Whistleblower-Preis 2015: "Stich ins Wespennest"
Seite 2: Zweierlei Maß bei der Bewertung von Studien über essentielle Fragen der Gesundheit von Mensch und Tier
- Whistleblower-Preis 2015: "Stich ins Wespennest"
- Zweierlei Maß bei der Bewertung von Studien über essentielle Fragen der Gesundheit von Mensch und Tier
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Wie hat die Jury denn für sich die Frage nach der Seriosität von Séralinis Forschung beantwortet? Anders gefragt: Was haben Sie getan, wie haben Sie im Vorfeld Ihrer Entscheidung recherchiert, um Séralinis Forschung zu bewerten?
Gerhard Baisch: Natürlich haben wir die ganze Diskussion unter GMO-Befürwortern und -Kritikern um die Studie von 2012 genau verfolgt. Wir wollen und können aber nicht in Fachfragen der Molekularbiologie entscheiden. Auch die Bewertung der Forschung von Professor Séralinis Gruppe maßen wir uns nicht an. Obwohl wir mehrheitlich in der Jury nicht vom Fach sind, sahen wir aus der weiteren Debatte unter den Forschern, dass die wesentlichen Kritiken an der Studie von 2012 fehlgehen, dass die Studie mitnichten "junk science" (ZEIT v. 24.9.), sondern Anlass für eine weiterführende Forschung zu Fragen der GMO im Zusammenhang mit Pestiziden war. Dass es dabei um essentielle Fragen der Gesundheit von Mensch und Tier geht, liegt auf der Hand.
Immer mehr drängte sich der Jury auch die Frage der doppelten Standards auf: Warum werden die GMO-kritischen Stimmen so vehement kritisiert, die GMO-freundlichen aber nicht nach denselben Kriterien hinterfragt? Von größter Bedeutung scheinen uns schließlich die strukturellen Mängel im Zulassungsverfahren zu sein: Warum werden nicht die an den Markt drängenden Produkte selbst - statt nur einzelne Wirkstoffe - eingehenden Untersuchungen bis zum wissenschaftlich transparenten Beweis ihrer Ungefährlichkeit anhand veröffentlichter Daten unterzogen?
In einem Artikel der FAZ heißt es: "Séralini wird als Verfolgter, Entehrter und Enteigneter des etablierten Wissenschaftssystems gewürdigt und als Opfer einer 'Kampagne interessierter Kreise aus der Chemieindustrie'. Dass er Neutralität, Unabhängigkeit und die Spielregeln des wissenschaftlichen Publizierens einhalte, wird in der nun vorliegenden Kurzfassung der Jurybegründung nirgendwo behauptet." Wie erklären Sie sich diese Kritik? Wie kann eine Bewertung so unterschiedlich ausfallen? Ihre Jury sieht in Séralini einen würdigen Preisträger, die FAZ lässt kein gutes Haar an ihm.
Gerhard Baisch: Professor Séralini ist in unseren Augen kein "Entehrter und Enteigneter des etablierten Wissenschaftsbetriebs" , auch nicht "Opfer einer Kampagne interessierter Kreise" - so hätten das nur gern seine Gegner, zu denen offensichtlich auch der Autor in der FAZ gehört. In der politischen Auseinandersetzung um die Zulassung und Nutzung von GMO gibt es scharfe Fronten. Es geht ja auch um Milliarden-Umsätze der GMO-Industrie. Das strahlt aus auf die wissenschaftliche Debatte.
Sicherlich die meisten, wenn nicht alle Forscher in diesem Forschungsbereich sind nicht "neutral"; sie haben - auch auf Grund ihrer wissenschaftlichen Arbeit - ihre Position bezogen. Wer von ihnen ist nun unabhängig? Der für den Monsanto-Konzern bezahlte Studien macht oder der, der in seiner Forschung an der Universität Fragen GMO-kritischer Vereinigungen, die sich am Gemeinwohl orientieren, aufnimmt? Merkwürdiger Weise betonen ihre Unabhängigkeit immer diejenigen, die es eher nicht sind. So fordern auch schließlich diejenigen die Einhaltung der Spielregeln wissenschaftlichen Publizierens, die sie selber nicht achten - wenn man darunter z.B. die vollständige Offenlegung der eigenen Forschungsergebnisse für die Diskussion und Überprüfung im weiteren Forschungsprozess versteht.
In der "causa Séralini" gab es einen schwer wiegenden Versuch, die freie wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Risiken der Anwendung von GMO-Produkten für die menschliche Gesundheit einzuschränken. Letztlich ist dies - insbesondere durch die Beharrlichkeit von Professor Séralini in der Verteidigung seiner Forschungsergebnisse - gescheitert. Geblieben sind die Spuren persönlicher Verletzungen durch unqualifizierte Angriffe bei Professor Séralini. Dass Beleidigungen jetzt wieder die bisherige Debatte um die Preisverleihung kennzeichnen, kann die Jury nur bedauern.
Neben Séralini werden noch zwei weitere Preisträger ausgezeichnet. Warum haben Sie sich für Brandon Bryant und Léon Gruenbaum entschieden?
Gerhard Baisch: Brandon Bryant hat ab 2012 in der laufenden Diskussion um den globalen geheimen Drohnenkrieg der USA durch seine Enthüllungen den Fokus auf den US-Stützpunkt Ramstein gelenkt als die zentrale Drehscheibe, wo alle Stränge zusammenlaufen. Die Zentrale, ohne die gegenwärtig der ganze Drohnenkrieg nicht möglich wäre. Dadurch hat er eine wichtige Diskussion losgetreten, inwieweit sich die deutsche Regierung mit verantwortlich macht für die zumindest großenteils grundgesetz- und völkerrechtswidrige Drohnenkriegsführung, eine Auseinandersetzung, die unverändert heftig andauert.
Und warum für Léon Gruenbaum?
Mit der Verleihung eines Posthum-Whistleblower-Ehrenpreises an Dr. Léon Gruenbaum betritt die Jury Neuland. Das Schicksal dieses jüdischen Atomwissenschaftlers, der - 1934 geboren - mit Hilfe von Freunden aus der Résistance vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrt wurde, um dann im Jahr 1973 erneut Opfer der überlebenden NS-Täter im Kernforschungszentrum Karlsruhe zu werden, berührt uns tief.
Der langjährige Geschäftsführer Dr. Greifeld verleugnete gegenüber Gruenbaum seine judenfeindlichen Aktivitäten im Paris der 40er Jahre ebenso wie antisemitische Äußerungen im KFZ Karlsruhe. Greifeld rächte sich: der befristete Vertrag von Gruenbaum wurde als einziger nicht verlängert. Gruenbaum konnte Greifeld danach aber der Lüge überführen. Zudem deckte er im Rahmen seiner Forschungen zum Thema "Genese der Plutoniumgesellschaft - Politische Konspirationen und Geschäfte" Zusammenhänge zwischen der Atomforschung der NS-Zeit und südamerikanischen Atomzentren der Nachkriegszeit auf und wies auf die große Zahl NS-belasteter Wissenschaftler in führenden Positionen des KFZ Karlsruhe hin.
Weiter enthüllte er zahlreiche Atomprojekte, u.a. in Argentinien und Südafrika, bei denen die Produktion von waffenfähigem Uran oder Plutonium mit Unterstützung des KFZ Karlsruhe geplant oder realisiert wurde, und gab sein Wissen weiter an Initiativen aus der Zivilgesellschaft, die dann Gegenaktionen in Gang setzen konnten. Das Gedenken an Dr. Gruenbaum und seine Auseinandersetzung mit der damaligen deutschen Atomforschung und ihrer teilweisen Verstrickung in atomare Aufrüstung mahnt uns, ähnlich kritisch die heutige Politik der "nuklearen Teilhabe" Deutschlands zu würdigen.
Wie denken Sie persönlich über das Whistleblowing und die Whistleblower?
Gerhard Baisch: Vor 15 Jahren kannte ich nicht einmal den Begriff des Whistleblowers. Als ich mich der IALANA anschloss, wunderte ich mich noch über diesen Schwerpunkt unserer Tätigkeit. Heute denke ich: unsere Gesellschaft braucht unbedingt Whistleblower. Ohne ihre Informationen aus dem Inneren abgeschotteter Bereiche wie Polizei, Bundeswehr, Behörden und Firmen ist öffentliche Kontrolle und demokratischer Prozess unmöglich. Aus Verantwortung für das Allgemeinwohl riskieren diese Menschen regelmäßig ihre berufliche Existenz und strafrechtliche oder sonstige unangenehme Gegenmaßnahmen. Es bedarf dringend eines Schutzgesetzes für das Whistleblowing - allein schon, um seinen Rang damit öffentlich anzuerkennen.