Wettrüsten: Israels hochgerüstete Armee im Kampf gegen Flugdrachen

Bild: IDF

Seit Wochen setzen Palästinenser aus dem Gaza-Streifen Ballons und Drachen als fliegende Brandsätze ein, die nur schwer abzuwehren sind

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Israel ist ein hochgerüstetes Land mit einer zwar kleinen, aber mit modernster Technik ausgestatteten Armee. Dazu wurde ein Großteil der Landgrenzen mit Sperranlagen von 7 Meter hohen Mauern bis hin zu dem Hightech-Zaun um Gaza versehen, die Israel zum Pionier einer gated nation machten. Insbesondere die 40 km lange Grenze zu Gaza, deren "smart border" auch als Modell für den Verkauf dienen sollte, wurde zuletzt zum umkämpften Gebiet.

Bestehend aus einer Stacheldrahtsperre und nach einer 270 Meter breiten großen Sperrzone aus einem parallel laufenden, mit Sensoren gespickten, drei Meter hohen Zaun, die zentral aus der Ferne überwacht werden, gilt ein Schießbefehl, wenn die Sperrzone betreten wird. So können zwar einzelne abgehalten werden, als aber seit Ende März immer wieder Massendemonstrationen, aus denen heraus versucht wurde, die Sperranlage zu durchbrechen, organisiert wurden, töteten israelische Soldaten Dutzende von Personen und verletzten Tausende.

Schon als der frühere Grenzzaun 2001, nachdem der vorhergehende während der Intifada niedergerissen worden war, wieder errichtet, mit neuen Hightech-Beobachtungsposten ausgestattet und mit der 1 km breiten Pufferzone in den Gazastreifen hinein versehen wurde, hatten die Palästinenser von Angriffen und Anschlägen auf das Abschießen von Qassam-Raketen und Granaten umgeschaltet, um Ziele in Israel zu treffen. Israel entwickelte auch daraufhin das Raketenabwehrsystem Iron Dome, das sich als wirksam erwiesen hat und auch kleine Raketen und Granaten abschießen kann, wie sich im Mai zeigte. Kämpfer von Hamas und Islamischen Dschihad hatten Ende Mai in Reaktion auf die Tötung von Kämpfern des Islamischen Dschihad Dutzende von Raketen auf israelische Siedlungen, die 2015 ebenfalls mit einem "smart fence" ausgestattet worden waren, nahe dem Gazastreifen abgefeuert. Die meisten wurden von Iron Dome abgefangen, die israelische Luftwaffe bombardierte daraufhin Stellungen von Hamas und Islamischen Dschihad.

Drachen wie dieser, der vom Gazastreifen aus Richtung Israel geschickt wurde, sind zu neuen Brandwaffen geworden. Bild: Nizzan Cohen/CC BY-SA-4.0

Schon seit Beginn der Auseinandersetzungen erfanden die waffentechnisch weit unterlegenen Kämpfer eine neue primitive Waffe, die von den israelischen Raketenabwehrsystemen nicht abgeschossen werden kann. Hatten sich die IS-Kämpfer in Syrien und im Irak zuletzt auch auf Drohnen gestützt, die mit Sprengstoff oder Granaten beladen waren, um Gegner anzugreifen, so wären auch kleinere Drohnen kein Mittel, um den Iron Dome zu überwinden. Schon fast von Beginn an wurden mit Helium gefüllte Ballone oder Drachen mit Molotowcocktails, glühenden Kohlen oder anderen Brennstoffen eingesetzt, um die Grenzbarriere zu überwinden und in Israel Felder und Siedlungen anzuzünden.

Das sieht wie ein Spielzeug aus, mit Drachen wird an der Küste des Gazastreifens auch ausgiebig gespielt, hat aber eine Zeitlang der hochgerüsteten Abwehr der israelischen Armee von Panzern über Kampfflugzeugen bis zu Raketenabwehrsystemen getrotzt und einigen Schaden angerichtet. Einem Reuter-Reporter erzählte ein junger Palästinenser, der mit anderen Drachen vorbereitete, die mit Diesel oder brennbarem Öl getränkt werden, dass das spontan begonnen haben soll. Niemand habe mit "so guten Ergebnissen" gerechnet: "Die Idee ist einfach: Nimm die einfachsten Mittel, um Schaden und Verluste für Israel zu bewirken."

Die kleinen, aus Plastik bestehenden Drachen fliegen niedrig und verhalten sich meist unberechenbar. Am 4. Juni sagte der israelische Verteidigungsminister, es seien um die 600 dieser fliegenden Brandsätze über die Grenze gekommen, das Militär habe 400 durch Scharfschützen und andere Maßnahmen gestoppt. 198 hätten jedoch Brände auf 2500 Hektar ausgelöst. Die Rede ist von 265 Bränden und einem Schaden in Höhe von 2,5 Millionen US-Dollar.

Der Regionale Kooperationsminister Tzachi Hanegbi versuchte gestern die Gemüter vor dem "Drachenterrorismus" zu beruhigen: "Ich bin wegen des Drachenterrorismus nicht besorgt. Er zeigt, wie erbärmlich unsere Feinde sind. Sie haben eine Waffe gefunden, die Menschenleben nicht gefährdet und wir werden dafür eine Lösung finden." Das brauche halt Zeit: "Wir fanden eine Antwort auf Flugzeugentführungen, Selbstmordattentäter, Qassam-Raketen und Messerterror. Wir finden und zerstören die Tunnels. Wir wurden niemals hysterisch. Beruhigt euch."

Beruhigt ist man in der Regierung nicht. So schlug der Minister für Öffentliche Sicherheit Gilad Erdan vor, diejenigen durch Scharfschützen zu erschießen, die solche Drachen steigen lasse. Die israleische Armee solle "die Drachenflieger genauso behandeln wie alle Terroristen" und "gezielt töten". Bislang wurde versucht, Drohnen mit Netzen auszustatten, um die Drachen und Ballons abzufangen. Erfolgreicher scheint eine andere Idee zu sein. Die Streitkräfte haben Israelis aufgerufen, als Reservisten mit ihren Drohnen gegen die Drachen und Ballons vorzugehen. Sollte eine Drohne zu Schaden kommen, würde sie ersetzt werden. Ansonsten versuchen die Soldaten die fliegenden Brandsätze abzuschießen.

Angeblich soll die Zahl der Brände seit dem Einsatz der Drohnen erheblich zurückgegangen sein, berichten Medien. Die als Reservisten bezahlten Drohnenpiloten sollen einen Drachen 40 Sekunden nach dessen Entdeckung zum Absturz bringen. Sie sollen zu zweit arbeiten: Eine Person steuert die Drohne, die andere beobachtet den Himmel. Offenbar findet das Programm Anklang, es würden sich viele professionelle Drohnenpiloten melden, um auch mitmachen zu dürfen.

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