Wenn Romantik Rassismus gebiert

Seite 3: Influencer des beginnenden 20 Jahrhunderts: Revuen und Wochenblätter

Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gewannen Heftreihen und Revuen eine besondere Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung. Diese wendeten sich ausdrücklich an eine interessierten Laienleserschaft - vertraten aber auch den Anspruch, ein Fachpublikum ansprechen zu wollen. Der Vergleich zu den sogenannten "Influencern" liegt nahe, die heutzutage mit ihren YouTube-Videos, Instagram-Stories und Facebook-Posts tausenden, ja Millionen "Followern" ihre Sicht auf die Welt erklären. Was inzwischen übers Internet möglich ist, wurde früher über die Druckerpresse erreicht.

Heute werden von "Influencern" neben Ansichten über Mode und Lifestyle auch politische, akademische und gesellschaftliche Themen aufgegriffen. Das war damals nicht anders: Da gab es die vielen romantisch angehauchten Blätter, die sich um ein eher behagliches, bürgerlich-konservatives Ideal drehten. Erstaunlich zahlreich waren aber auch die Reihen, die sich ausdrücklich populärwissenschaftlich und volksaufklärerisch gaben. In diesen Heften veröffentlichten sowohl Experten, fachfremde Akademiker und Hobbyforscher Artikel zu den jeweiligen Themen.

Für das Themenfeld "Rasse" war dies von besonderer Bedeutung, da sich hier wissenschaftliche Erkenntnisse buchstäblich Seite an Seite mit frei erfundenen Faktoiden präsentierten und rassistische Gedanken über die akademische Welt hinaus verbreitet werden konnten. Beispielsweise schrieb Ludwig Wilser 1903/04 in einer Ausgabe seiner Politisch-Anthropologischen Revue, dass die "germanische Rasse" während der Eiszeit im Norden zur "edelste[n] Rasse des gesamten Menschengeschlechts" herangereift sei, die sich dann über den Kontinent ausgebreitet hätte. Mitherausgeber Ludwig Woltmann erwarb sich mit der Revue hohes Ansehen in der deutschen Rechten.

Reine Spekulationen erhielten durch die Nähe zu tatsächlichen Erkenntnissen Glaubwürdigkeit und wurden von bürgerlichen Kreisen auch aufgenommen, wenngleich die wissenschaftliche Welt den Publikationen oft eher kritisch gegenüberstand. Diese unterhielt ihrerseits akademische Zeitschriftenreihen, darunter das Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Trotz der nicht unkritischen Haltung der Wissenschaft waren die Verzahnungen zwischen Fachblättern und populärwissenschaftlichen Revuen nicht nur eng, viele Zeitschriftenreihen vereinten Fachartikel mit populärwissenschaftlichen Beiträgen, was den Laienbeiträgen automatisch eine höhere Seriosität bescheinigte.

Eine politisch engagierte, aber fachfremde Person konnte den Unterschied zwischen dem einen und dem anderen wohl kaum erkennen, geschweige denn auf den Wahrheitsgehalt hin überprüfen, und durfte daher geneigt gewesen sein, auch die Laien- und Meinungsbeiträge als wissenschaftliche Erkenntnisse zu betrachten. Diese Gemengelage war gerade bei einem emotional besetzten, Sinn und Halt bietenden Thema wie "Rasse" höchst brisant.

Die literarische Imagination soll Wirklichkeit werden: Orden und Bünde

Die "Influencer" der damaligen Zeit waren aber nicht allein als Zeitschriftenpublizisten tätig. Der bereits erwähnte Lanz ist dafür ein gutes Beispiel. Seine Schriften waren gewiss nur eine kleine Facette im Strauß der Magazine, wiewohl es immerhin Spekulationen gibt, dass auch Hitler in seiner Wiener Zeit zu seinen Lesern gehört habe. Aber Lanz begründete auch den "Ordo Novi Templi" und sammelte dort zahlreiche Gleichgesinnte um sich. Seine Förderer ermöglichten ihm gar den Kauf einer Burgruine, um sie zum Tempel des Ordens zu machen und dort ihre Feiern abzuhalten. Nun war Lanz mit Herz und Seele Publizist und Phantast, brachte Nummer um Nummer seiner Zeitschrift heraus und kann als Ausnahmeerscheinung gelten - seine Ordensgründung war aber nicht halb so außergewöhnlich, wie es aus heutiger Sicht erscheinen mag. Im Gegenteil folgte er damit eher dem Zeitgeist.

Der Lanz'sche Neutemplerorden war nämlich nur einer von zahlreichen "Orden" und Tischgesellschaften, in denen die romantische Phantasie in die Realität übertragen wurde. Hier trafen sich Gleichgesinnte und versahen sich mit der romantischen Aura des ritterlich-mystischen. Die Anlehnung an romantische "urgermanische" Vorstellungen erwies sich dabei als durchaus pressewirksam. Häufig rekrutierten sich die Mitglieder aus bürgerlichen Schichten, ja sogar aus den Reihen der Wissenschaft, und auch Industrielle waren entweder selber dabei oder traten als Förderer in Erscheinung. Diese Förderung legt zumindest nahe, dass den Vereinigungen ein gewisses Maß an politischem Einfluss zugesprochen wurde.

Die Art dieses Einflusses lässt schon der Name zahlreicher Vereinigungen erahnen: Oft schwingt hier ein rassistischer Dualismus von "Gut gegen Böse" mit. 1907 wurde der Ring Norden ins Leben gerufen, drei Jahre später der Geheime Nordische Ring - später fiel Geheime weg -, und 1925 die Nordische Bewegung, um nur einige zu nennen. Mit Willibald Hentschel gründete ein prominenter Vertreter des nordischen Gedankens den Mitgard-Bund. Sicherlich war eine Funktion dieser Gruppen die von Seilschaften und diente dem Austausch. Im Gegensatz zu reinen gesellschaftlichen Seilschaften aber war der Name bei diesen Vereinigungen Programm.

Der Schwerpunkt solcher Orden war durchaus auf der Vertiefung einer entsprechenden Weltanschauung ausgerichtet, die, stark verkürzt gesagt, die Notwendigkeit vertrat, als Vertreter einer Art menschlicher Elite gegen menschlichen "Abschaum" zusammenzustehen, der die Welt bedrohe. Fortbildungsveranstaltungen dienten dazu, das Verständnis von Rassismus als Überlebensnotwendigkeit und Pflicht jedes Einzelnen zu vertiefen. Bestätigt konnten sie sich beispielsweise durch die lokalen Ausstellungen, Wanderausstellungen und weiteren Veranstaltungen des Hygiene-Museums in Dresden finden.