Wenn auch Frauen zum Baumarkt gehen
Selbermacher - Do It Yourself: eine Revolution der Märkte oder eine Anpassung an die Erfordernisse der Arbeitswelt?
Vermutlich wusste es Tim O´Reilly bereits vor drei Jahren: O´Reilly, Verleger der Zeitschrift Make, prognostizierte im Jahr 2008 in seinem verlagseigenen Webblog: "Was heute noch Do It Yourself heißt, ist das Big Business von morgen". Kaum zu übersehen: Kreative Selbermacher erobern Märkte mit Handgemachtem, sie arbeiten fern der Festanstellung und machen es einfach selbst - sie gestalten gemeinschaftlich Gärten in urbanisierten Ballungsgebieten, nähen eigene Kleidung, betreiben mit Liebe und Mühe Boutiquen oder Labels, sie bloggen, vernetzen sich und klären über Missstände auf.
Do It Yourself (DIY), als Begriff erstmals 1912 in der amerikanischen Zeitschrift Suburban Life erschienen und in den 1970er Jahren von der Linken aus dem Begriffsrepertoire des Heimwerkermarktes der 1950er Jahre entlehnt, erfährt eine neue Dynamik: "Mach es selbst" wurde Ende der 1970er Jahren im linken Spektrum bewusst auf die Agenda gesetzt, um Autonomie und Selbstbestimmung fern des Diktats von verfestigten Alltags- und Lohn-Arbeitsstrukturen zu gewährleisten. Do It Yourself stand für eine Kultur des Amateurs im Bereich Punk/Hardcore und war zugleich eine Verweigerungshaltung vor den Marktmechanismen der Großkonzerne.
Heute arbeiten Selbermacher an den verschiedensten Schnittstellen und unterschiedlichsten Branchenzugängen. Gleich mehrere Bücher sind in diesem Jahr erschienen, die sich dem neuen Do It Yourself-Trend widmen: "Hab ich selbst gemacht" (Susanne Klingner), "Ich schraube, also bin ich" (Matthew B. Crawford), "Urban Gardening" (Christa Müller) sowie die zwei Sammelbänder "Craftista" und "Do It Yourself - Die Mitmach-Revolution". Was tut sich da auf? Erleben wir eine "Revolution" der Arbeitswelt und Konsummärkte? Wie verändert das Selbermachen heutige Lebensweisen?
Telepolis sprach mit Verena Kuni, Kunst-, Medien- und Kulturwissenschaftlerin, Mitherausgeberin des Sammelbandes "Do It Yourself - Die Mitmach-Revolution" und Kuratorin der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Kommunikation in Frankfurt.
Frau Kuni, seit geraumer Zeit ist überall von Do It Yourself und vom Selbermachen die Rede. Müssen wir uns die Zähne bald selber ziehen?
Verena Kuni: Nein, so weit wird es hoffentlich nicht kommen. Das Selbermachen hat auch Grenzen.
Die da wären?
Verena Kuni: Dass man seine Kompetenzen kennt und die Konsequenzen ihrer Überschreitung - für sich und andere - verantwortlich abschätzen kann. Ich möchte weder mir noch anderen Zähne ziehen müssen.
Wie erklären Sie sich den derzeitigen Trend zum Selbermachen?
Verena Kuni: Das hat viele Gründe. Allem voran ist es doch sehr befriedigend, etwas selbst gemacht zu haben. Dieses Selbstwertgefühl kann man sich nicht kaufen. Indes ist es natürlich interessant, wenn das in einer durchaus konsumorientierten Gesellschaft zum Verkaufsschlager wird. Die Baumärkte - die an sich natürlich schon immer bzw. in Deutschland konkret seit den 1960er Jahren vom Heimwerken leben - haben das hierzulande wohl als erste wieder nach vorn gebracht.
Wenn man sich für die jüngere Entwicklung interessiert, lohnt es, sich die entsprechenden Werbekampagnen genauer anzusehen: Slogans wie "Selbst ist der Mann" allein ziehen nicht mehr - schon deshalb, weil Frauen mittlerweile gute Kundinnen sind. Und es geht eben auch allem voran um (Selbst-)Verwirklichung, um das "eigene Projekt". Gerade in letzter Zeit wird natürlich auch der ökonomische Aspekt wieder verstärkt diskutiert. Da wird gern suggeriert, dass das Selbermachen billiger sei.
Gefühl für den Wert einer Arbeit
Ist es das?
Verena Kuni: Nicht unbedingt. In manchen Fällen sicher. In vielen jedoch nicht. Das liegt nicht einmal daran, dass die für Eigenproduktionen gekauften Produkte nicht billiger sein können als ein entsprechendes Fertigerzeugnis oder die eigene Arbeitskraft im Vergleich zu einer entsprechenden Fachkraft billiger ist. Würde man in dieser Zeit aber einer erlernten und angemessen bezahlten Tätigkeit nachgehen und berücksichtigt man den Aufwand zum Selbermachen - die Recherche, Fahrt- und Arbeitszeiten sowie erste Fehlschläge beim Selbstherstellen - ist das Selbermachen unter dem Strich nicht billiger.
Unter einem Nachhaltigkeitsgesichtspunkt kann es aber durchaus auch ökonomisch sinnvoll sein, wieder mehr selbst zu machen bzw. sich in lokalen Produktionsgemeinschaften und -ökonomien zu bewegen. Ersteres vermittelt zudem ein recht gutes Gefühl für den Wert einer Arbeit und eines Produkts - also auch, warum bei "Geiz ist geil" garantiert jemand auf der Strecke bleibt.
Richard Sennett schrieb über den homo faber, den Hersteller von Dingen, dass er Dinge gut macht, weil er seiner Arbeit mit Hingabe nachgeht. Wie wichtig ist Selbstwerdung und die Reflektion über die Arbeit beim Prozess des Selbermachens?
Verena Kuni: Der reflexive Anteil hat beim Selbermachen einen enormen Stellenwert - und zwar nicht erst, wenn eine intellektuelle bürgerliche Schicht zum Hammer greift. Es gibt ja tatsächlich auch eine Intelligenz der Hand. Sennett wiederum geht es um einen erweiterten Begriff des Handwerks - der sich nicht darauf beschränkt, dass man etwas Materielles herstellt.
Entscheidend sind vielmehr die Fähigkeiten, die Selbstermächtigung im Prozess der Arbeit, die Wertschätzung, Sorgfalt und Liebe zum Produkt. Und zwar im "richtigen Maß" - auch das betont Sennett. Der "craftsman", der Handwerker oder die Handwerkerin weiß, wann er/sie aufhören muss und wovon er/sie besser die Finger lässt.
Der Trend zum "Analogitalen"
Der Begriff Do It Yourself kam erstmals 1912 auf. Was unterscheidet das Selbermachen heute vom Selbermachen damals?
Verena Kuni: Der gesellschaftliche und natürlich auch der technologische Kontext ist heute ein anderer. Das Selbermachen durchdringt mittlerweile sämtliche Berufs- und Bildungsschichten, es lokalisiert sich nicht mehr nur auf das ursprüngliche Segment von Heimwerken, Handarbeit und Bastelei. Eine Gemeinsamkeit hingegen ist, dass Do It Yourself schon immer ein Verlangen nach Veränderungen und Verbesserungen war - das war schon um die Jahrhundertwende hin zum 20. Jahrhundert so.
Die Arbeitswelt hat sich vor allem in den letzten drei Jahrzehnten durch die Digitalisierung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbereiche entkörperlicht. Ist das Selbermachen auch eine Art Gegentrend, Dinge wieder selbst herstellen zu wollen und dabei Körper, Hände zu benutzen?
Verena Kuni: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Verbindung zwischen Hand und Wort wird durch die Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt nicht mehr ausreichend befriedigt. Darum gibt es wieder eine Sehnsucht nach dem Haptischen. So sind plötzlich selbst früher eher verachtete, wenn nicht gar verhasste Handarbeiten wie Stricken, Häkeln, Sticken wieder "in". Und insgesamt gibt es auch einen Trend zum "Analogitalen", man möchte die Dinge wieder anfassen können.
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