Wenn Meinungsvielfalt destruktiv wird

Symbolbild: Telepolis/claw

Nicht alle subjektiven Einschätzungen zur Pandemie können das gleiche Gewicht haben. Ein Virus kümmert sich nicht um Meinungen. Auch nicht, wenn sie zu Glaubenssätzen gerinnen

"Meine Meinung zu den neuen Corona-Maßnahmen ist…" - Wer kennt es nicht? "Corona" ist zu einem der häufigsten Gesprächsthemen geworden. Da werden Meinungen ausgetauscht, unterschiedliche zumeist. Klar, jeder sieht das auf seine Weise, je nach Betroffenheit und Kenntnisstand. "Meinungen", das sind subjektive Sichtweisen auf Geschehnisse, Sachen, Sachverhalte, Lebensfragen, Beziehungen.

In der Regel weiß ich: Meine Sichtweise ist begrenzt: Mag sein, dass ich mich auf mehr oder weniger sicheres "Wissen" beziehe, aber meine "Meinung" wird doch eine gehörige Portion "Für-Wahr-Halten" enthalten. Der Anteil an Unsicherheit ergibt sich auch daraus, wenn umgangssprachlich bei einer Meinungsäußerung oft gesagt wird: "Ich glaube".

Menschen, die penetrant auf ihrer Meinung bestehen und sie als absolute Wahrheit ausgeben, fehlt es offensichtlich an der Einsicht in die Subjektivität von Meinungen und damit auch an Selbstreflexion.

Sehen wir vorerst von ihnen ab. Was wären Gespräche langweilig, wenn es nicht unterschiedliche Meinungen gäbe. Ich erfahre von meinem Gegenüber, dass man Dinge auch anders sehen kann, als ich es tue. Aufeinander hören kann produktiv sein, wenn ich nicht gleich abblocke, sondern die andere Sichtweise überdenke. Vielleicht öffnet sich dadurch ein neuer Weg, eine Lösung zeigt sich oder wir stellen in den Verschiedenheiten Gemeinsamkeiten fest. Auf jeden Fall weiß ich nun, wo mein Gesprächspartner steht, habe mehr über ihn erfahren, kann ihn besser einschätzen und mit ihm umgehen, verständnisvoller im besten Falle.

Vielleicht ärgere ich mich über seine Meinung und gerate in Streit mit ihm. Auch das kann sinnvoll sein, ein Problem, eine Beziehung wird geklärt, eventuell ein Kompromiss gefunden. Wo eine Diskussionskultur gepflegt wird, Offenheit, Änderungsbereitschaft und Toleranz herrschen, können wir gut mit anderen Meinungen leben und das als bereichernd empfinden. Wir machen aber auch die Erfahrung: unterschiedliche Meinungen können zu Verhärtungen führen und Gegensätze entstehen lassen, die unüberbrückbar erscheinen. Das ist sehr hinderlich, wenn wir vor gemeinsamen Aufgaben stehen, wie jetzt in der "Corona-Krise".

Ein kostbares Gut, aber mit Grenzen

Auf Demos gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wird oft eine angebliche Beschneidung der "Meinungsfreiheit" beklagt und von "Zensur" gesprochen. Deshalb ist es nötig, sich anzuschauen, wie das Recht auf Meinungsfreiheit in unserem Staatswesen geregelt ist. Wir betrachten es als wichtiges Recht unsere Meinung frei äußern zu können. Es ist Bestandteil der "freien Entfaltung unserer Persönlichkeit". Auf diese Weise können wir unsere Interessen und Ansichten zu Geltung bringen, privat, beruflich, gesellschaftlich und staatsbürgerlich. Eine demokratisch verfasste Gesellschaft ist auf Meinungsfreiheit angewiesen. Wenn "alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht", ist die Aushandlung von Interessen und Meinungen zur Konsensfindung und damit zu demokratisch legitimiertem politischem Handeln grundlegend.

Meinungen frei äußern zu können, war nicht in allen Zeiten und Gesellschaften selbstverständlich. Meinungsfreiheit ist eine Errungenschaft der Aufklärung und der bürgerlichen Emanzipationsbewegung. Erstmalig wurde sie 1789 in der "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" von der Französischen Nationalversammlung gesetzlich festgelegt. 1948 wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen. Im deutschen Grundgesetz heißt es in Artikel 5:

"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten … eine Zensur findet nicht statt."

Die "Meinung" damit sei jede Meinungsäußerung gedeckt, ist allerdings ein falsches Verständnis dieses Rechts. Schon die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte schränkt in Artikel 11 ein:

"Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte. Jeder Bürger kann also frei schreiben, reden und drucken unter Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen."

Im deutschen Grundgesetz wird dies in Artikel 5 so aufgenommen:

"Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Es gibt also Gesetze, die die freie Meinungsäußerung einschränken. "Beleidigungen", "üble Nachrede" und "Verleumdung" sind zwar auch Meinungsäußerungen, aber strafbar. Es mag ja sein, dass ich der Meinung bin, der oder die ist ein richtiges "A……..", vielleicht muss das in Ausnahmesituationen auch einmal gesagt werden, aber zum Umgangston in einer zivilisierten Gesellschaft sollte das nicht werden. Ebenso strafbar sind diskriminierende Äußerungen über Personen oder Gruppen wegen ihrer Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung und das "Billigen, Leugnen und Verharmlosen von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen" - dies fällt unter den Straftatbestand, der im StGB als Volksverhetzung bezeichnet wird.

Das französische Menschenrechtsgesetz ließ Meinungsäußerungen zu, "solange sie nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stören". Im deutschen Strafrecht wird dies als "Störung des öffentlichen Friedens" bezeichnet. Neben dem schon genannten Tatbestand "Volksverhetzung" fallen Aufrufe zu Gewalt, Hass und Rechtsbrüchen darunter.

Das Recht der Meinungsfreiheit ist tatsächlich ein "kostbares Gut" zivilisierter und demokratischer Gesellschaften, wird aber mit "Recht" in diesen Gesellschaften eingeschränkt, wenn Würde und Ehre von Einzelnen oder Gruppen und das friedliche Miteinander durch Meinungsäußerungen verletzt werden. Ähnlich verhält es sich mit den grundgesetzlich garantierten Rechten auf "Freiheit" und "freie Entfaltung der Persönlichkeit".

Sie können nur insoweit beansprucht werden, wie "die Rechte anderer nicht verletzt werden" und "das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" gewahrt bleibt. Auch hier regeln Gesetze die Einschränkungen, machen sie aber auch in zeitlich begrenzten Ausnahmezuständen wie "einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" möglich. Eine einseitige Beanspruchung von Grundrechten auf Kosten anderer, mangelnde Rücksichtnahme auf deren Rechte, Nichtbeachtung von geltenden Gesetzen und Rechtsverordnungen ist nicht im Sinne der Grundrechte. Demokratischem Verhalten entspricht dies auch nicht. Das ist offenbar manchen Anhängern der "Querdenken"-Bewegung nicht klar oder wird bewusst verleugnet.

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