Wenn Politik sich ins Security-Theater flüchtet

Seite 2: Kein Fehlerbewusstsein von neXenio

Auch der Auftritt des Geschäftsführers des Berliner Start-ups Nexenio im Ausschuss, Patrick Hennig, wirft Fragen auf: "Datensparsam und total sicher", sei seine App, egal was Experten sagen. Wie ihm das angesichts der verarbeiteten Adressdaten und ohne Datenschutz-Folgenabschätzung, also ohne Kenntnis der Risiken, klar sein kann, erklärt er nicht.

Muss er vielleicht auch nicht, denn womöglich sind die Fakten schon hinter den Kulissen geschaffen. Die Corona-Verordnung Mecklenburg-Vorpommerns erwähnt Luca bereits so, als wäre die Anwendung etablierter Standard.

Die ganze Diskussion um die Luca-App hätte man sich auch sparen können, hätte man die Check-in-Funktion –wie von vielen Seiten gefordert – bereits im Herbst in die Corona-Warn-App eingebaut, erklärt Domscheit-Berg. Warum das nicht geschehen ist? Darauf gibt es keine Antworten.

Erst jetzt, Mitte April, kommt die Funktion auch in die offizielle App, anonym und mit automatischen Einträgen der Aufenthalte ins Corona-Tagebuch. Wird hier politisches Handeln erneut zur Wirtschaftsförderung? Hat man die ungeliebte Corona-Warn-App absichtlich ausgebremst, um der Luca-App einen Marktzugang zu vereinfachen?

Im erwähnten Bundestagsausschuss kam dann auch der Bundesdatenschützer Ulrich Kelber zu Wort. Auch er kritisierte die mangelnde Transparenz und die fehlende Datenschutz-Folgenabschätzung bei der Luca-App. Aber er erklärte auch, dass derzeit nur Papierlisten zulässig sind, also keine digitale Lösung dem Gesetz entspreche.

Das könne man ändern, aber Papierlisten werde es immer parallel geben, weil man sonst Smartphone-freie Menschen diskriminierte.

In einer neuen Fassung des Gesetzes wären drei Varianten möglich: Zum ersten wäre es denkbar, pseudonyme Lösungen wie die Check-in-Lösung der CWA und Papierlisten zu erlauben; als zweite Variante wäre es denkbar, Pseudonyme nicht zu erlauben und mit Papierlisten zu arbeiten. Oder es wird ein Mix aus all diesen Varianten.

Das eigentliche Problem

Hier zeigt sich auch das Grundproblem: Dass so etwas wie der Luca-Skandal überhaupt möglich ist, liegt nur daran, dass Politiker ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Ein einheitlicher Plan, einheitliche Regelungen zur Corona-Nachverfolgung müssten her, schnellstens, sonst blüht der Wildwuchs und die Geldverschwendung à la Luca weiter.

Hier wird Steuergeld ausgegeben für etwas, das man bereits hat, der erwartbare Nutzen ist begrenzt. Die Corona-Apps sollen dabei helfen, den überlasteten Gesundheitsämtern schneller Kontakt-Tracing-Daten zur Verfügung zu stellen. Das Tracing bricht auch nach einem Jahr Pandemie unverändert wahrscheinlich bei einer Inzidenz von 50 zusammen.

Eine alte Weisheit aus dem Wissens- und Dokumentationsmanagement lautet: "Wer einen schlechten analogen Prozess digitalisiert, bekommt einen schlechten digitalen Prozess." Insofern müsste man an den Wurzeln anpacken, erklärt auch Lilith Wittmann, eine der führenden Expertinnen für die IT in der öffentlichen Verwaltung Deutschlands.

"Wir müssen uns da überlegen: Was erreichen wir mit dieser Lösung? Hilft sie uns wirklich bei dem konkreten Problem, das wir haben? Wir reden da die ganze Zeit von Heilsversprechen von Apps, aber womit helfen uns die Apps? (...) Die Luca-App digitalisiert nur diesen schlechten Prozess, der jetzt schon im contact tracing nicht funktioniert und macht ihn jetzt vielleicht zehn Prozent einfacher, weil man die Daten automatisiert in Sormas übermittelt bekommt", erklärt sie.

Sormas ist die Software, die (Stand Anfang April) rund die Hälfte (über 300) der deutschen Gesundheitsämter für das "Kontaktpersonenmanagement im Rahmen der Sars-CoV-2-Pandemie" nutzen. Aber danach müsse man wieder recht manuell Kontaktverfolgung betreiben wie bisher. Besser wäre es, das in die Corona-Warn-App zu integrieren, auch schon wegen deren hohen Verbreitung.

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