Wenn postmoderne Bildungskompetenz verordnet wird

Die FernUni Hagen macht die klassischen Geisteswissenschaften nun endgültig zugunsten neuer Medienfächer dicht

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Wie bereits berichtet (Was macht die FernUniversität Hagen?), hat Ministerin Behler auf gutes Zureden des Expertenrats die Schließung des allergrößten Teils des Fachbereichs Erziehung-, Sozial- und Geisteswissenschaften beschlossen. Die entscheidende Rechtsverordnung (Die PDF-Datei ist 1MB groß) ist am 01.06.2001 in Kraft getreten. Erst in der Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung am 7. Mai teilte das Ministerium mit, dass verschiedene Studiengänge der Fernuni Hagen zum 01. 10. 2007 eingestellt werden sollen. Wie der FDP-Vorsitzende Möllemann mitteilte, gäbe es zumindest für Teilzeitstudenten Planungssicherheit, wenngleich die FDP die Einschätzung teile, dass das bisherige Angebot erhalten bleiben solle. Dies schrieb er in einer Antwort auf eine Email(!) eines besorgten Fernunistudenten.

Interessenten müssen sich sputen: "Für die Magisterhaupt- und nebenfachstudiengänge Geschichte, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Philosophie, den Magisterhauptfachstudiengang Soziale Verhaltenswissenschaft und den Magisternebenfachstudiengang Psychologie können sich demnach Studierende zum Sommersemester 2002 zum letzten Mal einschreiben. Alle bis zum Stichtag immatrikulierte Studierende erhalten die Möglichkeit, ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit zuzüglich zwei Semestern fortzusetzen", heißt es auf der Website der FernUni.

Damit folgt das Ministerium den Anregungen der Hagener Universität und verlängert die endgültige Frist bis zum 01.10.2008. Ein Schelm, wer dabei an ein Entgegenkommen denkt. Die Uni wird einige Jahre brauchen, um neue "marktorientierte" Studiengänge zu backen. Aus den ehemaligen Fachbereichen sollen die Dozenten für die zukünftigen kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächer kommen. Inhaltliches soll sich alles um die Medienkompetenz der zukünftigen Generationen drehen. Medien mit Pädagogik oder Medien mit kulturwissenschaftlichem Schwerpunkt werden wohl die brandneuen Schläuche heißen. Sicherlich werden die Schlagwörter Netzwerk, Kollaboration und Echtzeit nicht fehlen, wenn es in zwei Jahren an die Vorstellung der neuen Studiengänge geht. Wohlwissend, dass man sie im Jahr 2008 nicht mehr benutzen wird, ohne ein Lächeln auf die Lippen der Zuhörer zu zaubern. So wie heutzutage beim ehemaligen Innovativkracher CB-Funk.

Inwiefern innerhalb dieser hypermodernen Maskierung der Qualitätspakt - also das Einsparen von Universitätsressourcen - überhaupt realisiert werden kann, bleibt ungewiß. Erhält die Fernuniversität doch 10 Millionen Mark Fördermittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wofür? Mit der Bewilligung von bislang insgesamt über 10 Millionen DM Fördermitteln unterstreicht das Bundesministerium für Bildung und Forschung diese herausragende Position der Hochschule im Bereich Multimedia, heißt es in einer Pressemitteilung der Hagener. Unter dem Motto: "Neue Medien in der Bildung" werden bundesweit Gelder verteilt, um "der herausragenden bildungs- und wirtschaftspolitischen Bedeutung Rechnung zu tragen, die der breiten Nutzung von elektronischen Medien in der Lehre zukommen wird".

Mathematische Lernbaukästen, simulierte Experimente in den Naturwissenschaften, multimediale Lernsoftware für die Ingenieursausbildung und viele weitere technophile Anwendungen der New Media-Lösungen werden fokussiert. Bei all der Manie um technische Hilfsmittel und Medialisierung von Inhalten scheint der Blick auf den Inhalt (neudeutsch: Content) etwas verstellt. Jeder hat schon einmal eine Bedienungsanleitung eines technischen Dokumentars lesen müssen und weiß wie hoch die kommunikative Kompetenz von Menschen ist, die viel technisches Know-How haben. Die sprichwörtliche Eleganz der Menüführung eines Siemens-Mobiltelefons hat dem Konzern zu Weltruhm verholfen, möchte man spötteln. Warum also sollte man Kompetenz in der Erstellung von Texten vermitteln, wenn man doch tolle digitale Assistenten bauen will? Wer erinnert sich nicht an die preisgekrönte Website von boo.com, die kein Mensch bedienen konnte?

Wenn man die Projektabstracts liest, scheint die problematische Seite des Interface Mensch-Maschine nur die Maschine zu sein. Das Verständnis des Menschen, vor allem das Wissen über seine Art zu verstehen, scheint marginal zu sein. Informatiker haben doch mit den Biologen zusammen Neuronale Netze gebaut. Die funktionieren genau so, wie die Biologen den menschlichen Lernvorgang verstehen. Sie sind klasse, aber in der Performance und Genaugkeit nicht selten den regelbasierten Systemen unterlegen. Soll multimediale Lernsoftware der Todesstoß für die personalintensiven Lehrapparate werden. Repetitive Lehreinheiten werden ab 2010 nur noch virtuell mit Software realisiert? Soll der Mut zur Lücke, der in Neuronalen Netzen materiell geworden ist, nun virtuell ausgemerzt werden? Ist die Abschaffung des alten Dienstrechts nicht der Beginn einer demokratischen Universitätslandschaft sondern der Einzug der digitalen Gladiatoren in den Hörsaal? Überhaupt Hörsaal - ist das Fernziel ein Studium, das zu achtzig Prozent im virtuellen vernetzten Raum stattfindet, zuhause in der guten Stube?

Verständlich, warum der Lehrstuhl von Professor Mandl an der LMU München nicht die zehn Millionen bekam. Dort ist man der Ansicht (Lernen in Computernetzen, dass weniger die technologische Frage ein Problem beim Lernen in virtuellen Netzen ist als vielmehr die Transferleistung. Wie erarbeitet sich ein Student in virtuellen Teams ein unbekanntes Thema unter Anwendung der neuen Medien. Warum sollte man denn auch, wenn man kluge Software hat, noch selbst klug werden? Es reicht doch, wenn man die Applikationen bedienen kann. Wie man sich selbst bedient, ist sowieso schon ein Affront gegen die postmodernen Futuristen des Machbaren.

Außerdem hat Miniterpräsident Clement ja schon im Ethikbereich eine forsche Gangart eingelegt, warum sollte man sich dann bei der Bildung noch mit rückwärtsgewandten Fisimatenten aufhalten. Da mahnte doch Prof. Röttgers ein Philosophieprofessor der FernUni Hagen angesichts der "Veränderungen" an seiner Uni, dass es mit den neuen Bachelor/Master-Studiengängen eine fragwürdige Entwicklung zum "Studium light" geben könnte. Schwere Kaliber aus der Philosophiegeschichte sind natürlich nicht im Vorbeigehen zu meistern, ob eine Modernisierung von Studiengängen noch großen Themen angemessen ist, wer weiß? Im Rahmen des allgegenwärtigen Lobgesangs auf Netzwerke scheint die Dezentralisierung zum Nonplusultra zu gedeihen. Dabei kann man natürlich gerne auf zentrale Themen der Weltgeschichte verzichten. Wir haben ja Internet!