Wie Emil und Veit einmal einen unpolitischen Film drehen wollten
Seite 4: Führende Männer der Wirtschaft
In Der Herrscher schaut Jannings nicht mal so im Labor vorbei wie bei Noack. Nach zwei Monaten, in denen er seine inzwischen verstorbene Frau gepflegt hat, geht er am Tag nach der Beerdigung zum ersten Mal wieder in die Clausen-Werke. Dr. Erhardt, ein junger Ingenieur, muss ihm sagen, dass er schon länger nichts mehr "geschaffen" hat, weil dem Labor das Geld für die Forschung gestrichen wurde. Clausen ist empört und ordnet eine Direktoriumssitzung an. Bei dieser Sitzung bestätigt sich der Verdacht, dass Clausens Schwiegersohn hinter dem Versuchsstopp steckt. Den Direktor Erich Klamroth spielt Herbert Hübner (in Kautschuk als englischer Konsul dabei), der ein paar Jahre später, als jüdischer Beamter, gegen Hans Albers alias Carl Peters intrigieren würde (in … reitet für Deutschland ist er ein jüdischer Pferdehändler und im antisemitischen Lustspiel Robert und Bertram gibt er den Nathan Ipelmeyer, auch eine nationalsozialistische Karikatur vom "Juden"). In Carl Peters (1941) wie im Herrscher versündigt er sich am deutschen Volk und dessen Zukunft, weil er aus kurzsichtigem Eigennutz die Rohstoffversorgung gefährdet. Das hat durchaus Methode. 1941, als die Wehrmacht in andere Länder einmarschiert war, ging es um die Bodenschätze Afrikas. 1936, als man den Krieg vorbereitete, konzentrierte man sich auf das heimische Labor und die synthetisch hergestellten Ersatz-Rohstoffe. Klamroth ist die Forschung zu teuer, und er hat Angst um seine Rendite.
Clausen liest dem Direktorium die Leviten. "Meine Herren!", sagt er. "Sie laufen Sturm gegen das Laboratorium! Das heisst: Sie laufen Sturm gegen die Entwicklung der Technik, die uns vom Ausland unabhängig machen soll! Glauben Sie, damit Ihre Pflicht als führende Männer der Wirtschaft zu erfüllen?" Einer der "führenden Männer" ist Rudolf Klein-Rogge, Ex-Mann Thea von Harbous (vor deren Ehe mit Fritz Lang) und in einem früheren Schauspielerleben als Dr. Mabuse, König Etzel (Die Nibelungen), Rotwang (Metropolis) und Haghi (Spione) zu sehen. Im Herrscher ist er einer von den drei Direktoren, die wir bei der Beerdigung sehen, beim Leichenschmaus und jetzt, zum dritten und letzten Mal, bei dieser Konferenz. Klein-Rogges Direktor Bodelfing ist eine feige Memme (und trägt ein Monokel wie Fritz Lang - das ist nicht witzig, sondern höhnisch). Überhaupt scheint dieses Direktorium mit lauter Schwächlingen besetzt zu sein, die von Klamroth leicht zu manipulieren sind. Das muss so sein, weil es nur einen Führer geben kann.
In solchen Filmen über ein Familienunternehmen hängt meistens ein Ölbild des Firmengründers an der Wand. Das ist ein würdiger alter Herr mit Bart, der irgendwann gestorben ist. Matthias Clausen ist selbst der Gründer. Vor zwanzig Jahren noch ein Schlosser, hat er die nach ihm benannten Werke mit 20.000 Arbeitern aufgebaut. Von seinem Platz am Kopfende des Konferenztisches aus sieht er keinen Opa oder Uropa, sondern sich selbst. In den Clausen-Werken hängt das Bild von Matthias Clausen an der Wand. Es könnte auch ein Portrait von Adolf Hitler sein, nach dessen in Mein Kampf formulierten Anforderungsprofil für einen Führer Clausen modelliert ist. In Kapitel 4 des zweiten Bandes (in meiner Ausgabe von 1939, 44. Auflage: Seite 500f) vergleicht Hitler die Wirtschaft mit der Politik und fordert, die Leitung beider Bereiche am Führerprinzip auszurichten:
Die beste Staatsverfassung und Staatsform ist diejenige, die mit natürlichster Sicherheit die besten Köpfe der Volksgemeinschaft zu führender Bedeutung und zu leitendem Einfluss bringt.
Wie aber im Wirtschaftsleben die fähigen Menschen nicht von oben zu bestimmen sind, sondern sich selbst durchzuringen haben, und so wie hier die unendliche Schulung vom kleinsten Geschäft bis zum größten Unternehmen selbst gegeben ist, und nur das Leben dann die jeweiligen Prüfungen vornimmt, so können natürlich auch die politischen Köpfe nicht plötzlich "entdeckt" werden. Genies außerordentlicher Art lassen keine Rücksicht auf die normale Menschheit zu.
Damit weiß man auch, was es mit den im Dritten Reich so beliebten "Genie-Filmen" auf sich hat. Genies sind große Männer, für die eigene Regeln gelten (die ihren) und die keine falschen Rücksichten nehmen können, weil es um das große Ganze geht, um das Wohl der Volksgemeinschaft und so weiter. Wer ahnt, dass es da - von den Filmen suggerierte - Parallelen gibt zwischen einem genialen Dichter (Friedrich Schiller - Triumph eines Genies), einem genialen Architekten (Andreas Schlüter), einem genialen Unternehmenslenker und dem größten Feldherrn aller Zeiten, Adolf Hitler, wird nicht lange suchen müssen. So ein Genie, das die alten Verhältnisse überwindet und neue schafft, sieht sich natürlich mit dem Banausentum der Nicht-Genies konfrontiert. Nur einer kann der Gröfaz sein.
Clausen fährt nun fort: "Mir scheint, Sie haben noch nicht begriffen, was auf dem Spiele steht! Gerade bei dem Experiment, das Sie unterbrochen haben! Wenn es gelingt, ist die deutsche Wirtschaft unabhängig von der Einfuhr eines der wichtigsten Rohstoffe." Grundlagenforschung und das Bestreben, sich von natürlichen Rohstoffen unabhängig zu machen, sind per se nichts Schlechtes. Man kann darin sogar ein Friedensprojekt sehen, wenn man an die Kriege denkt, die in unseren Tagen wegen Öl, Gas und Seltenen Erden geführt werden. Bei der NS-Propaganda ist das immer so. Es gibt einzelne Aspekte, denen man durchaus zustimmen kann, ohne deshalb ein Nazi zu sein. Die Bedeutung und der politische Gehalt ergeben sich aber daraus, in welchem Rahmen das eine oder andere propagiert wird. Im Kontext des Dritten Reichs, das massiv aufrüstete und Eroberungskriege vorbereitete, als Harlan und Jannings Der Herrscher drehten, erweist sich der schöne Traum vom friedlichen Zusammenleben kraft der deutschen Rohstoffautarkie rasch als Schimäre. Die Rohstoffe, von René Deltgens Kautschuk bis zum Kupfer (wie im Drehbuch) und was sonst noch in Clausens Labor künstlich hergestellt wird, brauchte die Rüstungsindustrie ganz dringend.
Besprechung am Wolfgangsee
Man kann nun fragen, wie wissentlich oder unwissentlich sich Jannings und Harlan in den Dienst der Propaganda stellten. Die Antwort hängt davon ab, wie viel Naivität und Weltfremdheit man ihnen zugesteht. Harlan berichtet in seinen Memoiren, dass er und Thea von Harbou sich mit Jannings in dessen Domizil am Wolfgangsee trafen, um gemeinsam das Drehbuch zu entwickeln. Dokumentiert ist das in Form eines PR-Photos, das die drei mit einigen ihrer Mitarbeiter zeigt. Sie haben sich auf einer grünen Wiese versammelt, Harbou trägt Dirndl und Jannings einen Trachtenjanker. Im Hintergrund sieht man die österreichische (zu dem Zeitpunkt noch nicht "angeschlossene") Bergkulisse. Hier in diesem Idyll lebt man nur der Filmkunst, soll uns das Bild wohl sagen. Das Photo mit den schneebedeckten Gipfeln dürfte im Herbst 1936 (oder früher) entstanden sein, weil von Ende Oktober 1936 bis in den Februar 1937 gedreht wurde. Harlan zufolge strickte Harbou tagsüber Pullover für ihren indischen Lebensgefährten Ayi Tendulkar und diktierte dabei ihrer Sekretärin die neuen Szenen und Dialoge, die abends vorgelesen und diskutiert wurden. Jannings habe als Autor kein Talent gehabt, habe aber sehr geschickt einzelne Szenen improvisiert, die dann - von Harbou mitstenographiert - Eingang in den Film gefunden hätten.
Ich war nicht dabei und weiß daher nicht, was genau geredet wurde. Bei der Lektüre von Ingrid Buchlohs "Studie" könnte man fast auf die Idee kommen, dass Harlan und Jannings, nichts Böses ahnend, mit den Dreharbeiten zu Der Herrscher begannen und dann zu ihrer Überraschung feststellen mussten, dass das Dritte Reich eine Diktatur war und der Propagandaminister gewisse Erwartungen mit dem Film verknüpfte, denen sie sich nicht in jedem Fall entziehen konnten. Wollen wir das glauben? Wie verträgt es sich mit den bekannten Fakten? Wie liefen sie ab, die Arbeitsgespräche am Wolfgangsee, wenn Thea beim Stricken eine Pause machte? Irgendwann dürften die Filmschaffenden auch mal über die Besetzung geredet haben. Wie wird das gewesen sein?
Die extrem wandlungsfähige Maria Koppenhöfer spielt im Herrscher die Schwiegertochter Paula Clothilde wie zuvor in Max Reinhardts Inszenierung von Vor Sonnenuntergang, Käthe Haack ist wieder die Tochter Ottilie und Max Gülstorff ist Sanitätsrat Geiger wie einst auf der Bühne. Als Inken Peters wurde die frisch mit Gustaf Gründgens verheiratete Marianne Hoppe engagiert. Auch sie hatte früher unter Max Reinhardt am Deutschen Theater gespielt, aber in dessen Hauptmann-Inszenierung von 1932 hatte die mit dem Regisseur liierte Helene Thimig als die junge Freundin des Verlegers auf der Bühne gestanden. Reinhardt (bürgerlicher Name: Maximilian Goldmann) war die prägende Figur des Theaters der Weimarer Republik (auch auf den Film hatte seine Arbeit großen Einfluss) und Entdecker von Akteuren wie Werner Krauß, mit deren Hilfe Goebbels’ Propaganda-Kino seine Botschaften verbreiten würde. Für ihn gab es in Nazi-Deutschland keine Zukunft mehr. Er war 1933 ausgereist und tourte seitdem mit Thimig durch Europa und die USA, weshalb sie als Inken nicht in Frage kam. Nach Nazi-Begriffen lebte sie in "Rassenschande" mit Reinhardt zusammen, woran sich auch dadurch nichts änderte, dass Helene und Max 1935, nach dessen Scheidung, geheiratet hatten.
Wie ernst es den Nazis mit ihrer Ankündigung war, die Juden aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu entfernen, erfuhren Theaterleute früher als die meisten anderen. Am 15. November 1932 fand am Preußischen Staatstheater in Berlin, wo Harlan damals als Schauspieler engagiert war, eine Galavorstellung von Gabriel Schillings Flucht statt, einem Stück von Gerhart Hauptmann (mit Maria Koppenhöfer als Frau des von Werner Krauß gespielten Malers). Gefeiert wurde der 70. Geburtstag des Dramatikers. Eingeladen hatte die Reichsregierung. Im Publikum saßen Botschafter, Generale, Repräsentanten von Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Politik (auch Nazigrößen mit dabei). Albert Einstein, Max Reinhardt und Heinrich Mann waren genauso gekommen wie der Geehrte selbst. Anschließend wunderte sich nicht nur Hauptmann darüber, dass das sehr erfolgreiche, von Leopold Jessner inszenierte Stück vom Spielplan verschwand, und Elisabeth Bergner, die es zum Leuchten gebracht hatte, von der deutschen Bühne.
"Titan", der Kritiker des Berliner Herold (22.10.), hatte sich kürzlich noch begeistert: "In einer Zeit, wo alle öffentlich-rechtlichen Bühnen den Typ des völkischen Theaters herausarbeiten, weht am Berliner Staatstheater plötzlich eine Luft, als ob wir wieder 1919 schrieben. Leopold Jessner kehrt zu einer großen Regieaufgabe zurück, und Namen wie Eleonore von Mendelssohn und Elisabeth Bergner stehen im Vordergrunde des Spielplans. Eleonore von Mendelssohn durfte eine so deutsche Figur wie die Frau Tell spielen, und Elisabeth Bergner ziert die Aufführung von Gabriel Schillings Flucht. […] Und Leute wie Müthel und Harlan, die sonst sich nicht genug tun konnten in der Herausarbeitung des arischen Typs des Staatstheaters, werden mit ihren Bestrebungen ganz in den Hintergrund gedrängt." Leider war dieser Hintergrund bereits braun eingefärbt.
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