Whistleblower in der Arbeitswelt: Was fehlt, wenn sie gebraucht werden
Wo es kämpferische Belegschaften gibt, braucht es keine mutigen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer. Wo sie nötig sind, schützt das deutsche Gesetz sie nicht. Eine Bestandsaufnahme.
"20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?" So lautet der Titel eines Buches, das kürzlich im Berliner Wissenschaftsverlag erschienen ist. Den besagten Preis erhielten bisher so unterschiedliche Personen wie die Berliner Krankenpflegerin Brigitte Heinisch und die weltbekannten US-Whistleblower Chelsea Manning und Edward Snowden.
Sie alle haben Missstände der unterschiedlichen Art aufgedeckt. Sie sind an die Öffentlichkeit gegangen, wurden dafür angefeindet und teils mit schweren juristischen Geschützen verfolgt. Daher haben die Friedensorganisation IALANA und die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) den Whistleblower-Preis ins Leben gerufen, um damit Menschen zu ehren, die gesellschaftlich relevante Missstände oder gar Verbrechen aufgedeckt haben.
Auf einer Pressekonferenz beider Organisationen hoben die Mitarbeiter des Wissenschaftsverlags, Gerhard Baisch, Hartmut Graßl, Bernd Hahnfeld und Angelika Hilbeck, am Donnerstagabend die Bedeutung des Whistleblowings für in der Wissenschaft hervor. Graßl verglich dabei die Wissenschaftsinstitutionen ausgerechnet mit den Kirchen –da beide gleichermaßen Hinweisgeber bekämpften. Dabei zog er ausdrücklich den Vergleich zum Umgang der beiden großen Kirchen mit den Vorwürfen sexueller Übergriffe.
Vorgestellt wurden auf der Pressekonferenz Whistleblower wie Martin Porwoll der in Bochum einen Apothekerskandal aufdeckte. Dass Whistleblower weiterhin sehr unbeliebt sind, schilderte Liv Bode, Preisträgerin von 2007. Die Biologin hatte damals vor den gesundheitlichen Gefahren des Borna-Virus gewarnt und wurde dafür vom Robert Koch Institut kaltgestellt, wie sie auf der Pressekonferenz schilderte.
So sei sie mit einem Rede- und Publikationsverbot belegt worden, das erst nach der Preisverleihung aufgehoben wurde. "Der Preis war für mich eine Ermutigung und hat mir auch bei meiner wissenschaftlichen Rehabilitierung geholfen" betonte Bode.
Diverse Perspektiven in der Wissenschaft zulassen
Angelika Hilbeck schlug in ihren Input auf der Pressekonferenz den Bogen bis zu Edward Snowden, Chelsea Manning und Julian Assange, dem weltweit wohl bekanntesten Whistleblower, was ihn nicht vor Haft und Verfolgung schützt. Hilbeck forderte, der Wissenschaftsapparat müsse auch unterschiedliche Perspektiven zulassen, sofern sie faktenbasiert sind.
Diese Erklärung wirft natürlich Fragen auf. Denn besonders seit der Corona-Pandemie geraten Perspektiven jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams schnell in den Ruf der Verschwörungsgläubigkeit. Der Begriff "alternative Fakten" gilt als Synonym dafür. Dieses Thema wurde auf der Pressekonferenz nicht direkt angesprochen, aber spielte indirekt doch eine Rolle, als Hartmut Graßl begründete, warum der Whistleblower-Preis das letzte Mal 2019 verliehen wurde.
Das habe daran gelegen, dass mit dem Tod des Richters Dieter Deiseroth, der sich über viele Jahre für die Unterstützung von Whistleblowern einsetze, eine wichtige Expertise weggebrochen sei, erklärte Graßl. Es sei immer sehr genau überprüft worden, wer als Whistleblower-Preisträger in Frage kommt. Graßl betonte, dass es um die Relevanz der Informationen ging, die veröffentlicht wurden.
Allerdings ist klar, dass es auch darum ging, den Preis und die ihn verleihenden Organisationen vor Personen zu schützen, deren Perspektive eher in den Bereich der "alternativen Fakten" gehörte.
Das Gesetz schützt das Betriebsklima – nicht die Whistleblower
Mit dem kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Hinweisgeberschutzgesetz, das durch eine EU-Richtlinie erzwungen wurde, setzte sich der Bremer Rechtsanwalt Gerhard Baisch kritisch auseinander. "Es soll die Unternehmenskultur verbessern und nicht Whistleblower unterstützten", moniert der Jurist. Zudem werde die Offenlegung von Missständen, wie sie beispielsweise Brigitte Heinisch im Pflegebereich aufgedeckt hat, gar nicht von dem Gesetz abgedeckt.
Vorbei sind die Hoffnungen, die nach der EU-Richtlinie und dem mehrere Jahre später verabschiedeten Gesetz bei Unterstützern der Whistleblower bestanden haben.
Die Referenten machten deutlich, dass es beim Whistleblowing weniger um diverse Perspektiven geht, als um massive Missstände in der Arbeitswelt, die von Beschäftigten öffentlich gemacht wurden.
Ein gutes Beispiel ist die Berliner Pflegerin Brigitte Heinisch, die unzumutbare Arbeitsbedingungen im Pflegebereich aufgedeckt und auch ein Buch zum Thema veröffentlicht hat. Die zahlreichen Menschen, die die miserablen Zustände an ihren Arbeitsplätzen öffentlich machen, werden durch das neue Hinweisgeberschutzgesetz aber gar nicht erfasst, so die Kritik von Baisch.
Ist Kampf gegen schlechte Arbeitsbedingungen primär Whistleblowing?
Doch es sollte auch ein kritisches Nachdenken darüber erlaubt sein, ob der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen überhaupt unter dem Oberbegriff Whistleblowing gefasst werden sollte. Die kritische Altenpflegerin Heinisch war eine kämpferische Kollegin, die gemeinsam mit Gewerkschaften und einem Unterstützungskomitee gegen ihre Entlassung kämpfte. Das war ein solidarischer Kampf.
Das Whistleblowing ist aber klassisches Einzelkämpfertum von Menschen, die wenig Unterstützung in ihrer Umgebung haben und daher zu diesem Mittel greifen müssen. Das ist sinnvoll – und es ist positiv zu bewerten, wenn die mutigen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer dann doch unterstützt werden. Allerdings sollten Belegschaften dafür kämpfen, dass Whistleblowing tendenziell überflüssig wird – durch gemeinsames solidarisches Vorgehen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen.