Wie Deutschland (gefühlt) zum Teil der Anti-Hitler-Koalition 2.0 wurde

Seite 4: Nationales Heldentum

Wenn Gegenstandpunkt Putins diesbezügliche Ausführungen als "nationalideologischen Stuss" klassifiziert, dann steht er also ausnahmsweise mal nicht allein.

Dass hier nationalistisch geschwurbelt wird, fällt noch dem letzten westlichen Beobachter auf. Nur eins ist bemerkenswert: Wenn Putin ins nationale Horn stößt, dann entdeckt der Westen nicht den allseits geteilten Standpunkt vaterländischer Begeisterung, noch nicht einmal – siehe den Fall Dugin – die Ursprünge in der hochgeschätzten deutschen Geistestradition, sondern fremde slawische Einflüsse, die zudem noch die eigentliche Triebkraft hinter dem Rechtstrend im freien Westen darstellen sollen.

So ist das Feindbild komplett: "Bei viel zu vielen Menschen in Russland hat sich die Verachtung für den liberalen Westen zu tief ins Bewusstsein gegraben", als dass man auf Regime Change von Innen hoffen könnte (General-Anzeiger, 28.3.22). Das ist das Werk ihres Führers Putin, des neuen Hitler, der den aktuellen Holocaust in der Ukraine – in Fortsetzung von Stalins "Holodomor" – zu verantworten hat.

Währenddessen ist Deutschland Teil – und bald vielleicht führende Macht – der Anti-Hitler-Koalition. Dafür muss es nur noch die "Last der historischen Verantwortung" umdefinieren, als Auftrag, "aus der deutschen Schuld für Krieg und Völkermord" (Baerbock) heraus zu einem neuen, völlig gerechtfertigten Krieg gegen Völkermord zu schreiten.

Und die Außenministerin hat für die Ausarbeitung der nationalen Strategie – Leitidee: "Sicherheit der Freiheit unseres Lebens" – auch schon entscheidende Fragen formuliert:

Was heißt das eigentlich, frei zu leben? Wir spüren das gerade wieder in der Ukraine: Im Mut der Männer und Frauen, die ihr Land verteidigen. In ihrer Entschlossenheit sehen wir, was diese Menschen verteidigen, im Zweifel auch mit ihrem Leben: nämlich Demokratie und ihr Recht, über ein Leben in Freiheit selbst entscheiden zu können.

Bevor der Mut zur Sprache kommt, könnte man auch einmal daran erinnern, dass in der Ukraine als Erstes eine Zwangsrekrutierung aller Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren stattfindet, damit sie dieses Heldentums teilhaftig werden können. Selber entscheiden tun sie an der Stelle jedenfalls nichts.

Und was sie dann tun, ist nicht eine Aktion zum Schutz ihres Lebens. Sie müssen ja "im Zweifel auch mit ihrem Leben" dafür bezahlen, dass sie in Freiheit leben, also dafür, dass sie nicht mehr da sind, aber dass etwas anderes überlebt, nämlich die nationale Macht, im Klartext: ein staatliches Gewaltmonopol, das dann über ein – wie auch immer dezimiertes – Menschenmaterial verfügt.

Die Staatsmacht schützt eben sich, indem sie gnadenlos Menschenleben opfert. Das geschieht in Namen der Nation, in die dann die Toten eingehen, als Helden, die auf den Kriegerdenkmälern weiterleben.

Das ist in allen Kriegen so. 1943, nach Stalingrad, hieß es im Dom von Fulda vor den versammelten katholischen Bischöfen und Tausenden Gläubigen in einer Kriegspredigt: "Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssten!" Und Selbstaufopferung für etwas Höheres – ob es jetzt philosophisch, religiös verbrämt oder als nationale Selbstverständlichkeit daherkommt – ist das, was Faschisten und Demokraten in der Stunde der Gefahr vereint. Und so kann es gut sein – was von westlichen Kommentaren immer wieder hervorgehoben wird –, dass auf russischer Seite auch viele Rechtsradikale und Rassisten mitkämpfen.

Auf ukrainischer Seite ist dieselbe Allianz jedenfalls in Aktion, wie man gelegentlich erfährt. So konnte auch Selenskyj, ohne mit der Wimper zu zucken oder Anstoß zu erregen, im Deutschen Bundestag seine Brandrede mit dem alten faschistischen Schlachtruf beenden: "Ruhm der Ukraine!"