Wenn Meinungsvielfalt destruktiv wird

Seite 2: Social-Media-"Weisheiten": Nicht jede Meinung ist gleichwertig

Der massenhafte Zugang zum Internet hat eine Art "Meinungsinflation" mit sich gebracht. Neben die "klassischen" Informationsmedien ist das Internet als Quelle der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung getreten. Es hat Printmedien und Fernsehen längst überholt. In Internetforen und "Sozialen Netzwerken" bekommt die früher weitgehend stumme Mehrheit die Gelegenheit, ihre Ansichten zu äußern. Dass die Meinungsäußerungen dort immer sachlich und stilistisch qualifiziert sind, darf nicht erwartet werden. Schwer zu ertragen ist allerdings, wenn das Internet als "Speikübel" der Nation missbraucht wird und User auf diese Weise ihre Aversionen gegen Andersdenkende und politische Gegner ungehemmt zum Ausdruck bringen.

Ein Blick auf bestimmte Kanäle genügt, um festzustellen, dass nicht selten die durch Grundgesetz und Ausführungsgesetze festgelegten Grenzen überschritten werden. Die "Meinungsinflation" hat noch einmal durch die Diskussion um Covid-19 und die Anti-Corona-Maßnahmen Aufschwung genommen. Hier ist ja jeder betroffen, sei es durch Furcht vor Ansteckung oder durch die regierungsamtlichen Einschränkungen im privaten, beruflichen oder geschäftlichen Bereich. Da Covid-19 und die Gegenmaßnahmen seit Beginn der Pandemie zu Hauptthemen in den herkömmlichen Medien und im Internet geworden sind, wurden sehr viele Informationen und Stellungnahmen in die Öffentlichkeit gestreut.

So fühlt sich nahezu jeder kompetent, um mitreden zu können: Wir leben in einer Gesellschaft von Millionen vermeintlicher "Corona-Fachleute". Auch hier gilt: Es steht jedem frei, sich seine Meinung zu bilden und sie aktiv zu vertreten - jedenfalls solange er damit nicht die Rechte anderer und Gesetze verletzt. Dennoch muss man nach der Qualität der Meinungen und den Folgen unqualifizierter Meinungsäußerungen fragen.

Man kann nicht umhin, festzustellen, dass Meinungen unterschiedliches Gewicht haben, auch wenn dies "undemokratisch" erscheint. Es gibt Lebensbereiche, in denen Meinungen "frei flottierend" und spekulativ gebildet werden können. Das gilt für den Bereich der weltanschaulich-philosophischen oder religiösen Orientierung. Ganz frei sind wir da auch nicht, denn wir beziehen uns immer auf Traditionen.

Trotzdem: in unserer Gesellschaft kann jeder für wahr halten und wählen, was er in diesem Bereich für richtig hält, obwohl es auch hier Qualitätsunterschiede gibt und manches sozialschädlich ist. Man kann darüber diskutieren, Argumente anführen, aber objektiv und allgemein begründbare Entscheidungen für individuelle Lebens- und Weltverständnisse gibt es nicht. Weil wir trotz der "Unbeweisbarkeit" unserer Annahmen von ihnen meist fest überzeugt sind, befinden wir uns hier eher im Bereich der "Glaubensgrundsätze" als im Feld der weniger verbindlichen und festen "Meinungen".

Das schließt nicht aus, dass im Hintergrund unserer Meinungen oft Glaubensgrundsätze stehen. Umgangssprachlich wird die Unterscheidung von "glauben" und "meinen" allerdings nicht immer eingehalten. Aber wie schon erwähnt, wenn aus einer Meinungsäußerung ein "Glaubensbekenntnis" wird, läuft etwas schief.

Ein mit der Lebenseinstellung zusammenhängender Bereich ist die Handlungsorientierung, die "Ethik". Da gibt es einen weiten kulturellen und auch gesetzlichen Spielraum in einer demokratischen und multikulturellen Gesellschaft, aber man kann nicht jede Verhaltensweise billigen oder erlauben. Das deutsche Grundgesetz nennt hier in Artikel 2 Grenzen: die "Rechte anderer", die "verfassungsmäßige Ordnung" und das "Sittengesetz", das heißt, die in der Gesellschaft allgemein anerkannten ethisch-moralischen Grundsätze - was freilich ein weites Feld ist!

Also: wie ich mich oder andere - Politiker eingeschlossen - sich "meiner Meinung nach" zu verhalten haben, ist nicht nur dem subjektiven Belieben überlassen. Anders als bei "Glaubensfragen" verhält es sich mit Sachfragen und Sachverhalten. Da genügt das "Für wahr halten" nicht, um Aussagen Gewicht zu verleihen. Hier wird gefragt, was der Fall ist. Hier geht es um objektivierbare Feststellungen, nicht um "Meinungen".

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