Wie Horst Seehofer auszog, gegen sich selbst zu kämpfen

Seite 2: "Rechtsstaat" vs. Rechte?

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Dementsprechend sieht das Vorgehen des "Rechtsstaates" gegen rechte Strukturen im Staatsapparat aus. Ein ehemaliger SEK-Mann, der zur berüchtigten Preppergruppe Nordkreuz gehörte, wurde jüngst wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt - zu einer milden Strafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung.

Der ehemalige Elitepolizist und AfD-Mann Marko G. hat illegal tausende Schuss Munition und eine Uzi-Maschienenpistole mit Schalldämpfer gehortet. Laut Lorenz Caffier (CDU), dem Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, war Marko G. eine Führungsfigur der Preppergruppe, die enge Verbindungen zum Netzwerk rechtsextremer SEK-Polizisten unterhielt, das jüngst in dem ostdeutschen Bundesland aufgeflogen ist. Eine vom Schweriner Innenministerium eingerichtete "Expertenkommission", gelangte übrigens zu der Ansicht, dass es landesweit rechtsextreme Polizisten "angeblich nur beim SEK" gebe, wie es in Medienberichten hieß.

Im Rahmen des Gerichtsverfahrens konnte nicht geklärt werden, wo eigentlich die Behördenmunition herkommt, die sich im Besitz des ehemaligen SEK-Mannes befand. Etliche Chatnachrichten des Angeklagten, der schon mal Nazibilder verschickte, würden sich laut Gericht "eindeutig außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" befinden, doch müsse die Tat von der politischen Einstellung des Angeklagten getrennt werden, so das Gericht bei der Urteilsverkündung gegen den als "Führungsfigur" eingeschätzten Prepper.

Und klar, auf einen Tag X, für den Umsturz samt Massenmord, habe sich die Nordkreuz-Gruppe laut Gericht ebenfalls nicht vorbereitet. Die Logik des Gerichts ist hier einfach bestechend: Die Nordkreuz-Gruppe habe ein Kassenbuch für den gemeinsamen Munitionskauf geführt, was gegen kriminelle Energie spreche: "Wer Straftaten plant, der schreibt es nicht so einfach auf."

AfD-Männer an Planungen zu Massenmord beteiligt?

Das Problem bei dieser Logik besteht aber genau darin, dass Nazis den Massenmord an politischen Gegnern nicht als Straftat auffassen und sehr wohl entsprechende Listen führen. Mitte 2019 wurde publik, dass die Nordkreuz-Gruppe, deren Führungsfigur Marko G. war, entsprechende Listen angelegt haben soll. Marko G. war Mitglied der AfD. Demnach solle der Verfassungsschutz dem Bundestag eine "dreiseitige handgeschriebene Aufstellung von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung" Nordkreuz vorgelegt haben, die unter Anderem die Bestellung von 200 Leichensäcken und Ätzkalk vorsah, um so die ermordeten politischen Gegner, für die Todeslisten angelegt wurden, säuberlich zu beseitigen.

Ein Gerichtsverfahren später ist aus dem rechtsextremen Netzwerk eine unpolitische Preppergruppe geworden, die sich einfach nur verrannt hat bei ihren Vorbereitungen auf den Tag X. Es scheint, in Sachen staatsinterner Rechtsextremismus folgt der Staatsapparat einer eisernen Regel: "Das hat alles nix mit nix zu tun." Vielleicht hätte die Staatsanwaltschaft Revision gegen dieses milde Schweriner Urteil eingelegt, wenn es sich bei Marko G. um einen Schwulen gehandelt hätte, der von einem Polizisten zusammengeschlagen wurde, um anschließend wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt zu werden? Oder, wenn der sich in rechtsextremen Staatsnetzwerken bewegende Prepper mal eine Flasche auf einer Demo geworfen hätte, um anschließend zu einer mehrjährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt zu werden?

Und was ist aus den Todeslisten geworden, die von den Rechtsextremisten innerhalb der Nordkreuz-Gruppe angelegt worden? Die bleiben unter Verschluss, wie das BKA vor Gericht durchsetzen konnte. Tausende von politischen Gegnern wollten die Nordkreuz-Mitglieder umbringen, doch das Bundeskriminalamt will die Listen nicht veröffentlichen und die Betroffenen nicht über die Gefahr informieren, in der sie sich befinden.

Hierbei scheint es sich einfach um eine politische Entscheidung zu handeln, um der Neuen Rechten bei ihrem Aufstieg keine Steine in den Weg zu legen, befinden sich doch in den rechtsextremen SEK-Zusammenhängen und bei der Nordkreuz-Gruppe AfD-Leute, darunter ein Mitglied im Schweriner AfD-Landesfachausschuss Innere Sicherheit, gegen den ein "Vorwurf des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" im Raum steht. Es stellt sich die simple Frage, ob es gerade die AfD-Mitglieder der Nordkreuz-Gruppe waren, die die Todeslisten anlegten. Auf die konsequente Aufarbeitung dieser Umtreibe darf man gespannt sein.

Politische Polizei?

Ähnlich konsequent geht die Polizei gegen offenen Rassismus in ihren Reihen vor. Ein wegen Volksverhetzung verurteilter sächsischer Polizeibeamter, der unter anderem vom "letzten Abschaum aus muslimischen Ländern", von "unkultivierten Horden", die "aus Deutschen Döner und Hackfleisch" machten, fabulierte, bleibt weiterhin im Dienst, ein Verfahren gegen den Rassisten wurde eingestellt.

Inzwischen werden insbesondere in Ostdeutschland mitunter alle rechtsstaatlichen Verkleidungen abgelegt - und es kommt eine politische Polizei zum Vorschein, die ihre faschistischen Sympathien unter Applaus des rechten Mobs offen zur Schau trägt. Neun Beamte einer Brandenburger Hundertschaft posierten anlässlich von Klimaprotesten gegen Braunkohle vor einer Propagandaparole einer bekannten rechtsextremen Cottbuser Gruppierung, um ihre politische Position klarzumachen. Das Foto fand seinen Weg ins Netz, wo die rechtsextreme Szene die neue "Volkspolizei" bejubelte. Naiv wäre es, hier noch nach disziplinarischen Konsequenzen für die Beamten zu fragen, die offen ihre Sympathien für rechtsextreme Gruppierungen kund taten. Sie wurden einfach nur vom aktuellen Einsatz abgezogen.

Es ist also eine wahre Herkulesaufgabe, die sich Horst Seehofer beim staatsinternen Kampf gegen Rechts aufgehalst hat. Es lässt sich schon fragen, ob wirklich hunderte neuer Stellen beim BKA und Verfassungsschutz ausreichten, um hier überhaupt Wirkung zu entfalten - zumal hierbei kaum Verlass ist auf den Verfassungsschutz sein kann, also eine Behörde, der über lange Jahre ein Rechtsausleger wie Hans Georg Maaßen vorstand, für den selbst Rechtsextremisten, die Flüchtlingsheime anzünden, keine Rechtsextremisten sind.

Eskalationsstrategie von Hamburg bis Connewitz

Was treibt nun ein solch politisierter Staatsapparat, in dem rechte Netzwerke wirken und mitunter die Hegemonie innehaben? Zumal er aufgrund der neuen Polizeigesetze mit einer postdemokratisch anmutenden Machtfülle ausgestattet wurde? Politik, selbstverständlich. Die liberale, fast schon gutmenschenhafte Toleranz gegenüber rechtsextremen Umtrieben in den eigenen Reihen kontrastiert mit einem knallharten, ins Hysterische übergehenden Verfolgungsdrang gegenüber der Linken, die klar als weltanschaulicher Hauptfeind ausgemacht wird. Vergleiche zu der auf dem rechten Auge blinden Justiz der Weimarer Republik sind durchaus angebracht.

Zumeist kommt dabei eine Eskalationsstrategie zum Einsatz, mit der vor allem in Wahlkampfzeiten in einer Art Strategie der Spannung die Neuen Rechte politische unterstützt werden soll. So kann etwa die mitunter durch Rechtsverstöße, enthemmte Polizeigewalt und forcierte Eskalationsstrategie der Polizei bei dem G20-Gipfel in Hamburg als ein Versuch gewertet werden, im Bundeswahlkampf 2017 die Chimäre eines linken Terrors aufzubauen - zu einer Zeit also, als der Rechtsterrorismus sich formierte.

Ähnlich scheint das aktuelle Vorgehen der Polizei im Leipziger Szeneviertel Connewitz verlaufen zu sein, als in der Silvesternacht nach Ausschreitungen die Polizei plötzlich von einem Mordversuch an einem Polizisten, von einer Notoperation, von Lebensgefahr, von brennenden Einkaufswagen, die in Polizeiketten gefahren wurden, von Angriffen mit Pyrotechnik sprach. Die meisten dieser Vorwürfe erwiesen sich als unhaltbar, die Polizei musste bereits zurückrudern, da ihre ursprünglichen Schilderungen der Staatsorgane von der Presse widerlegt wurden. Es hat schlicht keine Notoperation stattgefunden.

Somit bleibt der Verdacht der politischen Einflussnahme zugunsten der politischen Rechten durch eine mit verurteilten Volksverhetzern und offen agierenden Rechtsextremismusfans versetzte "Pegizei" im aktuellen Bürgermeisterschaftswahlkampf in Leipzig, in dem mal wieder, passend zum Wahlkampf, das Gespenst einer neuen RAF aufgebaut wurde.

Es verwundert somit nicht, dass selbst die Vorsitzende der SPD inzwischen eine Klärung des Vorgehens der Polizei in Leipzig fordert, scheint doch die politische Dimension dieser sächsischen "Strategie der Spannung" im Wahlkampf um Leipzig, wo die SPD noch das Rathaus hält, evident. Zumal inzwischen Vorwürfe laut wurden, wonach die Polizei in Leipzig bewusst die Eskalation suchte, indem sie feiernde Menschenmengen angriff.

Und wo steht Horst Seehofer, der selbsternannte oberste Nazijäger der Bundesrepublik, der noch Mitte Dezember auszog, "rechtsextremistische Netzwerke" im Staatsapparat aufzudecken? Er stellte sich klar hinter "seine" Polizeiführung, die aufopferungsvoll die eigenen Beamten im Kampf um das Leipziger Rathaus zu verheizen scheint.