Wer das freie Internet gegen Staat und Konzerne verteidigt

Seite 2: Open Search Foundation: "Diese quasimonopolistische Struktur ist extrem gefährlich"

Im schönen Starnberg sitzt der von Stefan Voigt gegründete und geleitete Verein Open Search Foundation. Der Verein ist Teil der Gemeinschaftsinitiative Open Web Search. Ausgestattet mit EU-Fördergeldern, will die schaffen, woran bisher alle anderen gescheitert sind: endlich den von Google dominierten Suchmaschinenmarkt knacken.

Stefan Mey: Anders als viele Aktive digitaler Communitys tragen Sie keinen Kapuzenpullover und gehen sicher eher selten in Hacker Spaces. Was ist Ihr Hintergrund?

Stefan Voigt: Wir sind keine Hacker, niemand von uns ist beim Chaos Computer Club. Wir kommen alle aus der Großforschung, aus Universitäten, Rechenzentren und der klassischen Zivilgesellschaft. Wir sind einfach Europäer, die überzeugt sind, dass sie etwas tun müssen.

Stefan Mey: Welches Problem wollen Sie lösen? Und wie?

Stefan Voigt: Der Suchmarkt wird zu 90 Prozent von Google dominiert. Diese quasimonopolistische Struktur ist extrem gefährlich. Wir verlegen zunehmend unser wirtschaftliches, gesellschaftliches, wissenschaftliches und privates Leben in den digitalen Raum. Wer diesen strukturiert, hat die Deutungshoheit und damit sehr viel Macht.

Wir als Gesellschaft müssen diesen Markt öffnen. Unser Ansatz ist, dass wir den Such-Index von der Suchmaschine trennen. Dafür schalten wir öffentliche Rechenzentren und Wissenschaftszentren zusammen, die gemeinsam ein großes Verzeichnis möglichst aller Inhalte im Web aufbauen. Das ist keine leichte Aufgabe. Das Web ist verdammt groß.

Stefan Mey: Wie wird aus diesem Verzeichnis von Inhalten dann eine Suchmaschine?

Stefan Voigt: Wenn der Index da ist, werden wir als Community selbst auch Such-Prototypen zur Demonstration der Möglichkeiten bauen. Die Grundidee ist aber, anderen nichtkommerziellen und kommerziellen Ideen den Markt zu überlassen und mehr Vielfalt im Suchmaschinen-Geschäft zu ermöglichen.

Dabei mag es dann ganz verschiedene Geschäftsmodelle geben: solche, die etwas Geld für die Services nehmen; andere, die ihr Angebot mit Werbung finanzieren. Solche, die auf maximale Transparenz ihrer Algorithmen setzen, oder auch Suchmaschinen, die gar nichts über den Endkunden "wissen": Der Index liefert z. B. 1.000 Suchantworten. Das Filtern auf die zehn besten Ergebnisse geschieht dann auf dem eigenen Rechner, nach Kriterien, die man selbst bestimmt.

Stefan Mey: Das Projekt Openwebsearch.eu hat 8,5 Millionen Euro aus dem Topf Next Generation Internet der EU erhalten. Was passiert mit dem Geld?

Stefan Voigt: Wir werden drei Jahre lang mit fünf Rechenzentren, verschiedenen Universitäten, Firmen und NGOs einen Prototyp für einen offenen Webindex bauen. Dann skalieren wir und schauen: Wie kann Europa eine solche offene, verteilte Suche auf Dauer operativ betreiben? Die 8,5 Millionen Euro sind Kosten für Personal und Rechenleistung. Außerdem geht auch Geld an Drittpartner, die Komponenten liefern und testen.

Stefan Mey: Wie wird das europäische Projekt am Ende organisiert sein?

Stefan Voigt: Das ist noch offen, vielleicht über einen gemeinnützigen Verein oder eine Stiftung. Auch an den Nutzungsregeln und am Algorithmus für den Index arbeiten wir noch. Alles soll transparent und partizipativ entstehen. Klar ist, dass die beteiligten Rechenzentren das nicht auf Dauer pro bono machen können.

Vielleicht werden 10.000 Zugriffe auf den Index pro Tag frei sein. Wer dann mehr will, zahlt ein paar Millicents pro Abfrage. Die Grundfinanzierung muss allerdings von den europäischen Mitgliedsstaaten kommen – ein Such-Index als öffentliche Infrastruktur und Element der Daseinsvorsorge in Europa.

Der Kampf um das Internet – Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Internet-Giganten herausfordern
236 S. C. H. Beck, 2023, 18 Euro
ISBN 978-3-406-80722-0

Die vorliegenden Texte stammen aus dem Buch "Der Kampf um das Internet - Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Tech-Giganten herausfordern" (C. H. Beck, 2023) von IT-Investigativjournalist Stefan Mey ("Darknet", 2017). Darin entwirft der Autor eine "Typologie der Digitalen Gegenwelt", die die Errungenschaften der Informationstechnologie gegen staatliche sowie privatwirtschaftliche Angriffe verteidigt und dem kommerziellen Softwareangebot der digitalen Großkonzerne eine gemeinfreie Alternative entgegensetzt.

Neben Kurzporträts einzelner Initiativen und Anwendungen sowie einem Anhang, der Interviews mit bedeutenden Protagonisten der "Commons"-Szene enthält, liefert Meys Buch zugleich einen Einblick in die Organisationsstrukturen, die Herausforderungen und die soziale Dynamik innerhalb der non-kommerziellen, meist ehrenamtlichen Projekte der digitalen Zivilgesellschaft.