Wenn Romantik Rassismus gebiert

Seite 2: Die Sehnsucht nach Frieden und Schönheit und der Hass auf das Fremde

Eine Vorahnung bietet ein Blick auf den Nährboden, auf dem romantische Vorstellungen gediehen. Denn der bestand vor dem Hintergrund der Reichsgründung und dem Ende der Kleinstaaterei zu guten Teilen aus deutschem Nationalismus. Bis in die Kreise der Wissenschaft reichte die Begeisterung für angebliche germanische Wurzeln und urtümliche Verbundenheit mit deutschem Wald, Fluss und Boden, mit deren Hilfe sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl heraufbeschwören ließ. Und am Beispiel des Rings lässt sich ablesen, wie problematisch dies werden kann, wenn der oder die romantisch Veranlagte vor allem für die Konfliktlinien im Stück empfänglich ist - es sei an die enorme emotionale Wirkung solcher Aufführungen in einer medienarmen Zeit erinnert.

Der Ring kann dann als Projektionsfläche für einen grundlegenden Wesenszug rassistischer Ideologie genutzt werden: Der freie und reine Mensch (Siegfried) wird durch das schändliche Böse (Hagen) hinterrücks ermordet. Siegfried hat dank heldenhafter Tat die Unverwundbarkeit errungen, aber diese wird ihm durch Verrat genommen, mit tödlichen Folgen. Aber Siegfrieds und seiner geliebten Brünnhildes Opfer sind nicht völlig umsonst: Aus der dadurch ausgelösten Götterdämmerung entspringt eine gereinigte Natur und ein potentiell gereinigter Mensch.

In Richard Wagners Interpretation des Nibelungenlieds ist Siegfried göttlicher Abstammung, während Siegfrieds Mörder Hagen Kind des Zwergs Alberich ist, also eines aus rassenideologischer Sicht niederen Wesens. Letzteres fügt sich darüber hinaus zur zeitgenössischen bürgerlichen Sexualmoral und erleichtert die Abgrenzung der "Anständigen" auf ganz profaner Ebene.

In jedem Fall hatten der Ring und verwandte Stücke für manchen als scheinbar augenöffnende Erkenntnis gewirkt: ist es nicht so, dass die "Edlen", Freiheitsliebenden, mehr noch: Liebe ersehenden, tagtäglich den "Bösen" gegenüberstehen, die die schöne Welt aus reiner Zerstörungslust mit List und Tücke, Betrug und Verrat vernichten möchten? Ist es nicht die Schuld der Alberichs und Hagens, dass die mühselige Wirklichkeit mühselig bleibt und das Streben nach einem Land der Liebe und Freude vergebens bleibt? Müssen wir nicht stets wachsam bleiben und argwöhnisch, da wir uns sonst eine Blöße geben würden - und dürfen wir nicht hoffen, dass heldische Opferbereitschaft eine bessere Welt ermöglichen wird?

Die Bedrohung darf nie enden: Helden müssen sterben

Nun gibt es zahlreiche Interpretationen des Rings, und viele sehen ihn in einem durchaus positiven, ja wesens- und zeitkritischen Licht. Liest das Publikum aber vor allem den oben genannten Argwohn heraus, so bekommt der Ring für negative Vorstellungen Attraktivität.

Denn gerade weil Siegfried durch Verrat umkommt, wird der Held für die zahlreichen erstarkenden völkisch-nationalistischen Bewegungen der Zeit attraktiv, die sich faschistischen Gedankenguts bedienen: Wie Umberto Eco in seinem Buch über Faschismus feststellte, benötigt dieser immer ein Feindbild. Es ist essentiell für das Bestehen der Ideologie. Allein das Leben für den Kampf hat Wert, Pazifismus ist Verrat - ein Faschismus ohne Bedrohung funktioniert nach Eco nicht. Denn da im Faschismus "alle zum Heldentum erzogen" werden, muss es für dieses Heldentum schließlich auch ein Ziel geben. Und das ultimative Ziel des Helden ist eben der Heldentod, den der Held im Nibelungenlied dann auch empfangen darf, um damit letztlich die Welt zu erretten - ein dementer Siegfried, der im Altersheim seinen Lebensabend verdämmert, würde sich kaum zur Heldenverehrung eignen.

Nach der Logik der Faschisten läge er dem Volk nur noch auf der Tasche. Die Attraktivität dieses Helden ist noch heute stark: 2013 wurde eine Kampfsportveranstaltung mit dem Namen "Ring der Nibelungen" von rechtsextremen Kreisen ins Leben gerufen, wurde später zum "Kampf der Nibelungen" (KdN) umbenannt und zog jährlich eine beträchtliche Besucherzahl an.

Zwar ist Faschismus keineswegs deckungsgleich mit Rassismus und dem Völkischen, aber hier sind sich die Ideologien nahe. Die Erlösung ist ein stetes Versprechen, das den Heldentod voraussetzt, zugleich aber niemals erreicht werden kann. Und so kann der Mensch nur versuchen, ihr so nah wie möglich zu kommen - muss aber selbst dann stets kampfbereit bleiben. Wiegt er sich in Sicherheit, drohten seine Errungenschaften von niederen Kräften wieder hinabgerissen zu werden, so, wie eben Siegfried seine Unverwundbarkeit verliert, als er die Intrige gegen sich nicht rechtzeitig bemerkt.

In zeitgenössischen Schriften finden sich viele konkrete Hinweise für die Anziehungskraft und Inspiration, die derlei romantische Schöpfungen auf den rechten und völkischen Bereich ausgeübt haben. Darunter war auch Hitler. Er war von Wagner so begeistert, dass er ihn angeblich in seinen jüngeren Jahren gelegentlich spontan aus dem Stand heraus zitierte. Die Oper war gleichsam ein Katalysator für seine Sagenbegeisterung: Hitlers Jugendfreund Kubizek schreibt, dass sich Hitler "von frühester Jugend an" "an den Erzählungen aus der deutschen Heldensage berauscht" hätte und die Heldensagen von Gustav Schwab immer wieder las, seine "liebste Lektüre". "Nichts erschien ihm erstrebenswerter, als nach einem Leben voll kühner, weitreichender Taten […] nach Walhalla einzuziehen und für alle Zeiten zu einer mythischen Gestalt zu werden." Zwar ist Kubizeks Bericht nicht unumstritten, fügt sich aber gut in die von Hitler selbst geäußerte Begeisterung ein.

Hitler ist der Prominenteste unter einer Vielzahl von rechten Vordenkern, auf die Oper und Heldensage einen unwiderstehlichen Reiz ausübte. Ein Ideengeber des Rassismus, J. Lanz, notierte in einer autobiographischen Notiz, dass "die erste Oper, die ich hörte, Marschners 'Templer' war. Beim ersten Auftreten des Templers war ich direkt in Ekstase versetzt und war nun für das ganze Leben von der Tempeleisen-Idee erst recht entflammt." Zwar ist dieses Zitat nicht gesichert, aber Lanz' theatralisch konnotierte Handlungen entsprechen seinem Wesen, und er nimmt in seinen Schriften auch direkt Bezug auf Opern. Auch wenn er nur eine Randfigur ist, so kann die Absurdität und Radikalität seiner Ideen durchaus stellvertretend für den Zeitgeist der Rechten gelesen werden, sodass sich ein näherer Blick auf seine Person an dieser Stelle lohnt.

Hauptsächlich äußerte sich Lanz in seiner "rassenkundlichen" Ostara-Heftreihe, für die er unermüdlich als Herausgeber und Autor arbeitete. In einem Absatz stellte er die Verbindung zwischen der romantisch-schmachtenden Verehrung des ritterlichen Heroen auf der einen und der Verachtung gegenüber "minderwertigen" Menschen auf der anderen Seite her:

Der blonde Mann [...] will stets Siegfried und Minneritter sein, will für seine Liebste Heldentaten vollführen, Drachen erschlagen, […] und seine Prinzessinnen befreien […] Der heroische und blonde Mann liebt als Kind des Lichts und wird mit den Augen und nicht wie die Weiber und niederen Rassen vom Gehör und Tastgefühl zur Liebe entflammt.

Lanz vertrat in seinen Blättern die Ansicht, er betreibe sogenannte "ariosophische Forschungen". Ganz im Sinne der Dramatik von Sagen kleckerte er nicht mit Begriffen, sondern klotzte: So müssten sich die "Arioheroen" gegen die Invasion von "Äfflingen" wehren. Diese Äfflinge seien jedoch gewiefte Gegner. Denn sie nutzten auch das Mittel der Verführung, um sich durch eine "Vermischung des Blutes" "rassisch [zu] verbessern". Schlimmer noch: umgekehrt "ziehen" sie die reinblütigen Arioheroen "zu sich herab". Während sie also von einer Vermischung profitieren, würden die Helden mit Hilfe des Sagenmotivs der Verführung geschwächt. Dabei winkte den Arioheroen, blieben sie nur standhaft und wehrhaft, hoher Lohn: Aus der "arioheroischen Rasse" würde sich in Zukunft eine göttliche, mit "elektro-magnetisch-radiologischen" Organen ausgestattete Rasse erheben, die die Natur wieder neu befruchten würde. Ein magisches Wesen gewissermaßen, das analog zur klassischen Heldenreise entweder in seiner Vernichtung endet oder nach erfolgreichem Kampf gegen Invasion und Verführung zur Vergöttlichung findet.

Welche Bedeutung für die Rassenideologie sollen aber die Phantastereien haben, die sich Publizisten in den unterschiedlichsten Groschenheftchen ausmalen? Eine ganz Menge, wie sich herausstellt.