Wenn Romantik Rassismus gebiert

Seite 4: Rechte Hochstapler: Wer nicht von nordischem Wuchs ist, macht wenigstens seinen Namen nordisch

Der Kampf gegen eine vermeintliche Bedrohung von außer war (und ist) ein ausgezeichneter Weg, um eine Gemeinschaft zusammenzuschweißen. Für die völkisch-rassistischen Vordenker war es von Vorteil, selber den von ihnen bekundeten Idealen zu entsprechen. Nur war dies vielen von ihnen nicht von Natur aus gegeben - es bedurfte eines Weges, auch den beleibten dunkelhaarigen Vorstand für das nordische Ideal akzeptabel zu machen.

Was ihm im Aussehen verwehrt blieb, konnte er jedoch auf anderem Wege erreichen: Die Kaiserzeit war auch in der Weimarer Republik mit ihren sehr realen Adelsprivilegien noch nicht vergessen und begann bereits im Lichte der Verbrämung zu leuchten. Zudem verehrten gerade konservative und rechtsnationale Kreise diese "Gute Alte Zeit". Damalige Existenzängste waren vergessen. Alles, was an die Kaiserzeit erinnerte, erstrahlte in einem geradezu magischen Glanz: Die Gegenwart war beherrscht vom kollektiven Schock der Kapitulation von 1918, die die vor weniger als fünfzig Jahren erst mühselig vollzogene Reichsgründung und die Träume vom Weltmachtstatus mit einem Schlag zunichte machte und zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit in Gestalt von Kriegsveteranen führte.

Die schuldhafte Niederlage wurde mithilfe von Dolchstoßlegende und Begriffen wie "Schandfrieden" verdrängt und mithilfe literarischer Schönfärberei im Stile eines Ernst Jünger verbrämt. Nicht zu verdrängen war der nach Kriegsende aufflammende Bürgerkrieg. Im wiederhergestellten Frieden wurden dann weitere traditionelle Orientierungspunkte und althergebrachte Werte durch einen extrem vitalen gesellschaftlichen Experimentalismus ins Wanken gebracht. Nicht nur die Fundamente der rechtskonservativen Zwingburgen waren morsch geworden, es bröckelten auch schon ihre Mauern.

Und also bot sich ein Adelstitel an, die körperlichen Widersprüche zu kompensieren. Die Angst, nicht zu den höheren Rängen der von ihnen selbst postulierten Hierarchie zu gehören - mithin also ein Minderwertigkeitskomplex bei jenen, die die Notwendigkeit von Höherwertigkeit am lautesten predigten -, spiegelt sich daher im Drang wieder, sich als Hochstapler Adelstitel zuzueignen: Führender Köpfe des rassistischen Gedankens hängten sich ein "von" an den Namen. So beispielsweise Rudolph "von Sebottendorf", seines Zeichens Führer des "Germanenordens" und Initiator der Deutschen Arbeiterpartei, dem direkten Vorläufer der NSDAP.

Ähnlich verhält es sich mit dem Runen-Publizisten Guido "von" List, dessen zu guten Teilen frei erfundene "Erkenntnisse" bis heute eine magisch-verklärte Sicht auf Runenzeichen prägen (wobei er sich, am Rande bemerkt, in seinen Schriften auch direkt auf Lanzens "Ostara"-Hefte bezog und über einen seiner Anhänger post mortem starken Einfluss auf Himmlers Runenbild haben sollte).

Und auch der völkische Publizist Lanz fügte den Adelstitel "von Liebenfels" frei seinem Namen hinzu, änderte wohl auch seinen Geburtsort von Wien nach Messina und erfand seinen Vater als Baron: Nach seiner Auffassung müssten "Arier" auch "adelig" sein. Im Gegensatz zu den Geltungssüchtigen, die sich heute Doktortitel bei dubiosen Institutionen einkaufen, begründeten die Zeitgenossen ihre angebliche Abstammung oft auf eine Art, die nahelegt, dass sie schließlich selbst daran geglaubt haben. Wobei es auch heutzutage noch Fälle gibt, in denen sich Personen einen "Freiherr von" oder eine "Freifrau von" an den Namen heften, unter anderem in rechtsextremen Kreisen.

Im Gegensatz zu solcherart Hochstaplern zeigte ausgerechnet Hitler weder solche Allüren - ganz im Gegenteil nutzte er strategisch das Image des "kleinen Mannes" - noch stand er Ordensgesellschaften und Adelstiteln positiv gegenüber. Seine größenwahnsinnig anmutenden architektonischen Vorstellungen scheinen dem ebenso zu widersprechen wie sein Umfeld, das sich mit Machtsymbolik geradezu überlud.

Während Göring sich selbst mit Goldlametta überhäufte, putzte Himmler seine SS mit elegant-schwarzen, symbolbesetzten Uniformen, Ehrendolchen und Ehrenringen auf seine Weise kaum weniger extrem heraus. Er war versessen auf den Gedanken der Ordensgesellschaft - die er beispielsweise in der SS umsetzte - und auf sagenhafte, angeblich heidnische Symbolik; aber damit wusste Hitler der Überlieferung nach kaum etwas anzufangen. Vielmehr war Himmlers Fanatismus für ihn einfach praktisch, da sein Paladin konsequent heidnische Bewegungen und völkisch-romantisch orientierte Ordensgesellschaften assimilierte oder zerschlug. Hingegen gab sich Göbbels, der wie Hitler die Massen direkt ansprach, äußerlich ähnlich bescheiden wie Hitler. Weiteres dazu findet sich im Standardwerk von Fest sowie Sebastian Haffner.

Nun mag das "Goldfasanbetragen" von Scheinadeligen und ordenbehängten Kommandeuren befremdlich, ja lächerlich anmuten. Tatsächlich ist auch die heutige Gesellschaft vor dem Zauber des machtvollen Scheins nicht gefeit. Nicht umsonst liebäugelt die rechtsextreme Szene mit heidnisch anmutender Symbolik und begrifflichen Anleihen wie der erwähnte "Kampf der Nibelungen". Aber geschickte Verbrämung verfängt nicht nur bei Extremisten, zumal sie neben bewusster Zurschaustellung auch verkappt daherkommen kann.

Lanz "von Liebenfels" in der deutschen Wikipedia und ein Bürgerliches Portraitphoto von J. Lanz. Bilder: Public Domain

Ein Beispiel dafür ist der Eintrag über Lanz, den Erschaffer von Arioheroen gegen rassisch minderwertige Äfflinge, in der deutschen wie der englischen Ausgabe der Wikipedia: Dort ist (Stand Januar 2021) unter der Überschrift mit seinem angemaßten Adelstitel als "Jörg Lanz von Liebenfels" nicht etwa sein bürgerliches Photo zu sehen, das einen gewöhnlichen Mann mit Brille zeigt. Vielmehr wird der Rassepublizist dort in der mystisch verbrämten Darstellung im Habit aus seiner Zeit als Bruder des Klosters Heiligenkreuz gezeigt - es ist eine Ironie der Geschichte, dass Lanz, der Möchtegernadlige, Prediger von Übermenschen und eines aggressiven Rassismus, sowie Begründer des Ordo Novi Templi, aufgrund seines "ungeeigneten Charakters" nach sechs Jahren aus dem Kloster herausgeworfen worden war.

Die Aktualität romantischer Symbolik im rechten Kontext

Nun kann Lanz als Randfigur abgetan werden. Jedoch zirkulieren seine "ariosophischen" Ideen noch heute in rechten esoterischen Kreisen; seine Person ist keineswegs vergessen, was der mindestens merkwürdigen Bilderwahl in der bekanntesten Online-Enzyklopädie Bedeutung verleiht. Mehr noch als er findet ein anderer Phantast seinen Platz in der neuen Rechten: Auf die Kreationen des Runenerfinders Guido List wird auch heute noch Bezug genommen. Der "Armanenorden" sieht sich als Nachfolger von Lists eigener Ordensgründung, und das von List geschaffene Repertoire ist in Gestalt von Druckgrafik, Tattoos und Schmuckprodukten in die Populärkultur der neuen Rechten eingegangen. Beliebt ist beispielsweise die sogenannte "Wolfsangel", zu der List eine Bedeutung als "Gibor-Rune" hinzuerfand. List lud hier einen verbreiteten, säkularen Wappenbestandteil mit der fiktiv-mystischen Bedeutung der Runen auf.

Auch schmückte List das unter Neonazis weit verbreitete Symbol der "schwarzen Sonne" mystisch aus, dessen Ursprung in den Schriften einer okkultistischen Autorin aus dem 19. Jahrhundert vermutet wird. Die Popularität der "schwarzen Sonne" dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass Himmler sie in ein Bodenmosaik der Wewelsburg bei Paderborn einarbeiten ließ. Zudem besitzt sie eine grafisch starke Wirkung.

Dem Repertoire aus erfundenen Zeichen gesellte sich in jüngster Vergangenheit das Symbol der Identitären hinzu, das aus einer in einen Kreis eingelassenen Lamda-Majuskel besteht. Wiewohl es nicht als "Rune" bezeichnet wird, fügt es sich in die einprägsame Symbolik der Rechten nahtlos ein und kann auch leicht für eine solche gehalten werden - es ist nur zum Teil polemisch, wenn angemerkt werden darf, dass Guido List seinerzeit gewiss einen passenden Platz für sie zur Hand gehabt hätte.

Auf den ersten Blick in harmonisches Kunstwerk aus dem Jugendstil ,auf den zweiten Blick die Versinnbildlichung der Rune "Algriz": Das "Lichtgebet" des Künstlers Fidus, 1913. Bild: Public Domain

Im Falle der Algriz-Rune - sie ähnelt einem auf den Kopf gestellten Friedenssymbol - ist zwar die Rune als solche überliefert, jedoch dachte sich List für sie die Bedeutung für "Leben" aus. Ihre Popularität war und ist groß: Das seinerzeit weitverbreitete "Lichtgebet" des Künstlers und Illustrators Fidus kursiert in verschiedenen Varianten im Netz. Es zeigt einen nackten Jüngling mit wallend blondem Haar, der sich mit ausgebreiteten Armen der Sonne zuwendet. An sich ist es ein Motiv, das die innige Anbetung des Lebens vermittelt: Ein Sinnbild für die Sehnsucht nach reiner Natur und Erleuchtung.

Da Fidus jedoch in seinen Bildern das romantische Ideal einer besseren und stolzen Welt mit der Runenmystik verband, lässt sich aus der Haltung des Jungen eben die Algriz-Rune herauslesen, deren zugeschriebene Bedeutung das Motiv auf ideale Weise verkörpert; eine Doppelbedeutung, die das Spannungsverhältnis von romantischer Einstellung und Völkischem gut illustriert. Fidus bewies mit der Motivwahl eine sichere Hand: Die "Lebensrune" Algriz bleibt bis in die heutigen Zeit hinein sowohl bei neopaganistischen, wie rechtsextrem-heidnischen Gruppierungen beliebt.

Damit ist diese Rune auch ein gutes Beispiel dafür, dass nicht jede runenromantische Verklärung zugleich auch einen rechtsextremen Kontext haben muss. So gibt es neuheidnische Vereinigungen, deren Interesse in einer naturverbundenen Glaubensalternative liegt, die aber nichts mit rechtsextremem Gedankengut gemein haben. Die schwedische Gruppierung "Forn Sed" ist eine solche neuheidnische Gruppierung, die rechtes Gedankengut explizit ablehnt. Hingegen vertreten Darstellungen des "Asatrú" bzw. "Asatro" durchaus rechte Positionen; Forn Sed äußert sich dahingehend, dass "der Begriff Asatro eine nationalromantische Konstruktion [ist]. Wir verwenden ihn daher nicht mehr in unserem Namen." In Deutschland verbirgt sich hinter der Internetadresse "asatru.de" eine Gruppierung, die sich "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." nennt und ihre Ursprünge auf eine völkische "Nordische Glaubensgemeinschaft" von 1927/28 zurückführt.

Neben rechten neoheidnischen Vereinigungen spielen auch "völkische Siedlungen" mit dem Motiv eines "Zurück zur Natur" in Kombination mit rassenideologischen Elementen eine Rolle. Schon Angang des 20. Jahrhunderts formten sich solche Bewegungen, die dezidiert romantische Ideale vertraten: Sie sollten eine ritterliche, kämpferische "Rasse" auf deutschem Boden schaffen. Die "Artamanen" wurden unter anderem in den 90er Jahren in Mecklenburg-Vorpommern unter dem Namen der "Neo-Artamanen" wiederbelebt. Auch hier kommt wieder das Ideal des bedrohten Helden zum Vorschein: Vorbild ist eine als kämpferisch und hart interpretierte nordische Mythologie.

Ganz im Zeitgeist werden solcherart rechte Siedlungen oft als Bio-Bauernhöfe und sich traditionsbewusst gebende, engagierte Hofgemeinschaften gegründet, wobei als besonders germanisch angesehen Symbolik wie die erwähnte "Wolfsangel" oder die sagenhafte Weltenesche "Irminsul" in Erscheinung treten. 2016 wurde eine entsprechende Immobiliengenossenschaft in Mecklenburg-Vorpommern ins Leben gerufen, die nach einigen Jahren wieder aufgelöst worden ist. Und das Dorf Jamel war Thema mehrerer Reportagen, wobei ein an NS-Familienromantik erinnerndes Wandgemälde eine große Rolle gespielt hat.

Die Neonaziszene knüpft so auf verschiedenste Weise an die romantischen Vorstellungen der Vergangenheit an, bedient Wunschträume und das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit, ganz ähnlich wie Zeiten eines List und Lanz - das Heldenbild hat seine Anziehungskraft nicht verloren.

Ruben Wickenhäuser studierte Geschichte und physische Anthropologie, arbeitet als Publizist und veröffentlichte unter anderem das Buch "Rassenforschung - Rassenkunde - Rassenideologie. Die Anthropologie im Spannungsfeld von Rassenideologie und Nationalsozialismus" zur Wissenschaftsgeschichte der physischen Anthropologie.Gegenwärtig arbeitet er an einem Buch zu "Rasse im Rassismus".

Mehr zu seiner Arbeit unter www.uhusnest.de