"Wer wird die Zukunft kontrollieren?"

Frankreich: Science Fiction Autoren appellieren gegen die Netzkontrolle durch das neue Internetgesetz

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Roland C. Wagner, Science Fiction-Autor aus Frankreich, sagt von sich selbst, dass er einer der typischen Einzelgänger der Szene sei, die weder Anführer noch Mitläufer sein wollen, und dass ihm deswegen das unmittelbare politische Engagement fremd sei.

Science-Fiction-Autoren, sagt er, sind nun einmal Eigenbrötler, und auch er sei zwar ein politischer Mensch, habe aber bisher völlig von Aufrufen, Pamphleten und öffentlichen politischen Verlautbarungen abseits seiner Werke abgesehen. Das hat sich erst geändert, als ihm wegen eines neuen Gesetzesvorhabens die Galle überging. Das "loi Création et Internet" oder der synonym gebrauchte Begriff "loi Hadopi", der eigentlich eine neue Behörde meint, die mit diesem Gesetz geschaffen werden soll ("Haute Autorité pour la Diffusion des Oeuvres et la Protection des Droits sur Internet"), wird von seinen Unterstützern als Maßnahme zum Schutz des geistigen Eigentums begriffen.

Das Gesetzesvorhaben sieht die Neuschaffung der besagten "unabhängigen" Behörde vor, die nahezu ausschließlich mit der Verwarnung und Bestrafung von Internet-Urheberrechtssündern befasst wäre, und zwar nach folgendem Eskalationsmuster: Verwarnung per E-Mail, Verwarnung per Einschreibebrief, dauerhafte Abtrennung der Internetverbindung. Eine Sache, die man durchaus als eine französische Variante der "three strikes"-Gesetzgebung in verschiedenen Staaten der USA beschreiben könnte. In der Praxis würde das wohl so aussehen, dass die Internetprovider Listen von verdächtigen Internetusern vorlegen würden - und zwar auf der Basis von IP-Nummern, die die Hadopi-Offiziellen nur noch abnicken könnten - schon allein wegen der erwarteten Menge an Verdächtigen.

Interessant ist, dass bei diesem Prozess kein Richter ins Spiel käme, so dass es sich in Wirklichkeit um eine Form der Rechtsprechung durch private Unternehmen handeln würde, mit einer "unabhängigen" aber systematisch überlasteten Behörde als öffentlicher Erfüllungsgehilfin. Laut Wagner geht es bei der ganzen Sache sowieso nicht um den Schutz der Rechte von Kultururhebern, er riecht hier einen ganz anderen Braten. Für ihn ist die geplante Gesetzgebung ein aus der Angst geborener Plan, der die Partikularinteressen von Urheberrechtsverwertern sichern soll, auf Kosten der allgemeinen Netzfreiheit.

Alte Wahrnehmung von den Science-Fiction-Autoren als den Mahnern und Kündern

Er und seine Kollegen vermuten in ihrer Anti-Hadopi-Resolution ("Qui contrôlera le futur?") darüber hinaus, dass vor allem die vorgeschlagenen Sanktionen bis hin zum Netzausschluss ein ideales Tool zur Kontrolle darüber abgeben könnten, wer wann was im Internet tut - oder eben nicht. Sie schreiben:

Die Künstler, die Kulturschaffenden, all die Akteure der Kultur, ohne die dieses Wort sinnleer wäre, sehen sich instrumentalisiert von einem Gesetz, das wohlgemerkt Maßnahmen vorsieht wie Netzfilter, die Installation von Spitzelprogrammen auf den Rechnern einzelner Teilnehmer, die Kappung der Internetverbindung ohne Eingriff eines Richters, auf Basis der Erfassung von IP-Nummern (...) - das alles unter Federführung privater Unternehmen und in Ausweitung von Instrumenten, die ursprünglich der Polizei im Kampf gegen den Terrorismus dienen sollten (…)

Der Resolutionstext macht keine halben Sachen. Er stimmt einen hohen, fast prätentiösen Ton an, beginnt schon mit einer Redewendung ("Nous, le peuple de la SF …"), die an die US-Verfassung erinnert - wenn er das mit einem Augenzwinkern tut, dann wird das in seinem weiteren Verlauf nicht unbedingt sichtbar. Allons, enfants de la Patrie - es ist davon die Rede, dass sich die Unterzeichnenden "erheben" gegen das kritisierte Gesetzesvorhaben, ein fast revolutionäres Pathos schwingt da mit. Es muss auch erstaunen, dass der Aufruf etwas tut, was in der Szene in den letzten Jahren fast als unfein galt: nämlich der SF-Szene eine besondere Zukunftskompetenz zu attestieren.

Er belebt die alte Wahrnehmung von den Science-Fiction-Autoren als den Mahnern und Kündern, die die kommenden Zustände klarer im Blick haben als die anderen. Ein prekärer Standpunkt, der zum Beispiel übersieht, dass kein SF-Autor das Internet (resp. das Web) vorausgesehen hat. Die Resolution kommt zudem reichlich spät, denn das Gesetzesvorhaben ist bereits weit fortgeschritten (nach der überraschenden Ablehnung im unterbesetzten Parlament Anfang April kommt es diese Woche erneut zu einer Abstimmung vor dem Plenum der Nationalversammlung; die Mehrheitsverhältnisse lassen vermuten, dass sich die Überraschung nicht wiederholen wird, Anm. d.Red). .

Das Kidnapping der Urheber durch die Verwertungsindustrie

Aber der Appell der SF-Autoren denunziert zu Recht das Kidnapping der Urheber durch die Verwertungsindustrie, die sich nach Lust und Laune Gesetze zu ihrem Vorteil zusammenzimmern lässt. Und die Relevanz des Textes wird noch deutlicher daran, dass das französische Hadopi-Gesetz Vorbild für neue Vorstöße dieser Art in ganz Europa werden könnte.

Und die Initiative von Wagner und seinen Kollegen gewinnt Prägnanz, wenn man sie zum Beispiel mit dem Heidelberger Appell vergleicht, einem nebulösen Schriftstück, das den Staat zur Wahrung von Urheberrechten by all means necessary auffordert, aber im Grunde nur klar macht, dass die Autoren und die Unterzeichner nicht zwischen Open Access im Zusammenhang mit Wissenschaftsliteratur, Google Books, YouTube, dem Raubkopieren von Belletristik und all dem anderen unterscheiden können, was sich irgendwie mit urheberrechtlichen Fragen in Verbindung bringen ließe (siehe dazu Geistiges Eigentum als Heidelberger Postkartenidylle)

Das wäre nicht weiter tragisch, wenn der Appell nicht von so vielen so prominenten Leuten unterschrieben worden wäre. Als der "zweite Korb" der Urheberrechtsnovelle absurde Rechteeinräumungen für Verlage (Stichwort "Unbekannte Nutzungsarten") einführte (vgl. Der Gerechtigkeit einen Korb geben) - übrigens gleichzeitig mit einer faktischen Abschaffung der elektronischen Bibliotheksfernleihe - da wartete man auf den Protest dieser Unterzeichner vergebens.

Der Aufruf "Qui contrôlera le futur?" hat seine Fehler, und nicht der geringste ist, dass auch er nicht die Probleme aus der Welt schaffen kann, die durch das Internet tatsächlich für Urheber entstehen. Immerhin warnt er vor konkreten Gefahren der Netzkontrolle à la Hadopi, und bringt indirekt noch einmal das Instrument der Kulturflatrate ins Spiel, bis heute auf weiter Flur der einzige konkrete Vorschlag, das Recht der Urheber auf Vergütung ihrer Arbeit mit dem Recht des Publikums auf Information zu versöhnen.

Auf jeden Fall sind Roland Wagner und seine Kollegen den wirklichen Interessen der Öffentlichkeit näher als Hadopi, der Heidelberger Appell und den untauglichen Netzblockaden mit denen hierzulande die Kinderpornographie eingedämmt werden soll. Hoffen wir, dass "Qui contrôlera le futur?" dereinst nicht als ein letzter zweckloser Versuch angesehen wird, die Freiheit des Netzes gegen Interessen der Urheberrechtsverwerter zu verteidigen.