Wie Deutschland (gefühlt) zum Teil der Anti-Hitler-Koalition 2.0 wurde
Seite 3: Deutscher (Un-)Geist
Brumlik scheint auch ganz vergessen zu haben, was er noch im letzten Jahr veröffentlichte, etwa im Rahmen des "Zentrum Liberale Moderne". Dort wurde der neue Rechtstrend in Deutschland seziert, der an ältere, aber in der Nachkriegs-BRD durchaus geschätzte Denker wie Spengler oder Heidegger anschließt.
Brumlik entdeckte hier eine bemerkenswerte geistige Kontinuität. Was die neurechten Interpreten mit Heidegger veranstalten, sei kein Missbrauch einer philosophischen Tradition Deutschlands, sondern eine adäquate "Diskursstrategie, die auf völkische Emotionalisierung" setzt und anstelle "eines aufgeklärten Begriffs menschlichen Fortschritts den heroischen Realismus einer schicksalhaften Bewährung im ‚Eigenen‘ eines nur ethnisch und herkunftsbezogen verstandenen ‚Volkes‘" präferiert. Eben seinsphilosophisches Schwurbeln at its best!
Das war aber nicht Brumliks letztes Wort. In bester neudeutscher Tradition wiederholte er anschließend die bekannte Würdigung Heideggers und zollte den erklommenen seinsphilosophischen Höhen Anerkennung. An Heideggers "Bedeutung für die Philosophie des 20. Jahrhunderts" darf laut Brumliks Resümee "weder sein Eintreten für Hitler noch seine zuletzt unübersehbar gewordene antisemitische Haltung etwas ändern".
Der ganze Aufwand führte also wieder dahin, wo man im Adenauer-Staat war: Wer wie Heidegger "uralte Fragen der abendländischen Philosophie" aufgreift, hat uns heute – Faschismus hin oder her – immer noch viel zu sagen.
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Hochgeschätzt wird der Faschist Heidegger also nicht nur von Dugin, Putin und Co., sondern auch von deutschen Rechtsradikalen, von Professoren wie Brumlik oder von einem Politiker wie Robert Habeck, der als junger Akademiker von Heidegger fasziniert war, da dieser "den Menschen als Teil einer Seinstotalität" denke, "die dem individuellen Dasein immer schon vorausgeht".
Für die Neuorientierung der grünen Partei, so Habeck in einem Interview 2013, stelle diese philosophische Traditionslinie einen "Strang der grünen Ideengeschichte" dar – eine geistesgeschichtliche Verbindung, die noch 2018 auf entschiedenen liberalen Einspruch traf.
Eine solche Wertschätzung steht im besten Einklang mit einer westdeutschen Nachkriegstradition, wie jetzt eine neue Publikation von Klaus-Peter Hufer über "Philosophie im Nationalsozialismus" deutlich macht ("Im Auftrag des ‚Volkes‘ und des ‚Führers‘").
Die deutschen Philosophen wechselten 1933 – von einigen marxistischen und jüdischen Emigranten abgesehen – fast komplett ins NS-Lager. Hufer kann gerade mal drei prominente Ausnahmen benennen, wobei einer der drei "Aufrechten", der Philosoph Karl Jaspers, nach 1945 entscheidend an der Rehabilitierung Heideggers mitwirkte – wider besseres Wissen.
Gemeinsam mit Heideggers ehemaliger Geliebter Hannah Arendt hat Jaspers sich, wie eine neue Studie (Gleichauf, Hannah Arendt und Karl Jaspers, 2021) festhält, "aus einer Haltung der Treue heraus davor gedrückt, der Wahrheit einer Verstrickung Heideggers in das NS System ins Auge zu blicken".
Mit dieser Reinwaschung wurde wesentlich zum Nachkriegsruhm eines bekennenden Faschisten beigetragen. Hufer betont auch die enge Anbindung Heideggers ans faschistische Programm bereits vor 1933, als der vom Sein schwafelnde "Philosophenkönig" mit seinem Opus "Sein und Zeit" Furore machte.
Schon da störte sich Heidegger an der "wachsenden Verjudung" der Wissenschaft – und der Notwendigkeit eines völkischen Aufbruchs und eines heroischen Realismus in Gegnerschaft zu den Dekadenzerscheinungen einer jüdisch-marxistischen Moderne blieb er auch nach 1945 treu, legte jedenfalls nie ein Schuldbekenntnis ab.
Nach einer kurzen, eher symbolischen Pause konnte Heidegger im Adenauer-Staat zu seiner Hochschultätigkeit zurückkehren, übrigens wie fast alle seine Kollegen, denn es gab "nur wenige, die nicht wieder in Amt und Würden gekommen sind", wie Hufer abschließend festhält.
Faschistischer Nationalideologie – in veredelter philosophischer Gestalt und um einige zu offenkundige Nazi-Bezüge bereinigt – wurde also ein ungestörtes "Weiterwirken nach dem Krieg" (Hufer) garantiert.
Das macht die Breite und Tiefe deutschen Geistesleben bis auf den heutigen Tag aus, denn dass der Mensch sich dem großen Ganzen, einer höheren Bestimmung etc. unterzuordnen hat, möchte ja kaum ein Philosoph von nationalem Rang bestreiten.
Dazu gehört ebenfalls die nationalreligiöse Veredelung des Kriegsgeschehens. Wenn es um einen Krieg mit Russland geht, stehen christliche Kirchenführer in Deutschland, wie die neueste Befürwortung von Waffenlieferungen und das Überdenken der "Friedensethik" bei EKD und katholischer Bischofskonferenz zeigt, Gewehr bei Fuß – so wie übrigens die ukrainisch-orthodoxe Kirche zu Selenskyj steht und das russische Oberhaupt dieser Orthodoxie, Patriarch Kyrill, zu Putin, der mit Hilfe der heimischen faschistischen Tradition seinen Antikommunismus als frommes Anliegen ausschmückt.