Wettlauf zum Mars

Seite 2: Geplante Marsmissionen und Besiedelungsprojekte

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Auch für die Gegenwart existieren zahlreiche Programme, der Menschheit diesen interplanetaren Schritt zu ermöglichen. So formulierte die 2006 gegründete International Space Exploration Group (ISECG), welche aus einem Zusammenschluss der 14 führenden staatlichen Raumfahrtorganisationen besteht und in internationaler Kooperation den menschlichen Vorstoß ins All koordinieren möchte, als Zielstellung für das Jahr 2025 eine von Astronauten unterstützte Probennahme auf dem Mars sowie eine nachhaltige bemannte Marsmission für 2030.10

Auch die amerikanische Weltraumbehörde plant in ihrer "Journey to Mars" in den 2030ern Astronauten auf den roten Planten zu bringen, wobei Mond und Asteroiden als Zwischenziele vorgegeben sind. Neben technologischen Innovationen spielt bei potentiellen Marsmissionen jedoch auch immer die menschliche Belastbarkeit eine Schlüsselrolle für einen erfolgreichen Verlauf. So stellen Muskelatrophie, verminderte Knochendichte, Durchblutungsstörungen und erhöhte Strahlenbelastung nur einige der physischen Probleme bei längeren Aufenthalten im All dar, wobei die sensorische Deprivation auf beengtem Raum auch zu Stimmungsschwankungen, Angst, Depression, Misstrauen und Schlafproblemen als psychische Begleiterscheinungen von Langzeitmissionen führen können11.

Perspektive der "Journey to Mars" der NASA. Bild: NASA

Für die Erforschung dieser menschlichen Grenzerfahrungen wurde in einem 2010 gestarteten Isolationsexperiment unter der Beteiligung von ESA und Roskosmos sechs Personen für 520 Tage in einer simulierten Marsbasis untergebracht und mussten den 'typischen Alltag' von auf dem roten Planeten stationierten Astronauten bewältigen.12 Zeitverzögerte Kommunikation, simulierte Notfallsituationen sowie wissenschaftliche Versuchsreihen wurden offenbar erfolgreich absolviert und zeigten, dass ein internationales Team den Anforderungen einer 1,5-jährigen Marsmission gewachsen sein könnte. Auch das kürzlich in Hawaii abgeschlossene Experiment zu einer potentiellen Marsmission seitens der NASA geht dem menschlichen Faktor einer interplanetaren Langzeitmission nach.

Doch es sind vor allem die privaten Initiativen, welche den menschlichen Ausgriff nach dem roten Planeten vorantreiben. So führt die Mars Society bereits seit 2001 regelmäßig mehrwöchige Aufenthalte in der Wüste von Utah sowie der kanadischen Arktis durch und erprobt dabei in 'Außeneinsätzen' und einem künstlichen Habitat die Rahmenbedingungen einer echten Marsmission.

Auch die 2011 gegründete und medial stark präsente Stiftung Mars One sieht die Zukunft der Menschheit auf mindestens zwei Planeten. So planen die Niederländer Bas Lansdorp und Arno Wielders eine "permanente menschliche Siedlung" auf dem roten Planeten zu errichten und das bereits in den 2020ern. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Marsprojekten will Mars One aber direkt mit einer dauerhaften Kolonialisierung beginnen, ohne den Zwischenschritt bemannter Hin- und Rückflugmissionen durchzuführen. Die Vorteile liegen laut Stiftung in der Kosten- und Risikoeinsparung sowie der technologischen Realisierbarkeit in unmittelbarer Zukunft (siehe Homepage).

Dabei will sich Mars One vor allem auf die Auswahl und Schulung der Astronauten konzentrieren, während die technologischen Aspekte (Raumschiffe, Satelliten, Habitate etc.) von den etablierten Raumfahrtunternehmen (Lockheed Martin, Paragon, SpaceX) bereitgestellt werden sollen. Die Vorgehensweise der Stiftung wird in der Öffentlichkeit jedoch äußerst zwiespältig beurteilt, da gerade das 'One-Way-Design', also das Konzept, als Astronaut für immer auf dem Mars zu bleiben, mehrheitlich für Irritation sorgt. Die eigene Zukunft nur auf den roten Planeten zu setzen und sich die Rückkehr zum Heimatplaneten zu versagen, ist aus einem erdgebundenen Alltagsverständnis heraus nicht nachvollziehbar.13

Die NASA-Raumsonde Phoenix soll als Vorbild für die erste unbemannte Landung von Mars One dienen. Bild: NASA/JPL-Calech/University of Arizona

Doch das Projekt Mars One strebt gerade eine Veränderung der herkömmlichen Denkmuster an und repräsentiert mit seinem Missionsplan eine strukturelle Perspektiverweiterung in Richtung eines kosmischen Weltbildes. Die dezidiert international konzipierte Besiedlung des Mars kann durch ihre Rückspiegelung für die Erde eine übernationale, interkulturelle und geoempathische Perspektive induzieren, welche die gesamte Menschheit und ihren Planeten als Schicksalsgemeinschaft begreifbar macht.14

So wurden bereits durch die ersten photographischen Bilder der Erde aus dem All das globale Bewusstsein für die Verletzlichkeit des Planeten, seiner Ökosphäre und seiner Bewohner geweckt, welche in der Gründung zahlreicher Umweltbewegungen resultierten15. Das Bild des blauen Tropfens vor der Schwärze des scheinbar leeren Weltraums macht zum einen die globalen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen begreifbar und bedeutet zum anderen einen Appell an global-gemeinschaftliche Verantwortung.16

Die Erde vom Mond aus gesehen. Bild: NASA

Der Drang zur Expansion auf andere Himmelskörper

Mittlerweile forcieren diverse staatliche und private Projekte die direkte menschliche Präsenz auf dem roten Planeten, wobei auch nur kurze Forschungsaufenthalte die nachhaltige Etablierung eines menschlichen Außenpostens oder gar die dauerhafte Kolonialisierung des Raums jenseits der Erde technologisch und diskursiv vorbereiten würden. Doch woher kommt dieser menschliche Drang, zu den Sternen aufzubrechen und sich dort eine andere Heimstatt zu suchen? Tatsächlich gibt es sowohl im Wesen des Menschen selbst eine Disposition, die Grenzen der Erde zu überwinden, als auch dominierende gesellschaftliche Rahmenfaktoren, die diese Veranlagung noch befördern17:

Dem Menschen ist schon immer das Moment der Selbstüberwindung und Grenzüberschreitung zu Eigen gewesen. Aufgrund seines strukturell unstillbaren Verlangens nach "mehr...", welches seiner überbordenden Triebstruktur entspringt, bedarf der Mensch immer neuer Projektionsflächen, auf die sich sein Sehnen richten kann. Und längst hat sich diese Sehnsucht über die Grenzen des eigenen Planeten ausgebreitet. Der Weltraum weckt dabei in dreierlei Hinsicht menschliche Begehrlichkeiten:

  • (1) So wird zum einen der Kosmos als Wirtschaftsraum begriffen, welcher in Form von Rohstoffen (seltene Erze, Wasser, Baumaterial) die Verwertung von Asteroiden oder anderen Himmelskörpern lukrativ erscheinen lässt. Auch die schier unendliche Energie der Sonne ließe sich außerhalb der Erde weitaus effektiver gewinnen. Und besonders der Weltraumtourismus bietet ein hohes ökonomisches Potential, wie die Firmen Bigelow Aerospace mittels ausdehnbarer Module und Virgin Galactic mit ihrem Raumgleiter Space Ship Two bald für sich zu nutzen wissen. Neben wirtschaftlichen Aspekten könnte das All aber auch aus politischem Gesichtspunkten interessant werden.
  • Als (2) Herrschaftsraum wurde der Kosmos ja bereits zur Zeit des Kalten Krieges, in der Space-Race-Ära instrumentalisiert. Hierbei standen militärische Motive im Vordergrund, also die Installation von Spionage- und Waffentechnologie. Doch auch in der Gegenwart werden Satelliten für Spionage und Kampfeinsätze verwendet, wie die jüngsten Kriege im Nahen und Mittleren Osten zeigen. Den eigenen Machtbereich auch auf das All auszuweiten, spielt für Nationalstaaten immer noch eine bedeutende Rolle, um als 'global player' anerkannt zu werden. Dementsprechend bedeuten die beiden chinesischen Weltraumstationen Tiangong 1 und 2, welche seit September 2011 und 2016 die Erde umkreisen, neben dem Forschungsgewinn auch eine Demonstration Chinas als ernstzunehmende Weltraummacht.
  • Nicht zuletzt repräsentieren der Kosmos und andere Himmelskörper aber vor allem extraterrestrischen (3) Lebensraum. Angesichts exponentiell wachsender Bevölkerungsentwicklungen und der Überschreitung der 10 Mrd. Grenze für die 2050er wird die Frage nach irdischer Grenzauslastung und Überlastung immer drängender. Wenn der gegenwärtigen Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, erscheint die Besiedlung anderer Planeten zur Vermeidung des globalen Kollapses unabdingbar. Aber auch um anderen Umwelt-, pandemischen oder atomaren Katastrophen vorzubeugen, wird eine langfristige Verbreitung der menschlichen Spezies im Sinne der Arterhaltung diskutiert.18

Die menschliche Expansion auf andere Himmelskörper liegt außerdem aus Sicht der Fortführung kultureller Umgestaltung von natürlichen Bedingungen nahe. So hat der Mensch mittels künstlicher Werkzeuge bereits die unwirtlichsten Regionen der Erde erschlossen, ist in Eis- und Sandwüsten vorgedungen, hat die Tiefsee erkundet und den Luftraum erobert. Die Urbanisierung einst lebensfeindlicher Regionen liegt in der Natur des Menschen und die Kolonialisierung des Weltraums sowie anderer Himmelskörper ist dabei nur die strukturlogische Ausweitung menschlichen Kultivierungsvermögens.

Die Utopie, ganze Planeten oder Monde erdähnlich umzugestalten, stellt dabei die Spitze menschlicher Schöpfungsmacht dar. Erst im September dieses Jahres präsentierte Elon Musk seine Vision zu Besiedlung des Mars, wobei während seiner Präsentation erneut deutlich wurde, dass das Terraforming des roten Planten, die Verdichtung und Erwärmung der Atmosphäre auch ein langfristiges Ziel der multiplanetaren Agenda von SpaceX darstellt.

Neben der Transformation irdischer und extraterrestrischer Umwelt steht aber auch der Mensch selbst im Fokus von Optimierungs- und Veränderungsprogrammen. So ist die technologisch gestützte Erweiterung menschlicher Fähigkeiten, sein Überleben in Schwerelosigkeit, unter kosmischer Strahlung und sensorischer Deprivation Teil der Raumfahrtforschung (bspw. in der Zwillingsstudie der amerikanischen Astronauten Mark und Scott Kelly). Und daher verwundert nicht, dass auch die systematische Verschmelzung künstlicher ('cybernetic') und organischer ('organic') Elemente, die Erschaffung von 'Cyborgs', zuerst im Kontext menschlichen Überlebens im Weltraum erwogen wurde.19 Im Sinne menschlicher Evolution wäre ein Verlassen der Erde und die Anpassung an sowie die Veränderung von kosmischer Umwelt vielleicht der nächste notwendige Entwicklungsschritt der Spezies homo sapiens.

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