Wenn auch Frauen zum Baumarkt gehen

Seite 3: Das kann eine echte Alternativ-Ökonomie ermöglichen

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Gerade viele Kreative scheuen aber institutionelle Einbindungen. Wie müsste man dem begegnen?

Verena Kuni: Das funktioniert vorrangig über soziale Netzwerke. Und in diesem Bereich tut sich ja auch schon eine Menge, über digitale und über lokale Vernetzung. Insgesamt greift es von daher auch zu kurz, immer nur auf größere, institutionalisierte Organisationen wie die Gewerkschaften zu schauen und zu sagen, die müssten sich verändern. Solidarität heißt: Alle müssen sich aufeinander zu bewegen. Und dafür, wie auch allem voran: für sich selbst, ist jede/r einzelne selbst verantwortlich. Ich würde mal behaupten, das Do It Yourself-Prinzip kann insgesamt das Bewusstsein dafür stärken, dass wir alle politische Menschen sind. Und auch politisch handeln müssen.

In Bezug auf das Selbermachen ist immer wieder die Rede von Prosuming, der Teilhabe des Kunden am Produktionsprozess durch eine Nähe zum Produzenten und dem Produkt. Der Industrie-Soziologe G. Günter Voß spricht hingegen vom "arbeitenden Kunden", indem dem Kunden im Zuge des Selbermachens mehr Aufgaben übertragen werden, das den Arbeiter teils ersetzt und darüber auch Löhne gedrückt werden oder gar Entlassungen drohen. Was überwiegt Ihrer Meinung nach?

Verena Kuni: Es kommt doch darauf an, wer wen unter welchen Konditionen beteiligt, mit welchen Zielen das passiert und welche Konsequenzen das für alle Beteiligten hat. Ganz sicherlich gibt es da eine deutliche Tendenz zur Ausbeutung dieses Prinzips bzw. zu einem Prinzip der Ausbeutung - und sei es nur als Einladung zur Selbstausbeutung. Es ist ja oft sogar so, dass der arbeitende Kunde seine Eigenbeteiligung als freiwillige oder gar kreative Tätigkeit verkauft bekommt.

Customizing heißt dann: Man setzt seine Arbeitskraft, seine Kreativität ein und bezahlt dann noch mal extra dafür. Insgesamt ist Do It Yourself aber auch modellhaft im Sinne neuer Mikroökonomien. Eine echte Alternative zum Franchising-Prinzip - und man verkauft sich auch nicht an einen Zwischenhändler, der zusätzlich die Hand aufhält. Stattdessen gibt es Netzwerke, und es geht um einen Handel vor Ort. Das kann eine echte Alternativ-Ökonomie ermöglichen.

Können Sie Beispiele nennen?

Verena Kuni: Nehmen Sie etwa die Entwicklungen in den USA, wo alternative Währungen zunehmend Erfolg haben. In einer Situation des dramatischen Spagats zwischen Gutverdienenden und absolut Armen, die von den Möglichkeiten einer Beteiligung im Grunde völlig abgeschnitten sind, kann ein solches selbstgemachtes, von einer Gemeinschaft selbst reguliertes System wirklich Perspektiven schaffen. Und da hat das Do It Yourself-Prinzip dann tatsächlich etwas Revolutionäres.

Das klingt mehr nach einer Mobilisierung im Schatten der Wirklichkeit, indem man sich nicht mehr mit realpolitischen Mitteln zu helfen weiß. Und das funktioniert vermutlich auch nur im kleinen Rahmen, in einer Community...

Verena Kuni: Letzteres ist richtig - Mikroökonomien haben einen relativen engen Radius. Aber das Ganze findet nicht "im Schatten der Wirklichkeit" statt. Es ist eine Form der Realpolitik, die - mal frei nach Brecht - für jene "im Dunkeln", die man nicht sieht bzw. sehen will, eine Selbstermächtigung bedeutet. Und das läuft dort, wo dieses Prinzip erprobt wird, auch sehr gut. Darüber entsteht ein großes Gemeinschaftsgefühl, ein gut funktionierendes alternativ-ökonomisches Gemeinschafts-Tool. Das ist selbstgemacht von vorne bis hinten.

Ließen sich solche Modelle auch auf hiesige Gesellschaftsformen übertragen?

Verena Kuni: Die Verhältnisse in den USA sind schon noch etwas andere. Wir haben hierzulande nicht die gleichen Wirtschaftsstrukturen und auch nicht das gleiche Sozialwesen. Wir haben ein anderes politisches System. Aber man kann von diesen Modellen sicherlich lernen.

Wissen im Amateurbereich ein Wissen, das manchen Profi lässig in den Schatten stellt

Das Selbermachen lokalisiert sich hierzulande stark auf die Kultur- und Kreativszene, die sich in etwa auf rund eine Millionen Dienstleister beziffern lässt. Ist es nicht allzu zu sehr linke Romantik, wenn man bei dieser Größenordnung annimmt, dass das Selbermachen eine Gesellschaft revolutionieren könne?

Verena Kuni: Es geht um kleine Schritte. Und wie schon die amerikanische Künstlerin Lisa-Anne Auerbach ihrem gleichnamigen Manifest schrieb: "Don't Do It Yourself - Do It With Others!". Man kann man doch gar nicht alles selber machen und schon gar nicht alles gut. Das ist auch nicht Sinn und Zweck. Vielmehr geht es um positive Signale, um einen Gegenentwurf und um ein Gemeinschaftsgefühl durch das Selbermachen. Insgesamt muss man sich fragen: Was wollen und was können die Leute heute?

Wir haben heute mehr denn je im Amateurbereich ein Wissen, das manchen Profi lässig in den Schatten stellt. Durch das Selbermachen wachsen ein Fach- und ein Spezialwissen, die gesamtgesellschaftlich von hohem Wert und Nutzen sind. Zumal der Zugang zu institutionalisiertem Wissen limitiert wird, damit es als Marktwert gehandelt werden kann. Umso wertvoller sind daher die Commons, ein offenes Wissen, offene Werkzeuge...

Indem aber vieles selber gemacht wird, lassen sich auch Arbeitsfelder nicht mehr klar umranden. Einerseits steigen die Eigenverantwortung und die Spezifizierung im Berufsleben, andererseits soll man alles selber machen können. Gefährdet das nicht auch ein Verständnis von Berufen und Berufsgruppen?

Verena Kuni: Sicher müssen sich es Fachleute mitunter auch gefallen lassen, dass ihnen Amateure, die auf einem alternativen Bildungsweg bzw. DIY entsprechendes Fachwissen erworben haben, auf die Finger schauen. Aber das gefährdet nicht automatisch den Status einer Fachausbildung. Es geht doch um die Frage: Was könnte bzw. kann man noch können? Also darum, dass man vielleicht noch mehr und anderes kann als das, wozu man mal ausgebildet worden ist.

Es geht darum, Neues auszuprobieren und zu lernen. Deshalb schlägt uns noch lange nicht "die Stunde der Stümper", vor der Andrew Keen mit Blick auf im Internet verbreitetes Halbwissen warnt. Klar ist aber sicher auch: Auf ein De-Skilling - nach dem Motto: alle können alles, nur leider nicht wirklich gut - sollte es nicht hinauslaufen. Nicht alles lässt sich über eine Amateur-Kultur abdecken.

Die kritische Masse

Das Selbermachen wurde vielfach als neuer Weg im Kapitalismus bezeichnet, indem man den Kapitalismus nicht mehr per se kritisiert, sondern nach neuen, sozialen und gerechten Wegen im Kapitalismus sucht. Erleben wir gerade einen Paradigmenwechsel im Zuge des Selbermachens?

Verena Kuni: Vermutlich ja, es geht um neue und auch langfristige realpolitische Wege, damit Nachhaltigkeit gesichert und um ein neues Bewusstsein gestärkt wird. Wichtig ist heute, dass die Leute wieder an Prozessen beteiligt sind. Do It Yourself ist eine Chance, weil man aus Erfahrungen der anderen über das Zusammenmachen lernt.

Transparenz ist dabei enorm wichtig. Denn warum spenden die Leute beispielsweise so ungern auf Konten? Weil sie nicht genau wissen, wo es ankommt. Wichtig ist, wenn ich etwas rein gebe, dass ich weiß, was dabei herauskommt. Dafür steht das Selbermachen.

Das Do It Yourself-Prinzip wurde vor allem durch die links-subversive Punk/Hardcore-Szene in den 1980er Jahren populär und stand für eine Verweigerung vor den Marktmechanismen der Großkonzerne. Kann man sich diesen Marktmechanismen aber überhaupt entziehen? Inwiefern greifen Großkonzerne den Gedanken individuell angefertigter Produkte wieder auf und produzieren anschließend in Serie?

Verena Kuni: Zunächst einmal ist keine Gegenkultur frei von ökonomischen Zwängen. Jede Subversion muss sogar ihr Marketing und ihren Markt entwickeln, wenn sie langfristig erfolgreich sein will, das haben die amerikanischen Soziologen Heath und Potter in Nation of Rebels sehr schön beschrieben. Zum zweiten Punkt: Warum sollen gute Produkte, ein kluges Design nicht von mehr Leuten benutzt werden dürfen? Darin kann man ja einmal etwas Positives sehen.

Die Frage ist doch eher: Zu welchen Konditionen passiert das dann? Wer verdient, wer trägt die Kosten? Wichtig sind gute Ideen, die auch anderen etwas bringen. Wenn es um eine Do It Yourself-Revolution gehen soll, braucht man sicher eine Art Grundvertrauen, dass es eine kritische Masse gibt, die bewusst anders leben und handeln will.

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