikamenten gegen vier Krankheiten: Das Dengue - Fieber, Malaria, Lepra und die arzneimittelresistente Tuberkulose. Die Voraussetzungen dazu sind hervorragend: optimale wissenschaftliche Infrastruktur, wie Kernspintomographie und DANN-Sequenzierung. In der Medikamentenforschung, die von Target Discovery über Testentwicklung bis zur Wirkstoffoptimierung reicht, kommen modernste Technologien zur Anwendung. Ein hochkarätig besetztes Beratergremium, indem auch Nobelpreisträger nicht fehlen, unterstützt die Arbeiten. Da Dengue und Tuberkulose in Malaysia und Indonesien, also in der Nachbarschaft Singapurs, gehäuft vorkommen, vereinigt der Stadtstaat eigentlich beides: Einen Forschungsstandort mit höchstem Standard, und die unmittelbare Nähe zu den Patienten. Diese Kombination ist ziemlich einmalig und ermöglicht effektivste Laborforschung.

Ein weiteres Beispiel für die Dynamik des Forschungsparks ist das Institut für Bio- und Nanotechnologie. Auch hier dasselbe Bild. Blitzende Flure, modernste Labors. Die Institutsleiterin Jackie Ying ist unter 40 und war die jüngste MIT-Professorin (Massachusetts Institute of Technology) aller Zeiten. Vor knapp einem Jahr wurde sie zum Mitglied der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ernannt. Über 50 Patente hat ihr Institut bereits angemeldet.

Die Arbeitsbedingungen sind als traumhaft zu bezeichnen - aber auch im Paradies für Bioforscher gibt es Regeln. Die Einhaltung vorgeschriebener Standards, etwa bei Tierversuchen, bei der Speicherung von Genomdaten oder der Gewinnung embryonaler Stammzellen unterliegen ständiger Kontrolle. Biopolis ist also kein rechtsfreier Raum für die „Glücksritter“ der Szene. Es gibt klare Regeln, die teils aber weniger einengend sind als in Deutschland. In Singapur ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen gestattet, sofern sie von abgetriebenen Föten stammen oder von tiefgefrorenen Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung oft übrig bleiben. Erlaubt ist auch das therapeutische Klonen, bei dem mit Hilfe der Eizelle einer Frau maßgeschneiderte Embryostammzellen für einen Kranken hergestellt werden können. Verboten wurde jedoch das reproduktive Klonen zur Erzeugung von Menschenduplikaten. Singapur ist das einzige Land in der Welt, das Gesetzesverstöße in diesem Forschungsbereich mit bis zu zehn Jahren Gefängnis ahndet. So hat man hier, problembewusst und pragmatisch zugleich, einen Weg gefunden, mit dem die Gegner und Befürworter der Stammzellforschung vorerst leben können.

Ein großes soziokulturelles Experiment

Weltstatus mit der Brechstange? Die entscheidende Frage lautet: Kann sich Singapur, wie es nicht nur „Nature“ vorsichtig fragt, mit Forschungsmilliarden Weltstatus erkaufen? Oder ist der brachiale Kraftakt schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt?

Die Biopolis stellt ein großes soziokulturelles Experiment dar. Niemand weiß, ob sich Erfolg und Kreativität erzwingen lassen. Der Staat und die Wirtschaft unternehmen alle Anstrengungen, dass es, zusammen mit den Lehren aus der Asienkrise, zu einer Erfolgsstory wird. Schätzungen des Marktvolumens für Biotechfirmen gehen momentan von 100 bis 500 Milliarden Euro aus - allerdings gilt das erst für den Zeitraum von 2010 bis 2015. Wie Singapur nun im internationalen Wettbewerb bestehen wird, ist ungewiss. Allerdings sind viele der Schwierigkeiten, mit denen es zu kämpfen hat, symptomatisch für die weltweite Situation der Biotech-Branche.

Arbeitskräftemangel und unsichere Rahmenbedingungen durch die weltweite Stammzellen-Debatte gefährden den Aufwind der Branche. Schwankende Aktienkurse und sinkende Investitionsbereitschaft von Kapitalgebern lassen keine eindeutigen Zukunftsaussagen zu. Trotzdem schauen Biostrategen, selbst aus der Forschungshochburg Amerika, bewundernd und neidvoll nach Singapur. So ließ vor drei Jahren eine Studie der National Science Foundation die akademische Welt in den USA aufhorchen, denn Singapur überraschte durch sein enormes Entwicklungstempo. „Die USA verliert ihre Dominanz in den Wissenschaften“, schrieb die New York Times. Als Beleg für diesen Trend wurden die rückläufigen Wissenschaftsveröffentlichungen aus den USA gewertet - und die stark steigenden Zahlen im asiatischen Raum.

Eine Delegation von britischen Wissenschaftlern kehrte im September 2004 tief beeindruckt von einer „bewusstseinserweiternden“ Tournee durch die Stammzell - Labore Asiens zurück. In Maryland, wo Genriesen wie Celera Genomics und Human Genome Sciences ihren Sitz haben, ist Matt Gardner Direktor der regionalen Biotechnologievereinigung. Ein „Start aus dem Nichts“ sei das Projekt der Biopolis, aber so durchdacht und finanziell gepolstert, dass es kaum schief gehen könne, meinte er.

Auch Deutschland beginnt zaghaft seine Fühler zur Forschungsmetropole auszustrecken. Zwei Beispiele dazu: „Singapur gehört für Baden - Württemberg zu den Schwerpunktregionen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, die wir in den nächsten Jahren sukzessive ausbauen werden, wie dies bereits in den Gesprächen zwischen Ministerpräsident Günther H. Oettinger und Premierminister Lee anlässlich dessen Deutschlandbesuch im Dezember 2005 angeregt worden war“, so Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg.

Am 28. April 2006 eröffnete BASF das erste Forschungszentrum für Nanotechnologie in Asien. Bis zum Jahr 2008 sollen 13 Millionen Euro in das neue Zentrum in Singapur fließen. Das neue Kompetenzzentrum der BASF wird 20 Mitarbeiter beschäftigen: hauptsächlich Wissenschaftler und Labortechniker. Sie werden sich auf die Modifikation von nanostrukturierten Oberflächen konzentrieren, die zum Beispiel eine Lösung für das Problem des Biofoulings bieten könnten. Biofouling auf Schiffsrümpfen und andere Belagsbildungen durch Organismen unter maritimen Bedingungen sind sowohl ein umwelt- als auch wirtschaftlich relevantes Thema.

Wenn sich junge, sehr attraktive Frauen, auf ihrem Oberarm die Doppelhelix tätowieren lassen und von Werbeheften herunterfragen, ob man seine brennende Leidenschaft für die Wissenschaft gemeinsam mit ihnen auf den Höhepunkt bringen will, so sind auch die vor Begeisterung geröteten Kinderwangen in renommierten Universitäten, wo sich Professoren nicht zu schade sind, dem Nachwuchs die Naturwissenschaft fasslich nahe zu bringen, eine logische Schlussfolgerung. Einem jugendlichen Typ mit Sonnenbrille wird gar das bekannte Zitat von Martin Luther King in den Mund gelegt: „I had a dream!“ Für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich geht es bei dem coolen Plakatidol dann so weiter, dass er unbedingt Wissenschaftler werden wollte und dies dank der Regierung auch geschafft hat. Da sind die Singapore Management University, die Nationaluniversität und die Nanyang Technische Universität - immerhin zu den 50 führenden Hochschulen der Welt gehörend – nur ein weiteres Indiz für den begonnenen Aufbruch in das Wissenschaftszeitalter. Nahe der Biopolis wächst schon der nächste, rund 170 Millionen Euro teuere Forschungstempel in den Himmel. Fusionopolis soll ein „Epizentrum“ der Informations-, Kommunikations- und Medien-Branche werden. Hier sollen neue Ideen aus der Kooperation von Informatikern, Ingenieuren, Medienleuten und Biomedizinern entstehen. Gleich Biopolis ist Fusionopolis Bestandteil des Masterplanes One-North. Nach Fertigstellung Ende 2007 sollen hier 3000 Mitarbeiter einen der „aufregendsten und sprühendsten Orte“ der IT- und Medienindustrie mit Leben erfüllen.

Wie beurteilen in Singapur forschende Ausländer die Situation?

„Man kann nicht eine Wissenschaftskultur, wie sie in Europa oder den USA seit Jahrhunderten existiert, aus dem Nichts entwickeln“, sagt Axel Ullrich, der deutsche Forscher vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Mit den Angehörigen des Lee-Clans sollte man durchaus vorsichtigen Umgang pflegen, ansonsten könnte man seine Koffer packen

Andererseits standen ihm fünf Millionen Euro parat, dazu schnelle Maschinen und gute Mitarbeiter; denn eine Forschung basiert nicht nur auf Intellekt und Instinkt, sondern auch auf Fleiß. Umfangreiche Erbgutanalysen konnten nur mit Hilfe von Robotern erledigt werden. Fleißige Einheimische bereiteten die Proben in aufwendiger Arbeit für die Analysen vor, so dass Ullrich einschätzte, dass ihm zehnmal so viele Kapazitäten wie in Deutschland zur Verfügung standen. Doch nicht alle Vorstellungen von der idealen Forscherwelt Ostasiens haben sich bestätigt. Auch hier wiehert der Amtsschimmel, weil man mit seiner Hilfe gedenkt, die Korruption erfolgreich bekämpfen zu können.

Der sprichwörtliche Fleiß und die stereotype Freundlichkeit der Asiaten können zum Problem werden. Negatives bleibt ungesagt, Fehlschläge bei der Arbeit erfahren keine kritische Auswertung, niemand will sein Gesicht verlieren. In der wissenschaftlichen Arbeit kann das schnell zu Mehrarbeit, Fehlern und Zeitverzögerung führen. Die Kultur des Kopfnickens muss mittels ständiger Kontrolle bei gleichzeitigem Vertrauen zum richtigen Zeitpunkt durchbrochen werden. Die Asiaten empfinden das direkte offene Wort der Europäer als eine Form der Unhöflichkeit, so dass manche Tätigkeit zum Geduldsspiel werden kann. Die Wand des permanent undurchsichtigen Lächelns ist oft nur schwer zu durchdringen. Ein weiteres Aushängeschild der Biopolis ist unzweifelhaft Alan Colman mit seiner Firma ES Cell International. Schließlich hat Colman mit Dolly-Erschaffer Ian Wilmut genmanipulierte Klonschafe erzeugt und bezeichnete das Forschungsklima immer als „ausgesprochen angenehm und produktiv“. Anne Bendt, eine deutsche Biologin, ist ein „Post-Doc“ und hätte auch in die USA gehen können. Sie entschied sich aber für Singapur, weil es hier richtig abgeht, wie sie feststellte. Der Schweizer Biophysiker Markus Wenk gehört zu einem der Spitzenwissenschaftler auf dem Gebiet der Lipid-Forschung; er kam von der US - Eliteuniversität Yale zur Biopolis. Die Strukturen im Westen seien zementiert und die Professoren fest etabliert. Hier herrschen dagegen Aufbruch und Dynamik, so seine Meinung.

Sabine Daugelat vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie Berlin erforschte mit einer kleinen Arbeitsgruppe den Erreger der Tuberkulose und war mitverantwortlich für eines der modernsten Hochsicherheitslabors der Republik. Sie tauschte ihren Arbeitsplatz mit dem Institut für Molekularbiologie, das eine Reputation weit über Asien hinaus verdient, denn es führte die Genomsequenzierung des Kugelfisches an, die gebührend in "Science" gefeiert wurde. An dem Projekt arbeitete auch der Nobelpreisträger für Medizin Sydney Brenner mit, der außerdem an der Konzipierung der Biopolis beteiligt war.

„Die Alles-ist-möglich-Mentalität der Singapurer hat mich vom ersten Tag an beeindruckt“, sagt Daugelat an ihrem Arbeitsplatz im Chromos - Gebäude. „Hier bekommt man ein richtiges Wirtschaftswundergefühl“, so die Wissenschaftlerin. Die Biologin ist nach wie vor von den ihr gebotenen Möglichkeiten begeistert. Deutschland hätte ihr dieses Umfeld nicht bieten können, wie sie meint.

Yoshiaki Ito, der vor der Pensionierung steht, lässt wissen, dass die Biopolis "einen prall gefüllten Talente-Pool, leistungsfähige Forschungseinrichtungen und eine großzügige Finanzierung bietet". Der Krebsforscher war, wie das Wissenschaftsmagazin "Science" berichtete, in Japan an einer staatlichen Universität tätig und hätte dort wegen der strengen Pensionsgrenze aufhören müssen. Er wurde von japanischen Privatuniversitäten umworben, doch er entschied sich für Singapur, weil dort mit einem Schlag auch alle Umzugswilligen unter seinen Mitarbeitern eingestellt wurden. Zehn von vierzehn gingen mit, nach nur drei Monaten Transferzeit war die Gruppe in Singapur wieder am Forschen.

Prof. Paul Herrling, Leiter der Unternehmensforschung von Novartis bringt die Entwicklung Singapurs auf den Punkt, wenn er feststellt, dass die zurückgelegte Wegstrecke der Biopolis eine gute Chance zum Erreichen der ehrgeizigen Ziele bietet. Die Dynamik Singapurs wird für die Zukunft der Forschungsstandorte in Europa zur echten Herausforderung. In Europa hat an vielen Orten leider die Motivation zur wissenschaftlichen Exzellenz und die Motivation von jungen Leuten überhaupt wissenschaftlich tätig zu sein, nachgelassen. Dagegen sind die jungen Asiaten in der gesamten Region viel motivierter, in solche Gebiete einzusteigen. Daraus werde für die Europäer eine starke Konkurrenz erwachsen.

Der britische Krebsforscher Sir David Lane, der 1979 das Protein p53 entdeckte, das in gesunden Zellen die Tumorbildung unterdrückt, fasste seine Meinung in die Worte: Für seine Vorstellungen, wie Wissenschaft wirtschaftlich wird, finde er in Singapur stets ein offenes Ohr und es würde schnell und effizient entschieden, in seiner Heimat jedoch nicht. Die Wissenschaftler sind hier keinen Angriffen wie in Europa und in den USA ausgesetzt, wenn man nur mal an die Kontroversen um gentechnisch veränderte Pflanzen oder die Stammzellenforschung denkt. Das Ministerium für Trade und Industry kontrolliert schon, was die Forscher tun und es wird auch ein gewinnbringendes Ergebnis erwartet.

Die „Gastarbeiter“ der Biopolis sind sich in ihrer Meinung nahezu einig: Man meint es ernst, mit dem Vorstoß zur wissenschaftlichen Weltspitze. Ist auch aus westlicher Sicht fehlende Pressefreiheit, das eigentümliche Demokratieverständnis und die allgegenwärtige Bevormundung der Bürger zu kritisieren, so ist die Bevölkerung doch mit ihrem Leben zufrieden und zieht mit den Regierenden an einem Strang, wenn es gilt, ehrgeizige Projekte im Sinne aller zum Erfolg zu führen.

Reichlich Stoff zum Nachdenken, wenn man die Erfahrungen der ausländischen Forscher zusammenfasst. Die Dynamik, die man in Südostasien erlebt, ist nicht nur faszinierend, sie kann einem auch ein wenig Angst machen. Warm anziehen, kann es da für Deutschland nur heißen!

Springt der Tiger zu kurz?

Der Aufstieg Singapurs zur Biomacht ist gerade aus internationaler Perspektive fraglich. Denn obgleich die "globale" Ausrichtung von Singapurs Forschung für Wissenschaftler attraktiv ist, so bleibt Singapur für viele von ihnen nur ein Zwischenstopp.

Als Produktionsstandort der Pharmaindustrie habe sich Singapur bewährt. Daran hätte die Stadt noch stärker anknüpfen sollen, findet der indische Forscher Singh, statt sich als relativer Spätstarter in den globalen Wettbewerb der Biotechnologie zu stürzen. "Da braucht man eine Vielzahl von Projekten, damit am Ende genug dabei sind, die glücken." Der Staat sei aller Erfahrung nach kein geeigneter Wagniskapitalgeber. Auch trübe die internationale Kritik an der staatlichen Forschungspolitik die ambitionierten Zukunftspläne. Manchen ist die starke staatliche Präsenz und Kontrolle in nahezu allen Bereichen - vor allem aber denjenigen, die der Festigung der nationalen ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit dienen - ein Dorn im Auge.

Die problematische Nachwuchssituation bleibt weiterhin ungeklärt. Bildungsinvestitionen müssen bei gleichzeitiger Anwerbung ausländischer Spezialisten noch auf Jahre erhöht werden. Obwohl Singapurs Schüler in der Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern zur Weltspitze gehören, wird durch das Bildungssystem noch immer Kreativität und Problemlösungskompetenz mehr unterdrückt als gefördert. Das Schülerwissen ist vorrangig auf die Reproduktion von vermittelten Fakten ausgerichtet.

Es muss eine höhere Risiko- und Gründungsbereitschaft angestrebt werden, weil die Unternehmenskultur bisher nicht den erforderlichen Stand erreicht hat. Mangelnde Kreativität und geringes nonkonformistisches Denken der Bevölkerung behindern benötigte Innovationen. Das Land tätigt daher noch immer Technologie - Importe (Patente und Lizenzen), die einmal sehr kostenaufwendig sind und zum anderen eigenen Entwicklungen wenig Raum lassen.

Durch den Plan „Singapore One“ (One Network for Everyone) gelang es bis 2006 etwa 70 % der Haushalte an das Internet anzuschließen. Schon 2004 besaßen 74 % aller Haushalte einen Computer. Auf dem Wege zur Informationsgesellschaft hemmen aber die allgegenwärtige staatliche Kontrolle, Defizite in der Entwicklung von Inhalten und die relativ hohen Preise der Netznutzung den Fortschritt.

Um das „Humankapitaldefizit“ auszugleichen, unternahm die Regierung große Anstrengungen bei der Erhöhung des Bevölkerungsanteils, der über einen Hochschulabschluss verfügt. Er lag 1990 bei 4,7 % und erreichte 2002 bereits 13,7 %. Bei den ingenieurwissenschaftlichen Hochschulabschlüssen stiegen im gleichen Zeitraum die Zahlen von 19,9 % auf 34,2 %. Trotzdem fehlen noch immer hochausgebildete Spezialisten, welche der Staat nun vermehrt durch postsekundäre Bildung heranbilden will.

Die öffentlichen Bildungsausgaben lagen 2005 bei 4 % des BIP (in der OECD etwa bei 4,7 %). Der Anteil der Aufwendungen für FuE lagen im gleichen Jahr in Singapur bei 2,1 % des BIP (OECD bei 2,3 %). Man kam hier auf 7,2 Forscher je 1000 Beschäftigte und lag damit vor der OECD, die nur auf 6,2 verweisen konnte.

Nach dem „Global Entrepeneurship Monitor 2000“ (GEM), der die Entwicklung von Firmengründungen analysiert, kam Singapur unter 21 Ländern als 19. Staat ein. Nur 2,1 % der 18 - 64jährigen hatten Unternehmen gegründet oder waren in solch einem tätig. Der sehr kleine Binnenmarkt, eine ausgeprägte Außenorientierung, eine geringe Arbeitslosenquote, geringe Risikobereitschaft und mangelnde Kreativität, das Fehlen unternehmerischer Traditionen und die zahlreichen an den Staat gebundenen Firmen ließen bisher keinen privaten Gründungsboom entstehen.

Der Großteil der Bevölkerung ist vom Materialismus beherrscht. Als Statussymbole gelten die fünf C, sie stehen für: Credit Card, Country Club, Career, Cars und Condominium (Wohnung). Wird dieser Status erreicht, sieht es mit der Motivation zu Höherem schlecht aus und man setzt sich praktisch zur Ruhe. Der Drang zu weiterer Ausbildung verflacht spürbar.

Aber es lauern noch andere Gefahren für die Wissensgesellschaft Singapur. Durch die wachsende Diskrepanz zwischen nachgefragter und angebotener Qualifikation am Arbeitsmarkt entwickelt sich schleichend eine strukturelle Arbeitslosigkeit. Dazu erweitert sich die Kluft zwischen Hoch- und Geringqualifizierten in der Nutzung moderner IuK-Technologien und die Zunahme eines „digital divide“ zwischen jung und alt ist unübersehbar. Wie in vielen Staaten der Welt kommt es verstärkt zum Anwachsen der Einkommensdisparität, die den sozialen Frieden bedroht. Die Anzahl der Millionäre steigt im Stadtstaat schneller als irgendwo auf der Welt.

Die weitere Entwicklung Chinas kann für Singapurs Zukunft von großer Bedeutung sein. Der ungezügelte Wirtschaftsboom entgleitet zusehends der dortigen Staatsführung und wird für die Weltwirtschaft mit ihren nervösen Aktienmärkten und unkontrollierbaren Kapitalströmen, sowie dem stark gefährdeten Klima der Erde, zu einem immer größeren Problem. Es ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, heute eine garantiert erfolgbringende Wirtschaftsstrategie für den stark vom Ausland abhängigen Inselstaat zu entwickeln.

Verbreiteter Kiasuismus, der sich durch Versagensängste (Gesichtsverlust) und übersteigertem Konkurrenzdenken ausdrückt, wird mehr und mehr zum kulturellen Hemmnis für die Wissensgesellschaft. Das Leben auf der „Insel der Intelligenz“ ist ebenso, wie alle Wirtschaftsbereiche, vom Konfuzianismus durchdrungen. Er bringt neben einer hohen Arbeitsmoral, Sparethik und Gruppenkonformismus, jedoch auch mangelnden Individualismus, Lernformalismus und begünstigt bürokratische Herrschaftsformen.

Die Regierung besitzt ihre Legitimation auf Kosten von Freiheit und Grundrechten durch die gute wirtschaftliche Entwicklung im Lande. Eine Zivilgesellschaft nach westlichem Muster hat sich nicht entwickelt. 2004 meinte der Staatsgründer Lee Kuan Yew, dass ein Übermaß an Demokratie zu disziplin- und ordnungslosen Bedingungen führe, die der Entwicklung schaden.

Erklärtes Ziel Singapurs ist es, in den nächsten zehn Jahren eine kreative und unternehmerische Nation zu werden, die offen ist für alle neuen Ideen ohne dabei Risiken bisher unbegangener Wege zu scheuen. Aus dem Blickwinkel der Europäischen Union ist es spannend und lohnend zugleich, den Aufbruch des kleinen Staates in eine ungewisse Zukunft aufmerksam zu verfolgen. Was wird Singapur werden: Starker Wirtschaftskonkurrent, verlässlicher Partner oder gescheiterter Schnellstarter?

Können Europa und Deutschland dem Tiger Paroli bieten?

Gehen die in Europa stagnierenden Ausgaben für Forschung und Entwicklung so weiter, dann wird Europa bis 2010 von China überholt", sagt Janez Potocnik, Chef der Kommission. Deutschland wurde bereits abgehängt. "Wir müssen aufpassen, sonst verlieren wir den Anschluss", warnt Potocnik.

Wird in Europa noch diskutiert, wird anderorts schon geforscht. In Israel etwa fließen laut OECD 4,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung - Weltrekord. Bis 2010 sollen die Mittel für die Forschung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU erhöht werden. Die Kommission erwartet, dass so 400.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Wirtschaft der EU könne zusätzlich um 0,5 Prozent wachsen.

Potocnik beklagte, der Mangel an Geld treibe Forscher aus Europa. „Es gibt immer weniger Investitionen aus multinationalen Firmen, es gibt keine attraktiven Laufbahnen für Forscher und wir haben immer noch kein stimulierendes Finanzumfeld für neue Technologien“, sagte der Kommissar. „Die besten Talente gehen ins Ausland, die meisten Doktoranden bleiben nach einem Studium in den USA gleich dort.“ Die neuen Forschungsinvestitionen gehen vor allem in die asiatischen Staaten China, Taiwan, Hongkong und Singapur.

Hochrangige Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft präsentierten deshalb am 15. und 16. Januar 2007 vor 1500 Gästen in Bonn das weltweit größte Programm in der Forschungsförderung. Bundesforschungsministerin Annette Schavan und EU-Forschungskommissar Janez Potocnik eröffneten die zweitägige Veranstaltung. Das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm, mit über 54 Mrd. € für sieben Jahre einer der größten Posten des EU-Haushaltes, legt die Forschungsausgaben der EU für den Zeitraum 2007-2013 fest. Damit stellt die Europäische Union rund 60 Prozent mehr Geld für Forschungsprojekte zur Verfügung als in der Zeit des 6. Rahmenprogramms (2002 bis 2006). Ziele und Projekte sind heiß umkämpft. Der Ausschuss musste über mehr als 1.200 Änderungsanträge abstimmen.

Will man das Ziel, Amerika und Asien an Innovationskraft zu überflügeln, bis 2010 erreichen, wie es die Staatschefs der Gemeinschaft vor fünf Jahren in Lissabon beschlossen haben, ist Eile geboten. Jeder dritte Forschungs-Euro wird im Wirtschaftssektor für den Kraftfahrzeugbau ausgegeben. Jeder vierte Forscher in den Unternehmen ist im oder für den Automobilbau tätig. Die deutsche Wirtschaft trägt etwa 70 Prozent der Forschungsfinanzierung, weit mehr als in den meisten europäischen Ländern. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Wirtschaft wegen der Finanzprobleme des Staates gestiegen. Ob Deutschland auch weiterhin zur Weltspitze bei Forschung und Entwicklung gehört, ist nicht nur eine Frage des Geldes. Wirtschaft und Wissenschaft sind bei uns immer noch viel zu sehr voneinander abgeschottet. Die Verzahnung von beiden muss deshalb vorangetrieben werden. Deutschland braucht eine forschere Forschungspolitik. Ziel der Aktivitäten ist es, aus Ideen schneller marktfähige und international konkurrenzfähige Produkte zu machen. Die Bundesregierung fördert daher besonders die Spitzenforschung und den wissenschaftlichen Nachwuchs. Für die Spitzenforschung stehen bis 2011 durch die so genannte Exzellenzinitiative 1,9 Milliarden Euro bereit. Zusätzlich benötigte Studienplätze sollen durch den „Hochschulpakt 2020“ entstehen. Auch hier beteiligt sich die Bundesregierung in einem ersten Schritt durch die Schaffung von 90.000 neuen Studienplätzen mit rund 1,3 Milliarden Euro. "Je höher die Innovationsdynamik, desto schwächer werde die deutsche Position." Zu diesem Ergebnis kommt die vorgestellte BCG-Studie "Innovationsstandort Deutschland - quo vadis?", für die mehr als 700.000 Patente in 17 Technologiefeldern untersucht wurden. "Statt den Wettbewerb zwischen den 16 Bundesländern zu fördern, sollte Deutschland besser mit geballter Kraft der Forscherkonkurrenz in den USA, Japan, Singapur und zunehmend auch in Indien die Stirn bieten", sagte BCG-Geschäftsführer Peter Strüven.

Allein in Singapur stieg die Zahl der in Forschung und Entwicklung Tätigen von 6,4 je 1.000 Gesamtbeschäftigte auf 10,8. Zum Vergleich: In der EU liegt der Durchschnitt bei 10,7 FuE - Beschäftigte je 1.000 Gesamtbeschäftigte. Die fortschreitende Globalisierung verschärft den strukturellen Nachteil Deutschlands zusätzlich, der aus veralteten Forschungsfeldern und dem bremsenden Einfluss der Föderalismusreform entsteht. In Zukunft ist vor allem mit China zu rechnen. Bereits 2013 wird voraussichtlich die Volksrepublik auf dem deutschen Ausgabenniveau sein. Die Globalisierung lässt auch für die Entwicklung Europas und unserem Land viele Fragen unbeantwortet. Die Zukunft bleibt spannend!