Wenn amerikanische CEOs in den Ruhestand gehen

James Rutt verlässt seinen Chefposten bei dem Trust-Service Anbieter VeriSign, um sich künftig der Wissenschaft zu widmen.

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Leise Abgänge sind nicht seine Sache und so hat James P. Rutt seinen Rückzug ins Privatleben mit einer eigenen "Pressekampagne" der Öffentlichkeit kundgetan. Anfang März schaltete er in mehreren Washingtoner Zeitungen eine Anzeige mit der Überschrift "Jim Rutt, CEO Retires April 1, 2001", in der er einen neuen Boss für seine Assistentin suchte. In dem ungewöhnlichen Stellengesuch bescheinigt er ihr "heavy calendar management" und "general purpose whip crackin' in a fast-paced environment". Ihren Lebenslauf samt Referenzen lieferte er gleich online unter der Web-Adresse www.killerassistant.com dazu.

"bona fide nethead" Rutt

James Rutt ist seit 1980 im Internet-Geschäft und blickt auf eine beachtliche Laufbahn zurück. Der heute 47-Jährige, der sich selbst gern als "bona fide nethead" bezeichnet, ist Absolvent des Massachusetts Institute of Technology. Er gehörte zu den Gründern der Online-Informationsdienste First Call und The Source. Später arbeitete er bei dem australischen Pressegiganten Thomson Corporation. 1999 wechselte Rutt zu Network Solutions (NSI, zu einem Zeitpunkt als das Unternehmen gerade dabei war, sein Monopol auf die Registrierung von Top-Level-Domains an ICANN zu verlieren. (Fünf auf einen Streich) Dass der Ausgang der Verhandlungen für NSI erstaunlich günstig war, ist zweifelsohne ein Verdienst von Rutt, in der Branche berühmt für seine "elbows-out manners".

Im vergangenen Jahr fädelte Rutt den nächsten Coup ein: die Übernahme von NSI durch VeriSing (www.verisign.com), einen Spezialisten für digitale Zertifikate im Internet, der dafür stolze 15,3 Milliarden US-Dollar hinlegen musste. Am ersten Januar dieses Jahres verschmolzen die beiden Firmen zu einem Unternehmen, Ruff wurde Leiter der neu geschaffenen Massenmarkt-Abteilung und fungierte nebenbei noch als Chefstratege.

Nach 20 Jahren in der Online-Welt hat James Rutt sich also ins Privatleben verabschiedet, von Ruhestand kann allerdings keine Rede sein. Seine neue Herausforderung ist die Wissenschaft, genauer gesagt die Beschäftigung mit komplexen adaptiven Systemen. Unter dem Begriff Complex Adaptive Systems (CAS) sind in den USA seit den 70er-Jahren neue Systemtheorien entstanden, die sich deutlich von dem Ansatz Niklas Luhmanns unterscheiden, dessen Theorie in Deutschland gemeinhin mit Systemtheorie identifiziert wird. Ganz allgemein sind der Untersuchungsgegenstand des CAS-Ansatzes informationsgesteuerte Populationen von Agenten in verschiedensten Kontexten, von chemischen Systemen bis zu menschlichen Sozietäten.

Many natural systems, and increasingly many artificial (man-made) systems as well, are characterized by apparently complex behaviors that arise as the result of nonlinear spatio-temporal interactions among a large number of components or subsystems. Examples of such natural systems include immune systems, nervous systems, multicellular organisms, ecologies, and insect societies. Artificial systems sharing this property include parallel and distributed computing systems, large-scale communication networks, artificial neural networks, evolutionary algorithms, large-scale software systems, and economies. Such systems have recently come to be known as Complex Adaptive Systems (CAS)

Zitat

Maßgeblich in diesem Bereich sind die Forschungen des 1984 gegründeten Santa-Fe-Instituts. Zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehören Stuart A. Kauffmann und John Holland, deren Arbeiten Ruff zu seinem Vorhaben inspiriert haben.

Ruff will sich bei seiner Forschung auf "evolutionary computing", auf genetische Algorithmen und genetisches Programmieren konzentrieren, Software also, die sich selbst aufbaut, durch Prozesse, die das Evolutionsprinzip von Mutation und natürlicher Selektion imitieren. Solche genetischen Algorithmen könnten ein breites Anwendungsfeld finden etwa für Programme im Bereich des Aktienhandels, der Stimmerkennung und der Kryptographie. Ein weites Feld also, das Ruff künftig beackern wird. Der Abschied vom Internet ist Rutt nicht schwer gefallen: "This was the perfect time to move on. If you're not growing, you're not living."