Wer hat Angst vor der Cyber-Polizei?

Frankreich, Deutschland und die USA wollen Anonymität und Rechtsunsicherheit im Internet aufheben, die internationale Wirtschaft sie weitgehend erhalten -aber nur weil es momentan ihren Interessen nutzt

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Knapp 33 Milliarden Mark Schäden verursachte das E-Mail-Virus "I love you". Das schätzten die USA im Vorfeld der Pariser G-8 Konferenz über Internetkriminalität am 15. März. Ideale Voraussetzungen also, ein langgehegtes Ziel durchzusetzen: Kriminalisierung der Anonymität im Netz.

Frankreichs Ministerpräsident Lionel Jospin sprach zur Einstimmung vom Kampf gegen "Exzesse einer unkontrollierten Freiheit", US-Generalstaatsanwältin Janet Reno hatte schon Anfang März einen Bericht der Arbeitsgruppe "Internetkriminalität" präsentiert, der Anonymität als Hauptgefahr ausmacht.

Im Vorfeld der G-8-Konferenz meinte der Schleswig-Holsteinische Datenschutzbeauftragte Helmut Bäumler, hier werde "die Diskussion um den ILOVEYOU-Virus missbraucht, um die Anonymität zu diskriminieren". Schon seit Monaten fahren vor allem Deutschland, die USA und Frankreich einen harten Kurs in Sachen Internet.

Ende Februar stellte Leo Schuster, Direktor des Bundeskriminalamtes (BKA) eine Studie der Strategische Kriminalitätsanalyse (SKA) vor. Die Rechtssituation im Netzt sei "gekennzeichnet durch das Spannungsverhältnis zwischen weltweiter, weitgehend unkontrollierter Datenübertragung" und "unterschiedlicher oder fehlender nationaler Gesetzgebung sowie langwierigen Rechtshilfeabläufen. Reglementierungen gestalten sich schwierig, da es zum einen um die Inanspruchnahme von Privaten und zum anderen um die Beachtung datenschutzrechtlicher Belange geht." Die Empfehlung des BKA: "Reduzierung der Anonymität".

Deutschland hofft hierbei wie Frankreich auf den Europarat. Ende April legte das Gremium, dem 41 Staaten angehören, einen ersten Entwurf einer Konvention gegen Verbrechen im Internet vor. Das frühestens im Herbst kommenden Jahres unterschriftsreife Papier soll kriminelle Handlungen wie Verstöße gegen Urheberrechtsabkommen und Handel mit Kinderpornographie definieren, die im Rahmen der Konvention per Rechtshilfeabkommen verfolgt werden. Hierzu sollen Provider per Gesetz verpflichtet werden, Daten über ablaufende Kommunikation zu sammeln und den Behörden zur Verfügung zu stellen - genauer wird das Dokument nicht.

Die Konvention des Europarats zielt darauf ab, dass Staaten wie USA, Kanada, Japan und Südafrika ihr ebenfalls beitreten. Die USA haben jedoch ganz anderes im Sinn. Die Vorschläge des Expertengremiums des Präsidenten - ihm gehören neben FBI Direktor Louis Freeh auch Vertreter von Militär, Drug Enforcement Agency und Secret Service an - laufen darauf hinaus, dass alle Protokolldaten über Datentransfers ohne Gerichtsbeschluss individualisiert gespeichert werden können. Barry Steinhardt, stellvertretender Direktor der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU kommentierte die Vorschläge so: "Wenn unsere Regierung wirklich Internetkriminalität bekämpfe will, sollte sie sichere Netzwerke und Verschlüsselungstechniken zulassen, statt Bürgerechte abzuschaffen." Dieses Modell wollten die USA bei der G-8-Konferenz internationalisieren. Ihr Vorschlag: eine weltweit agierenden Fahndungsbehörde, so etwas wie die Cyber-Polizei.

Der Vorschlag ist gescheitert. Frankreichs Innenminister Jean-Pierre Chevenement betonte schon am ersten Tag der G-8-Konferenz, eine Polizei, die die "Grenzen der einzelnen Staaten und ihre souveräne Kompetenzen überschreitet, ist ausgeschlossen." Das sagte er nicht etwa aus Bürgerrechtsbedenken. Die Strategie Frankreichs und Deutschlands, über den Europarat eine Plattform gegen Internetkriminalität zu schaffen, zielt vor allem darauf ab, nationale Interessen zu wahren. Und das insbesondere gegenüber den USA. "Die amerikanischen Polizei- und Justizstellen möchten gerne superschnelle Reaktionskräfte während wir Europäer lieber die gewohnten legalen Wege beibehalten", erzählte ein französischer Diplomat der dpa. Die Betonung liegt auf europäisch. Denn bei einer Behörde auf Basis des Europarats hätten die USA deutlich weniger Einfluss - angesichts wechselseitiger Vorwürfe der Wirtschaftsspionage ein angenehmer Nebeneffekt für die darin zu vereinigten EU-Staaten.

Dass die G-8-Konferenz ohne konkrete Ergebnisse blieb, ist aber vor allem den Industrievertretern zu verdanken. Sie stellten die Hälfte der 300 Teilnehmer. Sowohl die "Internet Alliance" (AOL, MCI WolrdCom, Deutsche Telekom, Microsoft) als auch das Global Internet Project" (Deutsche Bank, Fujitsu, Sony) lehnten es ab, zum "Hilfspolizisten" zu werden. Ja, man warnte gar vor neuen staatlichen Regulierungen. David Aucsmith vom US-Unternehmen Intel meinte gönnerhaft: "Wir können Computerschulungen für die Polizei organisieren. Regierungen sollten nicht die Letzten sein, die sich mit neuen Technologien befassen". Das von Fall zu Fall neu auszuhandelnde Kooperationsangebot der Internetfirmen schwankt wie eine Karotte vor der Nase der Staaten. Denn in der Tat haben Behörden in der Regel weniger Erfahrung mit der Technik als Internetfirmen. Und vor allem dauert es lange, sich per Gerichtsweg Zugriff auf deren Datenmaterial zu verschaffen. Das macht die Karotte sehr lecker. Andererseits wird man sie - geht es nach den Interessen der Wirtschaft - nie wirklich zu schnappen kriegen. Denn freiwillige Kooperation bedeutet, dass immer noch die Unternehmen unterscheiden, wann sie kooperieren.

Und das ist ihnen wichtig. Denn Anonymität ist entscheidend für die meisten E-Commerce Geschäfte. Das hört bei Pornographie auf und beginnt bei Auktionen auf den Seiten des US-Internetportals Yahoo.com. Dort können User Neonazi-Objekte ersteigern. In den USA ist das legal. In Frankreich nicht. Nur bekommen französische Behörden nicht mit, wer aus Frankreich etwas auf den amerikanischen Seiten von Yahoo.com ersteigert. Und so läuft in Paris ein Prozess gegen Yahoo. Staatsanwalt Pierre Delange sieht zuversichtlich aufs Prozessende am 22. Mai: "Direkt oder indirekt ist diese Firma auf unserem Boden aktiv". Yahoo-Anwalt Cristophe Pecnard bemüht hingegen das viel benutzte Argument von E-Commerce Anbietern: "Was uns hier vorgeworfen wird, ist in den USA nicht strafbar. Muss Yahoo tatsächlich dafür sorgen, dass seine Site gegen kein Gesetz der Welt verstößt?"

Der von Staaten wie Frankreich, Deutschland und den USA angestrebten einheitliche Rechts- Exekutiv- und Kontrollplattform stehen also die Interessen von E-Commerce Firmen entgegen. Nur sind die nicht mit den hehren Zielen von Organisationen wie der ACLU zu vergleichen. So müssen ausländische Online-Dienste nicht deutsches Datenschutzrecht beachten, wenn sie Daten über ihre deutschen Kunden allein außerhalb Europas sammeln, speichern und an Dritte verkaufen.

Die weltweit größte Online-Marketingagentur DoubleClick kündigte Ende Januar den Aufbau einer nutzungs- und personenbezogenen Datenbank über Konsumenten an. Laut deutschen Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) ist das illegal. In den USA, wo die DoubleClick- Zentrale sitzt, aber nicht. Inzwischen hat das Unternehmen nach massiven Protesten in den USA doch Abstand von dem Projekt genommen. Die Vorteile von Anonymität und unterschiedlichen Gesetzen überwiegen für E-Commerce Unternehmen momentan die Nachteile. Bei Urheberrechtsverletzungen haben sie Geld und Anwälte, ihre Rechte einzuklagen. In Deutschland reichen die Sanktionsmöglichkeiten von anwaltlicher Abmahnung, über einstweilige Verfügung bis hin zum Schadensersatzprozess.

Mit den Idealen von Internet-Aktivisten wie ACLU hat das wenig zu tun. In einem Positionspapier der "Internet Alliance" zum G-8-Gipfel heißt es, man solle statt neue Gesetze zu verabschieden lieber die bereits vorliegenden stärker einsetzen. Wie man das tut, hat DoubleClick ja bereits gezeigt.