Westliche Kriegsverbrechen in Afghanistan
Jagd auf Afghanen wurde von Elite-Soldaten als eine Art Sport sowie als Aufnahmeritual für Neuankömmlinge betrachtet
Der Skandal ist noch lange nicht zu Ende. Heute zeigt der Guardian das Foto eines australischen Soldaten, der angeblich aus der Beinprotese eines getöteten Taliban-Kämpfers in Afghanistan trinkt. Laut der britischen Zeitung gibt es eine ganze Reihe solcher Fotos, die dem Guardian vorliegen. Sie stammen aus einem Fundus von Kriegsaufnahmen, die australische Spezialkräfte beim "Amüsement" in der Fat Lady’s Arms-Bar der Militärbasis in Tarin Kowt, Urusgan, im Jahr 2009 anfertigten.
Was lange bekannt war, wurde nun auch endgültig von offizieller Seite bestätigt. Australische Elitesoldaten (SAS) haben in Afghanistan Kriegsverbrechen begangen und ermordeten zwischen den Jahren 2005 und 2016 mindestens 39 afghanische Zivilisten. Die Jagd auf Afghanen und ihre Tötung wurden von den Soldaten als eine Art Sport sowie als Aufnahmeritual für Neuankömmlinge betrachtet. Der dazu gehörende Bericht lässt sich an vielen Stellen wie ein Protokoll des Terrors lesen.
An vielen Stellen wird deutlich, dass afghanische Menschenleben in den Augen der Soldaten praktisch nichts wert seien. "Es passierte die ganze Zeit", hieß es seitens vieler Soldaten, die für den Bericht interviewt wurden. Die Untersuchung wurde bereits 2016 vom australischen Militär in Auftrag gegeben. Insgesamt wurden mehr als 400 Zeugen verhört und mindestens 55 Ermittlungen aufgenommen.
Aufgedeckt wurden die Verbrechen von Investigativjournalisten des Senders ABC, die aufgrund ihrer Recherchen zu Zielscheiben australischer Behörden wurden. Richtig gelesen. Der Fokus lag nicht auf mordenden Soldaten, sondern auf jenen Journalisten, die die Verbrechen ans Licht brachten.
Besonders unter Druck gerieten die Journalisten Dan Oakes und Sam Clark, die Kriegsverbrechen aufdeckten, die sich zwischen 2009 und 2013 ereignet haben sollen. Die australische Bundespolizei durchsuchte unter anderem Büros und beschlagnahmte Datenträger. Clark und Oakes reisten für ihre Recherchen nach Afghanistan, wo sie mit dem bekannten Lokaljournalisten Bilal Sarwary zusammenarbeiteten und Opfer der australischen Soldaten ausfindig machten.
Nach einer umfassenden Untersuchung musste das australische Militär in der vergangenen Woche vor laufenden Kameras der Welt eingestehen, dass Verbrechen begangen wurden. Hierbei handelt es sich tatsächlich um einen Meilenstein. Bis zum heutigen Tage hat nämlich kein westliches Militär, das sich am Afghanistan-Krieg beteiligt hat, derart Selbstkritik und Einsicht an den Tag gebracht.
Wenn etwa die FAZ von einem "Tag der Schande für Australien" schreibt, fragt man sich, wo derartige Schlagzeilen waren, als es um deutsche Kriegsverbrechen am Hindukusch ging. Zur Erinnerung: Diese gab es, und sie wurden bis heute nicht aufgearbeitet. Andernfalls wäre ein Oberst Georg Klein, der 2009 über 150 Zivilisten in Kunduz zu Tode bombardieren ließ, 2012 nicht zum General befördert worden. Andernfalls hätten sowohl Bundesregierung als auch Bundeswehr ganz klar von einem Kriegsverbrechen gesprochen, die Opfer sichtbar gemacht, sich bei ihnen entschuldigt und sie angemessen entschädigt, anstatt sie zu ignorieren und mundtot zu machen.
Für viele Beobachter, Journalisten und andere Kenner des Afghanistan-Krieges waren die jüngsten Enthüllungen allerdings keineswegs überraschend. In vielen afghanischen Dörfer kursieren bis heute die Geschichten von mordenden und folternden NATO-Soldaten. Die Betroffenen werden allerdings kaum gehört. Tatsächlich ist die Stimme solcher Afghanen erst etwas wert, nachdem sie von einem westlichen Akteur bestätigt wurden. Andernfalls gelten sie als "nicht glaubwürdig" oder "übertreibend".
"Wir schossen regelmäßig auf Menschen, deren Identität unklar war"
Die jüngsten Entwicklungen machen allerdings das Gegenteil deutlich. Auch Kriegsveteranen machen regelmäßig auf derartige Kriegsverbrechen aufmerksam. "Diese australischen Eliteeinheiten sind nur ein kleines Puzzlestück des Gesamtbildes, und dieses sieht düster aus. Wir schossen regelmäßig auf Menschen, deren Identität unklar war. Die Afghanen, die uns meiner Meinung nach zu Recht bekämpften, wurden von uns komplett entmenschlicht", meint etwa Ex-Soldat und Autor Erik Edstrom.
Im Sommer erschien Edstroms Buch "Un-American: A Soldier's Reckoning of Our Longest War", in dem er äußerst kritisch mit seinem eigenen Afghanistan-Einsatz sowie mit dem "War on Terror" im Allgemeinen umgeht. Edstrom fokussiert sich dabei nicht nur auf die massenhafte Tötung von Zivilisten, sondern versucht auch, die Radikalisierung der afghanischen Bevölkerung nachzuvollziehen.
"Wir haben den Krieg gestartet. Wir haben ihr Land angegriffen und besetzt. Wer weiß, wie ich da reagieren würde? Womöglich würde ich auch zu Waffen greifen", so Edstrom. Wie viele andere ist auch er der Meinung, dass es Jahre brauchen wird, bis alle westlichen Kriegsverbrechen in Afghanistan aufgedeckt worden sind.