Wenn Justiz, Psychiatrie und Politik gleichzeitig versagen

Seite 3: "Karrieristen mit Seilschaften und Parteigänger"

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Gibt es Schätzungen wie hoch die Zahl derer ist, die ungerechtfertigter Weise in den Gefängnissen oder der Psychiatrie sitzen?

Przybilla: Wir wollen uns an Spekulationen nicht beteiligen. Tatsache ist aber, dass heute doppelt so viele Menschen in Deutschland in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen sitzen wie vor 20 Jahren. Und dass in Bayern anteilig zur Bevölkerung doppelt so viele Menschen in die Psychiatrie eingewiesen werden wie im Bundesdurchschnitt.

Wie müsste das Justizwesen und die Psychiatrie reformiert werden, damit sich dergleichen nicht wiederholt?

Ritzer: Zumindest in der Justiz müsste sich viel ändern. Zum Beispiel müsste dieses merkwürdige Hin und Her zwischen Staatsanwälten und Richtern während ihres beruflichen Werdegangs aufhören. Es braucht da klare Trennlinien, was auch hilft, einen unguten Korpsgeist zu vermeiden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Gerichte und Staatsanwaltschaften sofort komplett einigeln und eine Wagenburg aufbauen, wenn man nur in einem Fall kritisch und hartnäckig nachhakt und kritisiert. Niemand will die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen, aber in einem demokratischen Staat muss sie auch in der Lage sein, mit so etwas konstruktiv umzugehen.

Przybilla: Was wir an Juristen erlebt haben, die extrem beleidigt waren, nur wenn man ihnen Fragen gestellt hat, das ist schwer akzeptabel. Ein weiterer Punkt ist, dass die Berufung von ranghohen Staatsanwälten, Gerichtspräsidenten und so weiter nicht mehr nur die einsame Entscheidung des jeweiligen Justizministers ist. Diese Praxis fördert unter Umständen Karrieristen mit Seilschaften und Parteigänger. Das Prozedere sollte transparenter werden. Man sollte solche Spitzenposten entweder auf Zeit oder in einer Form von Selbstverwaltung besetzen, etwa über Richterwahlausschüsse. Wenn man schon eine unabhängige Justiz will, dann sollte der Einfluss der Politik und der jeweils herrschenden Partei auch zurückgedrängt werden.

"Schindler war Merks treuer Vasall"

Wie ist bislang das Verhalten von der bayerischen Justizministerin Beate Merk zu erklären und wie verhält sich die SPD in diesem Fall?

Ritzer: Frau Merk verhielt sich stur und ignorant. Sie handelte nach dem Prinzip, dass ein rechtskräftiges Urteil auch richtig ist und in Bayern nicht sein kann, was nicht sein darf. Ihr Krisenmanagement war verheerend. Entweder ist sie ihrem Job in solchen Krisensituationen nicht gewachsen, oder aber sie hört auf die falschen Ratgeber.

Sie hat das Parlament lange Zeit auch nicht umfassend und vollständig informiert. Ministerpräsident Horst Seehofer hat sie dann auch zurecht gestutzt, als er im Fall Mollath Merk öffentlich belehrte. Er sagte, auch in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz dürfe und müsse man es ansprechen, wenn es ernsthafte und begründete Zweifel gebe. Denen müsse man nachgehen, noch dazu, wenn einem Menschen wie Herrn Mollath die Freiheit bereits seit sieben Jahren entzogen sei.

Da hat Seehofer völlig recht und ein kompetenter Justizminister hätte sich auch genau so verhalten. Was die SPD angeht: Sie hatte als Oppositionspartei im Fall Mollath lange Zeit auf der ganzen Linie versagt. Ihr oberster Rechtspolitiker Schindler war Merks treuer Vasall im Fall Mollath. Und der Rest der roten Truppe ließ ihn gewähren. Das spricht für sich. Inzwischen allerdings redet für die SPD in der Sache jemand anderes: die gut eingelesene und entsprechend kritische Abgeordnete Inge Aures. Zeit wurde es.

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