Wettlauf zum Mars
Menschliche Saat in roter Erde?
Als die Sonde "Trace Gas Orbiter" (TGO) der Mission ExoMars am 19. Oktober in ein stabiles Orbit um den Mars eintrat, war trotz des ungewissen Verbleibs des Testmoduls "Schiaparelli" eines klar: Die Menschheit drängt es aus der Begrenztheit irdischen Daseins hinaus in die Weite des Alls, wobei ihr nachhaltiges Ausgreifen nach dem roten Planeten, wohl die erste Etappe auf dem Weg in eine interplanetare Zukunft des homo sapiens wäre.
Die von ESA und Roskosmos bestrittene Mission zur Erforschung des Mars stellt dabei nur den jüngsten von zahlreichen Versuchen dar, die menschliche Wirksphäre über die Grenzen der Erde hin auszudehnen. ExoMars reiht sich dabei in eine immer länger werdende Liste von Unternehmungen ein, welche zuerst nur mit künstlichen Vorkämpfern den ersten menschlichen Schritt auf den planetaren Bruder der Erde technologisch und diskursiv vorbereiten.
Seit dem Beginn der Raumfahrt Mitte des vergangenen Jahrhunderts sind die Vorstöße des Menschen aus dem Schwerefeld seines Heimatplaneten immer weitreichender, dauerhafter und umfassender geworden. So waren die ersten Raumfahrtprogramme ein strategisches Mittel des Systemwettstreits zwischen USA und UdSSR und erfreuten sich dementsprechend umfangreicher ökonomischer und politischer Zuwendung.
Mit dem ersten Satelliten, Sputnik (1957), und dem ersten Menschen, Juri Gagarin (1961), im Erdorbit hatte der russische Vorstoß in den Kosmos frühe Erfolge. Doch durch die ersten Bilder vom roten Planeten durch die Sonde Mariner 4 (1965) und besonders die Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldwin (1969) konnte der amerikanische Wirkungsbereich ebenfalls entscheidend ins All ausgeweitet werden.
Die russischen Raumstationen des Saljut-Programms (1971-1991) und die MIR (1986-2001) sowie das amerikanische Spaceshuttle-Programm (1981-2011) tradierten im weiteren Verlauf die menschliche Präsenz im All (wenn auch nur in einem Orbit wenige hundert Kilometer von der Erde entfernt). Dieser Wettlauf ins All war dabei vor allem von nationalen und militärischen Interessen geleitet, wodurch die Raumfahrt gegen Ende des Kalten Krieges in eine Legitimationskrise geriet. Durch die geopolitische Entspannung, verlor auch die kosmische Konkurrenz an Bedeutung, wobei mit dem gesellschaftlichen Interesse auch entsprechende Förderungen und Schwerpunktsetzungen nachließen. Der 'Space Race' verlangsamte dementsprechend seine Fahrt und für das junge 21. Jhd. gestaltet sich das menschliche Vordringen in die unendlichen Weiten des Weltraums angesichts irdischer Klima-, Umwelt- und Bevölkerungsprobleme wenig bedeutsam und geht anscheinend nur noch schleppend voran.
Der Legitimationsverlust der Raumfahrt macht einen Paradigmenwechsel notwendig und stellt die Erforschung des Alls vor ein neues Begründungsproblem. Dies zeigt sich auch am Wandel der entscheidenden Impulsgeber für den Weltraumsektor, welche sich in der Gegenwart immer stärker aus privaten anstelle von staatlich geführten Unternehmen rekrutieren. Obwohl machtpolitische Gesichtspunkte immer noch einen nicht unbedeutenden Aspekt der Weltraumprogramme ausmachen, stehen doch nun primär friedliche und dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gewidmete Projekte sowie aus der Gewinnorientierung und Phantasie gespeiste Unternehmungen einzelner 'Space Entrepreneure' im Vordergrund.
Der hier vorgestellte Beitrag zu kosmischen Siedlungsbestrebungen fußt maßgeblich auf dem vor kurzem im Logos-Verlag, Berlin, erschienenen Buch "Auf zwei Planeten? Sozialwissenschaftliche Analyse interplanetarer Siedlungsprojekte am Beispiel 'Mars One'".
Die für Forschungszwecke und internationale Zusammenarbeit genutzte Weltraumstation ISS (wie auch schon die in ihrer späteren Phase gemeinsam von Russland und anderen Nationen betriebene MIR) repräsentiert das kooperative und wissensgeleitete Prinzip moderner Raumfahrt, während wiederverwendbare Raketen und die Vision der Errichtung einer Marskolonie seitens des SpaceX Gründers Elon Musk den anderen Aspekt künftiger Weltraumerschließung darstellt.
So nimmt die Anzahl verschiedenster Akteure und Projekte anstelle der einstig konkurrierenden staatlichen Raumfahrtbehörden zu, welche die Präsenz des Menschen außerhalb der Erde umfassender und dauerhafter zu etablieren suchen. Und nicht selten steht bei diesem Vorstoß ins All ein Ziel im Fokus: der rote Planet Mars.
Der Mars als zweiter Heimatplanet
Der Mars übt seit Beginn der Himmelsbeobachtung durch den Menschen eine besondere Faszination aus. So stand der Planet nicht erst seit der Verwendung von optischen Vergrößerungshilfen im besonderen Augenmerk der Astronomen, da er aufgrund seiner roten Färbung und Helligkeit auch mit bloßem Auge deutlich am Nachthimmel zu erkennen ist. Mit der Erfindung des Fernrohrs im 17. Jhd. und seiner Verwendung zur Beobachtung von Himmelskörpern sowie eines durch die sozialen Dynamisierungsprozesse der Renaissance begünstigten "kosmozentrischen" und "transterrestrischen Weltbildes"1, entwickelte sich im 17. Jhd. schnell die Vorstellung vom Mars als "Bruder der Erde".2
So wurden die beobachtbaren diversen Oberflächenstrukturen des roten Planeten, die von unterschiedlicher Farbe und Helligkeit gekennzeichneten Flecken und Linien, als Meere und von Marsbewohnern geschaffene Kanäle gedeutet. Die Vorstellung von intelligentem Leben auf anderen Planeten wurde hierbei durch die tiefgreifenden kulturellen, religiösen und politischen Umwälzungen des Übergangs vom christlich geprägten Mittelalter zur humanistischen Aufklärung möglich. Die im Zuge des Niedergangs "aristotelisch- ptolemäischer Kosmologie"3 stattfindende ideelle Dezentrierung und Pluralisierung des Lebens jenseits der Erde ließ auch Bewohner auf anderen Himmelskörpern denkbar werden und war eine durchaus übliche und verbreitete Position in den Schriften der Aufklärer (z.B. bei Kant, Lambert und Voltaire4).
Das Bild des Mars als bewohnter Planet konnte sich so als beständiges Narrativ im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs etablieren, dessen Spuren bis in die Gegenwart reichen. Besonderen Höhepunkt stellten die von dem italienischen Astronom und späteren Namensgeber des ExoMars-Landers, Giovanni Schiaparelli, 1877 beschriebenen "Canali" dar. Diese dunklen Linien auf der Marsoberfläche, welche jedoch als intentional von der Marsbevölkerung geschaffene Bewässerungsrinnen interpretiert wurden, erhärteten den fast 90 Jahre dauernden "Marsmythos" einer sterbenden Zivilisation, welche gegen die Desertifikation auf ihrem roten Wüstenplaneten anzukämpfen schien.5 Auch die um den Übergang vom 19. zum 20. Jhd. veröffentlichten Romane von H. G. Wells, Kurd Laßwitz und Edgar Rice Burroughs halfen dabei, das Bild eines bewohnten roten Planeten zu verbreiten. Obwohl bereits der Astronom Eugène Michel Antoniadi mittels seiner Marsbeobachtungen von 1903 und 1909 die Canali als Wahrnehmungsfehler entlarvt hatte, konnte doch erst 1965 die NASA-Marssonde Mariner 4 die letzten Zweifel ob der Existenz der Kanäle und einer Marszivilisation ausräumen.6
Nichtsdestotrotz übt der Mars auch mit Beginn der Raumfahrt noch eine große Anziehungskraft auf den Menschen und seine Vorstellung von Leben jenseits der Erde aus. Die durch die automatischen Sonden gewonnenen Informationen ergeben ein Bild des roten Planeten, welches zwar ungleich der Erde ist, aber dennoch die Möglichkeit für vergangene Lebensformen offenlässt (so war der Mars vor ca. 4 Mrd. Jahren mit flüssigem Wasser und durchaus lebensförderlichen klimatischen Bedingungen ausgestattet) oder gar noch die Chance für existierendes marsianisches Leben bietet (etwa in periodisch flüssigen salzhaltigen Lösungen oder unter der Kryosphäre). Doch in jüngsten Zeit häufen sich besonders die Hypothesen und Szenarien, ob der Mars auch irdischem Leben eine Heimstatt bieten könnte, also ob und in welcher Form der Mars auch für Menschen (zeitweise oder gar dauerhaft) bewohnbar wäre.7
So strebt nicht nur der bereits erwähnte Elon Musk die multiplanetare Zukunft der menschlichen Spezies an, auch wenn er gegenwärtig wohl einer der finanzstärksten und schillerndsten Marsenthusiasten ist. Bereits der deutsche und später amerikanische Raketenwissenschaftler Wernher von Braun stellte 1952 seine Studie über eine "interplanetare Expedition" zum roten Planeten vor, welche den Bau eines Weltraumhafens und einer Flotte von zehn Raumschiffen einschloss.8 Bis in die 70er Jahre folgten seitens der NASA noch über 40 Studien zu bemannten Marsmissionen, welche jedoch alle an realpolitischen Zwängen scheiterten.9
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