Wenige weltweit agierende Konzert-Multis dominieren die Branche

Seite 2: "Soziale Schere" in der Musikbranche

Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Obama-Berater Alan B. Krueger hat das Konzertgeschäft bereits 2017 als "Superstar-Geschäft" bezeichnet und in einer Studie darauf hingewiesen, dass gerade einmal ein Prozent aller Musiker:innen und Bands sechzig Prozent der weltweiten Konzerteinnahmen gerieren. Und die oberen fünf Prozent der Performer erzielen 85 Prozent der weltweiten Konzerteinnahmen.

Was im Umkehrschluss bedeutet, dass für die unteren 95 Prozent aller Musiker:innen gerade einmal 15 Prozent aller Einnahmen übrigbleiben. Hinzu kommt: Die Eintrittspreise für die Konzerte dieser oberen fünf Prozent aller Performer sind mit Abstand die höchsten.

Sie steigen am schnellsten, und ihre Veranstalter verfügen über die ausgeklügeltsten Strategien, was die Preisgestaltung bei ihren Konzerten angeht, von High oder Dynamic Pricing über Slow Ticketing bis hin zu "Verified Fan"- oder sogenannten "Platin Ticket"-Strategien – die Superstars, ihre Manager und Veranstalter haben das System, den Konzertfans möglichst viel Geld aus den Taschen zu ziehen, über die Jahre perfektioniert.

Die Weltkonzerne der Liveindustrie mit ihren Imperiengeschäften kümmern sich fast ausschließlich um jene fünf Prozent der Musiker:innen und Bands, mit denen das große Geld zu machen ist. Nur Tourneen von Superstars lassen Superprofite erwarten.

Live Nation, CTS Eventim und DEAG sind Aktiengesellschaften, sie sind dem Shareholder Value verpflichtet, ihr Unternehmenszweck ist einzig, Gewinne für ihre Aktionäre zu generieren – "Cultural Values" spielen, wenn überhaupt, eine Nebenrolle.

Und so ist es nur konsequent, wenn sich die Tournee- und Ticketangebote der Großkonzerne wie ein Sammelsurium der Beliebigkeit lesen: Da stehen Depeche Mode oder Kendrick Lamar neben Helene Fischer und dem Quatsch Comedy Club, und Iron Maiden, Harry Styles oder Seeed neben DJ Bobo, Florian Silbereisen, Lisa Eckhart und Mario Barth. Alles ein einziger großer Gemischtwarenladen unter dem Zeichen der Gewinnerwartung.

Das Problem der gesamten Konzertszene besteht allerdings darin, dass die Großkonzerne der Liveindustrie nicht nur 95 Prozent aller Musiker:innen praktisch komplett ignorieren, weil mit diesen nicht genug Gewinn zu erwirtschaften ist, sondern dass sie sich damit auch die aufwendige Aufbauarbeit und Förderung junger Musiker:innen und neuer Bands weitgehend sparen – von Nischensegmenten wie Jazz, Weltmusik oder improvisierter Musik ganz zu schweigen.

Doch für die kulturelle Vielfalt ist just dies essentiell: Nur durch die Förderung junger Musiker:innen und Bands, durch den Aufbau neuer Acts wird die lebendige Musikszene am Leben erhalten und die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft gewährleistet.

Seit Jahren wird diese wertvolle, arbeitsaufwendige und mit gewaltigen Investitionen verbundene Aufbauarbeit weitgehend den kleinen, unabhängigen Agenturen und Veranstaltern sowie den Clubs und Venues überlassen. Wenn die Bands dann erfolgreicher werden und hohe dreistellige oder sogar vierstellige Besucherzahlen aufweisen können, werden sie von den Großkonzernen vom Markt gekauft.

Dieses Modell ging jahre –, wenn nicht jahrzehntelang gut. In den letzten Jahren aber sind die unabhängigen Veranstalter und Clubs immer mehr unter Druck geraten. Schon seit Längerem rechnen sich die kleineren und selbst die mittleren Clubkonzerte im Grunde nicht mehr.

Der legendäre Konzert- und Tourneeveranstalter Karsten Jahnke stellte schon 2018 fest, beim örtlichen Konzertgeschäft mit kleineren Shows gehe es eigentlich nicht mehr darum, ob, sondern "nur noch darum, wieviel Euro Verlust man macht". Eine Situation, die durch Inflation und drastisch gestiegene Energiekosten noch verschärft wurde und unter der insbesondere die Clubs und kleinen und mittleren Venues zu leiden haben.

Während die großen Hallen und die dort veranstaltenden Großveranstalter die zusätzlichen Kosten mit einem Aufschlag auf die ohnedies bereits überteuerten Konzerttickets problemlos auffangen können, lassen die Ticketpreise bei kleineren Konzerten oder Club-Veranstaltungen keine Erhöhung zu.

Das früher gebräuchliche Querfinanzieren von Clubkonzerten durch größere Konzerte ist kaum noch möglich, weil die größeren Konzerte meistens von den Live-Konzernen oder deren Tochterfirmen selbst veranstaltet werden oder die Gewinnmargen, die diese den wenigen freien Veranstaltern überlassen, immer geringer werden.

Und während früher Bands, die allmählich wuchsen und nach einigen Jahren auch kommerziell erfolgreich wurden, häufig ihren ersten Veranstaltern treu blieben, sodass diese auch am Erfolg der von ihnen aufgebauten Bands teilhaben konnten, sind altmodische Kriterien wie Loyalität und Vertrauen im kapitalistischen Realismus unserer Tage zunehmend zu Fremdwörtern geworden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass engagierte Veranstalter eine von ihnen aufgebaute Band auch noch im Erfolg promoten können, ist im modernen Konzertgeschäft gering – warum also sollten Veranstalter und Clubs sich noch die Mühe machen, neue Bands aufzubauen?

Dies alles hat zunächst nur wenig mit der Pandemie, sondern vornehmlich mit den Entwicklungen auf dem Konzertmarkt zu tun, die im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen waren. Die Liveindustrie hat sich zu einem Teil des Finanzkapitalismus entwickelt.