Wenn schon nicht Massenmörder, dann wenigstens Terrorist

Bundesanwaltschaft schwenkt im Mzoudi-Prozess scheinbar um: Statt Verurteilung als Massenmörder fordert sie Bestrafung als Terrorist

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Im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof gegen Abdelghani Mzoudi sieht die Bundesanwaltschaft (BAW) offenbar ihre Felle davon schwimmen, dass der Angeklagte wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt wird, und fordert daher Haftstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a StGB). Diese Wende erstaunt, da Bundesanwalt Walter Hemberger und seine Kollegen seit Oktober 2003 fast trotzig an seiner Theorie festhalten, dass die Anschläge in Hamburg geplant wurden und Mzoudi in das Vorhaben eingeweiht gewesen sei (Doch keine Hamburger Terrorzelle!) Der BGH beriet am vergangenen Mittwoch über das Mzoudi-Verfahren, die Entscheidung soll am 31. Mai 2005 bekannt gegeben werden.

Der Marokkaner Abdelghani Mzoudi studierte an der Technischen Universität Harburg und war mit Mohammed Atta, Marwan Al Shehhi, Ramzi Binalshib, Sahid Bahaji sowie Mounir El Motassadeq befreundet. Nach den Attentaten vom 11. September 2001 gerieten er und Motassadeq ins Visier der US-Fahnder. Da die ermittelnden US-Behörden davon ausgingen, dass Atta und Al Shehhi jeweils eines der Todesflugzeuge steuerten, nahmen sie deren näheres Umfeld in Augenschein. Binalshibh bezeichnete sich in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira selbst als einer der Drahtzieher der Anschläge. Er wurde im September 2002 von US-Geheimdiensten verhaftet und wird seitdem an einem geheimen Ort gefangen gehalten und dort verhört (Neues von Binalshibh). Nach Bahaji wird weltweit gefahndet,

Motassadeq und Mzoudi wurden verhaftet und in Hamburg wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht gestellt. Ihnen wurde zum Verhängnis, mit Atta befreundet gewesen zu sein, teilweise mit ihm zusammen gelebt und dessen Testament 1996 unterzeichnet zu haben. Außerdem waren beide zur Ausbildung in einem Al-Qaida Camp in Afghanistan. Für die Bundesanwaltschaft war dies ein klarer Beleg dafür, dass Motassadeq und Mzoudi in die Attentatspläne eingeweiht waren. Laut Theorie der BAW wurden die Terroranschläge in Hamburg von Atta und Co geplant und in Afghanistan bei Osama Bin Laden um Unterstützung geworben. Die Bundesanwälte waren indes die einzigen, die an dieser Theorie festhielten, alle anderen, inklusive CIA und FBI, gehen davon aus, dass die Terroranschläge in Afghanistan geplant und Atta und seine Leute für die Durchführung angeheuert wurden.

Im ersten Prozess gegen Motassadeq - dem weltweit ersten Prozess im Zusammenhang mit dem 11. September - der am 21. Oktober 2002 begann, folgte das Gericht dieser Argumentation und verurteilte den Angeklagten am 19. Februar 2003 zur Höchststrafe. Dessen Anwälte legten Revision dagegen ein, der BGH entschied darauf hin am 4. März 2004, das Urteil aufzuheben und an eine andere Kammer des Hamburger Oberlandesgerichts (OLG) zu verweisen (Grenzen der Wahrheitsfindung).

Unterdessen begann am 14. August 2003, ebenfalls vor dem Hamburger OLG, der Prozess gegen Mzoudi. Er wurde am 16. Dezember 2003 überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen, nachdem das Gericht ein Fax des US-Justizministeriums erhalten hatte, demzufolge Binalshibh ausgesagt habe, Motassadeq und Mzoudi seien nicht in die Pläne eingeweiht gewesen. Die Freilassung wurde als Indiz für einen Freispruch gesehen, der am 5. Februar 2004 erfolgte. Allerdings gab der Vorsitzende Richter Klaus Rühle dem Angeklagten mit auf den Weg, der Freispruch sei ein Anlass zur Erleichterung, ein Grund zum Jubeln sei er nicht. Das Gericht sei nicht von Mzoudis Unschuld überzeugt, sondern es sei nicht gelungen, die Schuld zweifelsfrei nachzuweisen (An die Grenzen der Wahrheitsfindung gestoßen).

Wie nicht anders zu erwarten legte die Bundesanwaltschaft Revision gegen dieses Urteil ein. Darüber verhandelte der Bundesgerichtshof am vergangenen Donnerstag. Presseberichten zufolge hat allerdings die Bundesanwaltschaft inzwischen ihre Strategie geändert und fordert nicht mehr die Verurteilung wegen Beihilfe zum Massenmord, sondern wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Vermutlich rechnet die Bundesanwaltschaft sich so größere Chancen aus, dass Mzoudi doch noch zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Der BGH will seine Entscheidung am 31. Mai 2005 bekannt geben.